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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Ulrich’s Augen flammten wieder auf, so drohend wie vorhin bei der Hindeutung seines Freundes.

„Und wenn ich Dir nun sage, Vater, daß die Stricke gerissen sind, wenn ich Dir sage, daß meine Hand nicht dabei war –“

„Sag’ mir lieber nichts!“ unterbrach ihn der Alte bitter. „Ich glaube Dir doch nicht, und die Anderen thun es auch nicht mehr. Du bist immer wild und gewaltthätig gewesen und hättest in der Wuth Deinen besten Freund niedergeschlagen. Probir’s, tritt unter Deine Cameraden und sage ihnen: ‚Es ist ein bloßes Unglück gewesen!‘ – es glaubt Dir Keiner!“

„Keiner!“ wiederholte Ulrich dumpf. „Auch Du nicht, Vater?“

Der Schichtmeister richtete das trübe Auge fest auf seinen Sohn. „Kannst Du mir hier in’s Gesicht behaupten, daß Du keine Schuld an dem Unglück hast, gar keine? daß Du –“ er kam nicht zu Ende mit der Frage, denn Ulrich hielt den Blick nicht aus, seine eben noch flammenden Augen richteten sich scheu auf den Boden; mit einer zuckenden Bewegung wendete er sich ab und – schwieg.

Es war ein langes, banges Schweigen in dem Stübchen; man hörte nur das schwere Athmen des alten Mannes. Seine Hand zitterte, als er sich über die Stirn fuhr, und die Stimme zitterte noch mehr, als er endlich leise sagte:

„Deine Hand war nicht dabei? Ob es nun gerade die Hand war, und wie es überhaupt gekommen ist – sie meinen ja alle, da ließe sich nichts untersuchen und nichts beweisen, Gott sei Dank, wenigstens nichts für die Gerichte. Mach’s mit Dir allein aus, Ulrich, was da unten geschehen ist, aber poche nicht mehr auf Deine Cameraden! Du hast ganz recht gesehen, seitdem fürchten sie Dich bloß noch. Sieh zu, wie lange Du es noch mit der Furcht allein zwingst!“

Er ging. Der Sohn machte eine Bewegung, als wolle er ihm nachstürzen; dann auf einmal blieb er stehen und schlug die geballte Hand vor die Stirn. Der Laut, der sich dabei aus seiner Brust hervorarbeitete, klang fast wie ein unterdrücktes Stöhnen. –

Es mochten wohl zehn Minuten vergangen sein, da wurde die Thür von Neuem geöffnet, und Martha trat wieder ein. Der Oheim war fort, und Ulrich lag im Lehnstuhl, das Gesicht in den Händen vergraben. Das schien sie aber nicht weiter zu befremden; sie warf nur einen Blick auf ihn, trat dann an den Tisch und begann ihre Arbeit zusammenzulegen. Ulrich hatte sich bei dem Geräusch ihrer Schritte emporgerichtet. Er stand jetzt langsam auf und kam zu ihr hinüber; sonst pflegte er sich nie viel um das Thun und Lassen des Mädchens zu kümmern, am wenigsten mit ihr darüber zu sprechen. Heute that er beides. Vielleicht war auch für diese starre, verschlossene Natur der Moment gekommen, wo sie sich nach irgend einem Wort, irgend einem Zeichen der Theilnahme sehnte, gerade jetzt, wo alles sie floh, alles vor ihr zurückwich.

„Du und Lorenz, Ihr seid also einig?“ begann er. „Ich habe noch nicht einmal mit Dir darüber gesprochen, Martha. Mir gingen in der letzten Zeit so viel andere Dinge durch den Kopf. Ihr seid ein Brautpaar?“

„Ja!“ war die kurze, halb abweisende Antwort.

„Und wann wird die Hochzeit sein?“

„Damit hat’s noch Zeit.“

Ulrich blickte auf das Mädchen nieder, das mit fliegendem Athem und zuckenden Fingern sich mit der Arbeit beschäftigte, ohne ihn auch nur anzusehen, und ein geheimer Vorwurf schien doch in ihm aufzusteigen.

„Du hast recht gethan, Martha,“ sagte er leise, „ganz recht! Karl ist brav und hat Dich lieb, mehr vielleicht als Andere es hätten thun können. Und doch ließest Du ihn noch einmal fortgehen ohne Bescheid, nach unserer letzten Unterredung? Wann bekam er denn Dein Wort?“

„Heute vor drei Wochen.“

„Heute vor drei Wochen! So! Das war der Tag nach unserem – Schachtunglück. Da also hast Du es ihm gegeben?“

„Ja, da! Bis dahin habe ich’s nicht gekonnt! Erst an dem Tage wußte ich, daß ich seine Frau werden könnte.“

„Martha!“ In der Stimme des jungen Mannes wallte es auf, halb wie Zorn und halb wie Schmerz. Er wollte die Hand auf ihren Arm legen. Sie bebte zusammen und zuckte wie unwillkürlich seitwärts. Ulrich ließ die Hand sinken und trat einen Schritt zurück.

