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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


göttliche Urwesen obenan, von denen keine Generation unter hundert bis zweihundert Millionen Jahre Himmel und Erde zu beherrschen geruhte. Obschon jetzt nicht mehr der herrschende Cultus, ist der Glaube an diese göttlichen Ahnen noch immer vom Staate geschützt, von den Regenten geheiligt und beim Volke beliebt.

In den Sitzen der Kami’s, sowohl denen der Tempel, als den kleinen, oft nur einen Fuß messenden Capellen oder Mias der Privatwohnungen, herrscht eine auffallende Einfachheit. Unter den zehn großen Festen des Kamidienstes ist das des Kriegsgottes Hat-si-man von großer Bedeutung, denn es ist zum Andenken der Manen der im Kriege Erschlagenen eingesetzt. In allen Theilen des Landes sind dem Hat-si-man Tempel und Hallen errichtet, unter denen der zu Usa in der Landschaft Bazen errichtete der vornehmste ist, weil dort der ursprüngliche Sitz des Gottes war. Der in der Abbildung gegebene steht in Simoda, einer der japanesischen Residenz Yeddo zunächst gelegenen Hafenstadt in der Provinz Idzu.

Am Tage des Festes versammelt sich eine zahlreiche Volksmenge, und jede Familie bringt einen Sarg mit, der dem Andenken ihrer in Schlachten gebliebenen Glieder geweiht ist. Nach einigen Gebeten beginnt die Aufstellung des Zuges, den mehrere Polizeibeamte zu Fuß und zu Pferd eröffnen, in deren Mitte zum Andenken an die in Korea geführten Kriege der koreanische Löwe dargestellt ist, indem ein Mann eine Löwenmaske über den Kopf stülpt und seine Füße die Vorderfüße des Löwen darstellen; ein zweiter folgt unter den über das Ungeheuer gedeckten Tüchern in gebückter Stellung, Rücken und Hintertheil darstellend, wie in Europa dies der Theaterliebhaber in der Zauberflöte sehen kann. Diese Theaterlöwen haben jedoch im Vorrecht der Erfindung dem koreanischen Löwen den Vortritt zu gestatten. Ihnen folgen Musiker mit Flöten, Pauken, Becken etc., die einen gewaltigen Lärm erheben, und nach diesen wird der Sarg von den Dienern getragen, umgeben von Priestern, begleitet von den Mitgliedern der Familie, von denen manche in kriegerischer Rüstung sind. In ihrem Gefolge befinden sich Diener, welche alles zu einem Gastmahl Erforderliche mit sich führen, denn ist die Procession beendet, so verfügen sich die verschiedenen Familien nach den Grabstätten ihrer Vorfahren und endigen dort das Fest in fröhlicher Schmauserei, wobei ein für die Todten bestimmter Antheil bei Seite gestellt wird. Nach Sonnenuntergang werden diese Gaben nebst einigen Münzen in kleine, aus Stroh geflochtene Boote gelegt und auf das Wasser gesetzt, um von Wind und Fluthen hinaus auf’s Meer getrieben zu werden.

Vorstehende Schilderung und Abbildung ist einem Werke entnommen, welches General Heine in Dresden in Heften mit photographischen Illustrationen und glänzender Ausstattung veröffentlicht, um seine zahlreichen Schriften über Japan damit rund abzuschließen. Offenbar ist diesem Unternehmen das jetzt so überraschend vor unseren Augen vor sich gehende förmliche Aufbrechen des durch Landes- und Volks-Eigenthümlichkeiten so ausgezeichneten Japanenreichs ganz besonders förderlich, und es freut uns, durch die vorliegende Mittheilung auf dasselbe hindeuten zu können.




Ein „revolutionärer“ Bundestagsgesandter.
Geschichtsbild und Jugend-Erinnerungen.


Alle, welche wenigstens die letzten zehn Jahre, von 1863 bis heute, mit politischem Verständniß durchlebten, müssen erkannt haben, welch ungeheure Aufgabe es war, Deutschland vom Bundestage zu erlösen und von Oesterreich’s Einfluß zu befreien. Daß die Sehnsucht nach dieser Erlösung und Befreiung eine alte, längst tief im Herzen der Nation großgezogene und immer wieder bis zur Hoffnungslosigkeit zurückgedrängte und unterdrückte war, dafür giebt es kein umumstößlicheres Zeugniß, als das, daß der vorher verhaßteste und verhöhnteste Minister in Deutschland mit einem Schlage der populärste und gefeierteste Mann der Nation werden konnte, eben weil es ihm gelang, mit diesem einen Schlage den deutschen Bund zu zertrümmern und Oesterreich aus Deutschland zu scheiden.

