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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Eugenie antwortete nicht; der Vater nahm ihre Hand und setzte sich an ihre Seite.

„Der Gedanke ist Dir neu und überraschend? Mir stieg er schon damals auf, als ich die inhaltschwere Nachricht empfing, die unsere Vermögensumstände so unerwartet änderte. Freilich damals war er kaum zu verwirklichen. Was hat dieser Berkow nicht Alles aufgewendet, um die Verbindung mit uns zu erreichen! Die Möglichkeit war gar nicht denkbar, daß er eine Aufhebung zulassen würde, die ihm vollends die Kreise verschließen mußte, in die er sich durch uns Eingang erzwingen wollte, und mit einem Manne, der in seiner Gewissenlosigkeit zu Allem fähig war, ließ sich der Kampf nicht aufnehmen. Sein Tod hat das Alles mit Einem Schlage geändert, und der Widerstand seines Sohnes wird zu brechen sein. Er hat ja von jeher bei der ganzen Angelegenheit nur eine passive Rolle gespielt, sich nur zum Werkzeuge seines Vaters hergegeben; ich hoffe, er weicht einem energischen Auftreten unsererseits.“

„Er wird weichen!“ bestätigte die junge Frau tonlos. „Sei ohne Sorge deshalb!“

„Desto besser!“ erklärte Windeg. „Um so schneller gelangen wir an’s Ziel!“

Er schien rasch genug auf dies Ziel losgehen zu wollen, und so war es auch in der That. Dem armen tiefverschuldeten Baron, der seinen Ruin vor sich sah, war keine andere Wahl geblieben, als das Opfer Eugeniens anzunehmen und damit sich und seinen Söhnen Namen und Stellung zu retten; wie schwer es ihm auch geworden war, er beugte sich der Nothwendigkeit, und die Nothwendigkeit lehrte es ihn ertragen. Der Majoratsherr von Rabenau, der seine volle Selbstständigkeit und sein volles Selbstbewußtsein wiedergewonnen hatte, der mit Leichtigkeit die empfangene Summe zurückerstatten konnte, empfand jenen Zwang als einen brennenden Schimpf und die Ehe seiner Tochter als ein schweres Unrecht, das er ihr angethan und das er wieder gut machen mußte um jeden Preis. Während des ganzen Aufenthaltes auf seinen neuen Gütern hatte er einzig diesem Gedanken nachgehangen, und der Plan lag jetzt fertig und zur Ausführung bereit.

„Es muß in Deinen wie in unseren Wünschen liegen,“ fuhr er fort, „daß diese peinliche Angelegenheit möglichst schnell eingeleitet und beendigt wird. Ich wollte Dir vorschlagen, uns für jetzt unter irgend einem Vorwande nach der Residenz zu begleiten und von dort aus die nöthigen Schritte zu thun. Du weigerst Dich dann einfach, zu Deinem Gatten zurückzukehren, und bestehst auf der Trennung. Wir werden dafür sorgen, daß er seine Ansprüche nicht gewaltsam geltend macht.“

„Ja, bei Gott, das werden wir, Eugenie!“ fiel Curt leidenschaftlich ein. „Wenn er sich jetzt noch weigern sollte, den schmachvollen Handel rückgängig zu machen, so werden ihn die Degen Deiner Brüder dazu zwingen. Jetzt kann er uns ja nicht mehr mit der Schande, mit der öffentlichen Herabsetzung drohen, wie sein Vater es that. Es war das Einzige, wovor die Windegs je gebebt haben, das Einzige, womit man ihnen eine Tochter ihres Hauses abzwingen konnte!“

Die junge Frau machte eine abwehrende Bewegung gegen den Bruder hin. „Laß Deine Drohungen, Curt, und Du, Papa, laß Deine Sorgen fahren! Beides ist hier unnöthig. Das, was Ihr erst erkämpfen und erzwingen zu müssen glaubt, ist zwischen Arthur und mir längst beschlossene Sache.“

