Seite:Die Gartenlaube (1873) 294.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Es naht Eutomina, die Sclavin! Sprich,
Was bringst Du, treue Dienerin des Hauses?“

Indeß, es erscheint keine Eutomina! Mayer, dem die zwei Zeilen glücklich im Gedächtniß haften geblieben sind, wiederholt sie mit besonderer Vorliebe drei Mal in stets wachsender Stimmlage, so daß die letzte „Eutomina“ den Eindruck des dröhnenden Donners macht, der unmittelbar einem Einschlage zu folgen pflegt. Aber selbst diese lufterschütternde Wirkung vermag keine Eutomina herbeizuzaubern, und Mayer, der sich nebenbei für einen großen Humoristen hält, bricht in die Worte aus: „Es scheint, daß Eutomina wegen Mangels an Anwesenheit Nichts bringt.“ Er glaubt damit einen ungeheuren Witz gemacht zu haben und bricht in ein Gelächter aus, daß die alten Prospecte zu tanzen und zu wackeln beginnen. Niemand der Umstehenden theilt seine Ansicht. Der Herr Regisseur hat sich inzwischen durch Einblick in das Regiebuch davon überzeugt, wer von dem darstellenden Personal mit dieser Eutomina behaftet ist, und herrscht demzufolge den Inspicienten mit der Amtsmiene Nr. 3 an: „Wo ist denn Fräulein Lampe? – warum rufen Sie dieselbe nicht?“

Der Inspicient, der wie neunzig Procent seines Zeichens ein schnoddriger Berliner Junge ist und bei seinen Antworten sich stets so zu stellen weiß, daß ihm ein möglichst schneller Rückzug gesichert ist, steckt die Hälfte seines Kopfs durch die Prospectthür und entgegnet: „Madame Aronsohn ist noch nicht da!“

Ein schallendes, einstimmig angestimmtes Gelächter belohnt den Einfall des sarkastischen Burschen. Der Regisseur, der solche Scherze zwar im Wirthshause, aber nicht auf der Bühne liebt, untersagt ihm dergleichen Ausfälle auf’s Entschiedenste. Der Inspicient, durch die vorherige Beifallsbezeigung ermuthigt, versichert, daß er annehmen müsse, daß Fräulein Lampe die Gemahlin des Baron Aronsohn sei, da sie an seinem Arme ginge und in seiner Equipage führe. Erneute Freudenbezeigungen der versammelten Collegen und Colleginnen – der Herr Regisseur, der seinen Hemdkragen schon wieder umgeschlagen hat, bekommt ein Zinnobercolorit und will sich eben zu einer längern Rede über den Respect, den man den der Kunst geweihten Räumen schulde, anschicken, als diese pathetische Scene durch die Ankunft von Fräulein Lampe abgeschnitten und die Nachwelt um einen gediegenen Vortrag beraubt wird. Daß Fräulein Lampe nach allem Vorhergegangenen sich keines besondern Willkommens erfreuen dürfte, stand zu erwarten; doch hält unser Regisseur auch in diesem kritischen Moment Tact und Anstand aufrecht und sagt nur mit einer Miene, marmorn und eisig, wie die des steinernen Gastes: „Es ist elf Uhr vorüber!“

Fräulein Lampe, die inzwischen dreimal mir ihrer Schleppe hängen geblieben ist, entgegnet mit schrillem Tone, der in jeder Silbe das Bewußtsein der „guten Situirung“ durchblicken läßt: „Ich kann nicht dafür; unser Sattelpferd lahmt!“

„Aha, – unser?! Hatte ich Recht, Herr Regisseur?“ ertönt es aus dem Munde des Inspicienten, der sofort wieder hinter der halb geöffneten Prospectthür verschwindet.

„Was geht mich Ihr Marstall an!“ erwidert der Regisseur, mit einem Griff den Hemdkragen emporschleudernd und unheimliche Blicke über den Nasen-Kneifer sendend.

„Uebrigens,“ flötet Fräulein Lampe weiter, „was ist da weiter zu reden! Nehmen Sie mich in Strafe und damit gut!“

Das ist nun allerdings selbst unserm Apostel der Sanftmuth und des Anstandes zu viel; mit unnachahmlicher Majestät erbebt er sich vom Sitze, und das redliche Kunstgefühl, das die eigentliche Grundbasis seines Innern bildet, macht sich Luft.