Beides aber geschah dem durch seine Schuld bereits ohnmächtigen Bundestag und dem durch unglückliche Kriege bereits geschwächten Oesterreich.

Wird es die gegenwärtige Generation glauben, daß zu der Zeit, wo Oesterreich nach den Befreiungskriegen in der Fülle seiner Macht dastand und wo der Bundestag unter Metternich’s Oberleitung an den drei absolutistischen Großmächten der heiligen Allianz eine unüberwindliche Schutzmauer hatte, dennoch ein Mann mit wenigen gleichgesinnten Genossen es wagte, diesem Oesterreich und diesem Bundestage Trotz zu bieten, und daß er es sogar unternahm, durch das Zusammenfassen aller constitutionellen Staaten Deutschlands einen Keil der Freiheit zwischen die absoluten Großmächte hineinzuschieben?

Dieser kühne Mann war der Freiherr Karl August von Wangenheim. Wer von den Jüngeren kennt heute noch den Namen dieses Staatsmanns, dieses Vorkämpfers deutschen Verfassungslebens, der sein muthvolles Ringen vor mehr als zwei Generationen begann? Wir sind es der Gegenwart schuldig, solche Namen der traurigsten deutschen Vergangenheit nicht vergessen zu lassen, und so wird man es nicht „außer der Zeit“ finden, wenn wir ein Bild seines Lebens und der von ihm geleiteten Geschichte unseren Lesern vorführen.

Der junge „ausstudirte“ Freiherr von Wangenheim, der für seine Existenz auf den Staatsdienst angewiesen war, lebte lange unbeachtet „von oben“ in Coburg. Diese Ungnade mochte noch wegen seiner akademischen Laufbahn auf ihm lasten, denn er war auf der Landesuniversität Jena ein so „forscher Studio“ gewesen, daß man ihn einmal auf die Leuchtenburg gefangen setzte und schließlich relegiren mußte. Er hatte seine Studien in Erlangen vollendet und harrte nun vergeblich in Coburg auf eine Anstellung.

Da machte ein kleines Unglück ihn interessant. In einer damals mit dem Residenzschloß noch zusammenhängenden Straße (Grafengasse) brach Feuer aus. Die Gefahr für das Schloß war nicht gering; die Lohe schlug zum Dach hinaus, und die Spritzen konnten die Höhe des Flammenherdes nicht erreichen. Da drang ein Kopf durch ein in den Dachfirst geschlagenes Loch hervor, ein Körper folgte, lang und immer länger, bis endlich ein hochgestreckter Mann keck da droben stand und die ihm zugereichten Wassereimer in weiten Bogen über das Feuer goß, aller Unbill der Hitze und des Rauches trotzend. Aus den Schloßfenstern sahen die höchsten Herrschaften der kühnen That Wangenheim’s, der war es natürlich, zu, und von Stund’ an verzieh man um dieses Muthes willen dem jungen Mann seine Vergangenheit voll Uebermuth.

Er stieg nun rasch auf der Dienststufenleiter bis zum Vicepräsidenten der Landesregierung und genoß mehrere vom ersten Eheglück verschönte Jahre – da knackte plötzlich die Leiter und brach, und der Sturz drohte vernichtend für Wangenheim zu werden. Er hatte Schwindeleien des damaligen Ministers aufgedeckt und mußte vor dessen Rache und des Herzogs Ungnade sogar schließlich entfliehen. Seine Familie fand in Hildburghausen Zuflucht und er beim alten Ritter Truchseß auf der Bettenburg.

Und abermals erblühte ihm das Glück aus fürstlicher Noth. Am 1. Januar 1806 war der dicke Herzog Friedrich von Württemberg ein Rheinbunds-König geworden. Da brach der Krieg gegen Preußen aus – und nun begab sich das Entsetzliche, daß des neuen Schwabenkönigs jüngster Sohn, Paul, heimlich Stuttgart verließ und nach Preußen ging, um gegen Napoleon zu fechten. Da nun des Herzogs Paul Gemahlin, Charlotte, eine Hildburghäuser Prinzessin war, so hatten um des einen Verbrechens willen zwei deutsche Höfe vor der Rache Napoleon’s zu zittern. Dieses Unheil dem König Friedrich in begütigendster Weise mitzutheilen und den Flüchtling vom Kriegsschauplatz zurückzubringen, das war der Auftrag, mit welchem Wangenheim nach Stuttgart gesandt wurde. Sein entschlossenes Wesen gewann ihm sofort die Zuneigung des Königs, der ihn nun selbst noch mit dem besonderen Auftrag einer Friedensvermittelung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_224.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)