„Du auch?“ sagte er dumpf. „Nun freilich, ich hätte es mir denken können!“

„Ulrich!“ brach das Mädchen aus in wildem, verzweiflungsvollem Schmerze. „O mein Gott, was hast Du uns, was hast Du Dir gethan!“

Er stand ihr noch gegenüber. Die Hand, welche er auf den Tisch stützte, zitterte; aber seine Züge hatten einen Ausdruck furchtbarer Härte und Bitterkeit angenommen.

„Was ich mir gethan habe, damit werde ich wohl auch allein fertig werden. Euch –? Nun, es will mich ja Keiner auch nur anhören! Aber nun sage ich Euch auch,“ – hier schwoll seine Stimme wieder drohend an – „jetzt ist’s genug mit den ewigen Andeutungen und Quälereien; ich halte das nicht länger aus. Glaubt, was Ihr wollt und wem Ihr wollt! Mir soll’s künftig gleich sein. Was ich angefangen habe, werde ich durchführen, Euch Allen zum Trotz, und wenn es wirklich vorbei ist mit dem Vertrauen – Gehorsam werde ich mir wohl noch zu erzwingen wissen!“

Er ging. Martha machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten, und es wäre wohl auch umsonst gewesen. Er schmetterte wüthend die Thür hinter sich zu, so daß das ganze kleine Haus davon erbebte; in der nächsten Minute hatte er es bereits verlassen.




Drüben im Berkow’schen Landhause hatte die Ankunft der Gäste wohl einiges Leben, aber keine größere Zusammengehörigkeit in den so kalt getrennten Haushalt der beiden Gatten gebracht. Obgleich die Dauer dieses Besuches nur auf einige Tage festgesetzt war, fand Arthur doch Gelegenheit und Vorwände genug, sich dem öfteren Zusammensein möglichst zu entziehen, eine Aufmerksamkeit, für die ihm sein Schwiegervater sowohl als sein junger Schwager außerordentlich dankbar waren. Der Baron kehrte erst jetzt, nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalte auf den Rabenau’schen Gütern, nunmehr den seinigen, nach der Residenz zurück. Er hatte damals bei dem ersten Besuche seine Tochter schon am folgenden Morgen wieder verlassen müssen, und zwar trotz der furchtbaren Katastrophe, die sich gerade während seiner Anwesenheit ereignete, denn eine nähere Verwandtenpflicht rief ihn an den Sarg seines Vetters; aber selbst nachdem dieser Pflicht Genüge geleistet worden war, gab es in dem Nachlasse und auf den Gütern noch so Vieles zu ordnen, was die Gegenwart des neuen Majoratsherrn forderte. Erst jetzt war dieser in Begleitung seines ältesten Sohnes, den er hatte nachkommen lassen, auf der Rückkehr begriffen; natürlich nahm man auch diesmal den kurzen Umweg über die Berkow’schen Besitzungen, und dies um so mehr, als der junge Baron Curt die Schwester noch nicht wiedergesehen hatte.

Es schien sich indessen um mehr als einen bloßen Besuch und ein bloßes Wiedersehen zu handeln bei der Unterredung, welche am Tage nach der Ankunft in dem Salon Eugeniens stattfand und bei der Arthur wie gewöhnlich fehlte. Die junge Frau saß auf dem Sopha und hörte ihrem Vater zu, der, vor ihr stehend, soeben eine längere Auseinandersetzung beendet hatte. Curt lehnte seitwärts an einem Sessel und blickte mit dem Ausdruck gespannter Erwartung zu seiner Schwester hinüber.

Eugenie hatte die Stirn in die Hand gestützt, so daß letztere ihr Gesicht beschattete; sie veränderte ihre Stellung nicht und sah auch nicht auf, als sie leise erwiderte:

„Ich bedarf dieser Winke und Hindeutungen nicht, Papa, um zu errathen, was Du meinst – Du sprichst von einer Trennung!“

„Ja, mein Kind,“ sagte der Baron ernst, „von einer Trennung, gleichviel unter welchem Vorwande und um welchen Preis. Erzwungenes pflegt nur der Zwang zu halten; das hätten die Berkows sich sagen müssen. Jetzt, wo ich wieder Herr meines Handelns bin, wo ich nicht länger ihr Schuldner zu sein brauche, jetzt werde ich Alles daran setzen, Dich den Fesseln wieder zu entreißen, die Du einzig um meinetwillen auf Dich nahmst und die Dich, magst Du es nun leugnen oder nicht, grenzenlos unglücklich machen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_205.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)