Windeg fuhr auf, und Curt trat in stürmischer Ueberraschung einen Schritt näher. Eugenie rang sichtbar danach, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, aber es wollte ihr nicht gelingen, die Stimme bebte hörbar, als sie fortfuhr:

„Schon vor dem Tode Berkow’s waren wir einig darin, aber wir wollten das Aufsehen eines zu frühen und zu plötzlichen Bruches vermeiden und legten uns deshalb noch den äußeren Zwang des Zusammenlebens auf –“

„Schon vor dem Tode Berkow’s?“ unterbrach sie der Bruder; „das war ja kurz nach Deiner Vermählung!“

„Also Du selber hast die Sache zur Sprache gebracht?“ fragte der Baron mit gleicher Lebhaftigkeit. „Du bestandest darauf?“

Keiner von Beiden schien die Pein zu verstehen, die sich doch so deutlich auf dem Gesichte der jungen Frau malte; sie raffte augenscheinlich ihre ganze Selbstbeherrschung zusammen bei der Antwort, aber aus dieser klang auch volle Festigkeit.

„Ich habe diesen Punkt nie berührt! Arthur war es, der mir freiwillig die Trennung anbot.“

Der Baron und sein Sohn sahen einander an, als ginge diese Erklärung über ihre Fassungskraft.


(Fortsetzung folgt.)




Das Königshaus auf dem Schachen.


Allgemein ist es bekannt, daß der verstorbene König von Baiern, Maximilian der Zweite, ein großer Freund des Jagdvergnügens war. Zahlreiche Jagdhäuser, in den schönsten Gegenden des bairischen Gebirges verstreut, geben hievon Kenntniß. Baierns regierender König sucht dieselben oft und für längeren Aufenthalt auf, nur daß er im Gegentheile den Jagdfreuden vollkommen abgeneigt ist und lediglich die hochinteressanten Naturscenerien dort genießt, von welchen sie umgeben sind. Die Anzahl solcher einsam gelegenen Wohnorte wurde sogar noch vermehrt, und erst vor wenigen Jahren gab König Ludwig der Zweite Auftrag, ein weiteres, irren wir nicht, zwölftes Jagdhaus, das Königshaus auf dem Schachen, zu bauen.

Künstler und Architekten legten ihre Pläne vor und die Wahl traf dieses Mal auf den eben genannten „Schachen“, der hoch über allen menschlichen Ansiedelungen sich an das Wettersteingebirge lehnt. Der Wetterstein, jener wildzerrissene, felsige Bergrücken, auf welchem nur tollkühne Gemsenjäger der Jagd obliegen, und der höher und höher steigend sich bis zur Zugspitze fortsetzt – der höchsten Erhebung der bairischen Alpen –, setzt schon bei Mittenwald an der Grenze zwischen Tirol und Baiern mit einem imposanten Bergkegel an, hinter dem sich der Zugspitze zu die weiteren Felsenkolosse in gleicher Unzugänglichkeit und Zerrissenheit aufthürmen. Diesem Bergstock entlang läuft auf südlicher Seite das Leutaschthal, einsam, fast menschenleer, wie nicht leicht eines in den Alpen, aber reich an erhabenen landschaftlichen Schönheiten. Von Hunderten von Quellen und Bächen des Wettersteins gespeist, sammelt sich darin die Leutasch an, um zwischen der Scharnitz – einer ehemaligen österreichischen Grenzbefestigung – und Mittenwald in das Isarthal durchzubrechen. Hoch über der Felsenklamm, durch die sie in tausendjähriger Arbeit ihr Bett geschnitten, gelangen wir dort auf dem „gefährlichen Wege“ in dieses Thal. Kein anderer Zugang führt in dasselbe, es wären denn die nur verwegenen Bergsteigern zugänglichen Joche des Wettersteins. Auf nördlicher Seite dieses Gebirgsstockes dagegen lehnt sich ihm, bis zu seiner halben Höhe hinanreichend und den Uebergang zur Thalsohle vermittelnd, ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_206.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)