„Mein Fräulein,“ donnert er, „es handelt sich hier nicht um die Strafe, die Sie freilich wenig drücken würde, wie mir bekannt ist, es handelt sich um die Beleidigung, die Sie Ihren gesammten Collegen nun schon zum so und so vielsten Male anthun, die doch, weiß Gott, nicht dazu da sind, regelmäßig auf eine Künstlerin Ihres Ranges zu warten.“

„Oho!“ entgegnete Fräulein Lampe, während ihr allerdings hübsches, aber breit und ausdruckslos angelegtes Gesicht sich in eine recht ordinäre Larve verwandelt, „ich wußte nicht, daß hier eine Rangliste für die Künstlerinnen existirt; übrigens gehen meine Privatverhältnisse Niemanden etwas an!“

„Darin haben Sie Recht,“ bemerkt der Herr Regisseur, der bereits fühlt, daß er sich weiter hinreißen ließ, als es der gute Ton gestattet; er zergliedert sie in Folge dessen mit eisiger Kälte folgender Gestalt: „Ich bekümmere mich freilich nicht um die Privatverhältnisse meiner Collegen und Colleginnen; ich wäre der Letzte, der einem Mädchen eine Herzensbeziehung zum Vorwurfe machen würde; im Gegentheil, ich würde es Jeder verdenken, die, mit ehrlicher Neigung im Herzen, ihre Jugend vertrauern wollte; aber diese Sorte von Dämchen, die sich seit einiger Zeit so breit beim Theater macht, die eine mindestens zweifelhafte Vergangenheit mit einer Flucht in die Hallen der Kunst abschließen will, diese Damen mit dreihundert Thalern Gage und zehntausend Thalern Brillanten sollten doch wahrlich selbst einsehen, daß sie der Kunst nicht gerade zur Ehre gereichen, und wenn sie schon geduldet werden müssen, sollten sie am allerersten die Pflicht des Anstandes und der Ordnung erkennen. Sie werden also nicht nur Ihre Strafe zahlen, sondern auch Ihre gesammten Collegen um Verzeihung für Ihr beleidigendes Benehmen bitten!“

„Das werde ich gewiß nicht thun!“

„Das werden Sie thun, so wahr ich hier Regisseur bin! Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit; alsdann wird der Herr Intendant ein Wort mit Ihnen reden!“

„Na dann!“ lacht Fräulein Lampe, schluckt jedoch die beabsichtigte Bemerkung vorsichtig herunter. Ein infernalischer Zug belebt plötzlich das geistlose Gesicht; man sieht, es ist ihr ein böser Gedanke durch’s Gehirn gefahren. Und so ist es auch; sie hat in diesem Augenblick beschlossen, Rache zu nehmen. Rache ist ein Gericht, das, nach Talleyrand, kalt verzehrt werden muß: sie wird also die Speise abkühlen lassen, bis sie nach Hause kommt; dann aber wird ihr Freund Aronsohn, der rechts einen Höcker und links zwei Millionen trägt, sämmtliche Wechsel des Regisseurs aufkaufen und ihn finanziell ruiniren. Fräulein Lampe schweigt mithin und probirt weiter. Abermals haben sich in allen Coulissen Gruppen Neugieriger gebildet, und ein Gemurmel der Zufriedenheit durchläuft ihre Reihen; selbst die so schwer zu befriedigenden Männer stecken die Köpfe zusammen und resümiren deutlich: „Es ist doch ein famoser Kerl!“ Fräulein Heloise schwebt mit den Elfenfüßchen zum zweiten Male zum Regiestuhle, reicht die drei Finger zu zärtlichem Drucke, legt die Hand auf’s Herz und verschwindet, wie sie gekommen. Fräulein R., die auf der Probe einen ständigen Schmollwinkel in der ersten Coulisse gepachtet hat, wirft ihm ihren wärmsten Gretchenblick zu und seufzt ziemlich vernehmbar:

„O daß mich’s ewig daran mahnen muß,
In meinem Frankreich war’s doch anders!“

Fräulein Lampe ist nach höhnischer Verbeugung mit dem lahmen Sattelpferde abgefahren; es tritt Ruhe ein. Mayer hat einen ganzen Act Nichts zu thun; der Regisseur athmet auf und streichelt seine erschütterten Ohren; Sendelmayer lehnt sein müdes Haupt zurück und entschläft sanft, nur von Zeit zu Zeit aus der Versenkungstiefe ein Fläschchen Lethe an die trocknen Lippen führend. Die übrigen Herrschaften haben sämmtlich ihre Rollen inne, nur selten giebt es Etwas zu erinnern, und Jeder folgt bereitwillig den Intentionen des kunstverständigen und praktischen Regisseurs. Er ist glücklich – ihm ist rosenroth und goldgelb zu Muthe. Nur eine Prüfung hat er noch zu überstehen, und sie tritt näher und näher an ihn heran; es ist die Schlußscene des zweiten Acts, in der Herr von Petrutzky auftritt, der Charakterspieler. Herr von Petrutzky gehört zu der großen Kategorie der heutigen Mimen, die sich aus eigener Souverainetät den Adelsbrief ausgestellt haben, und da seit Dawison, dessen einziger Nachfolger und Erbe zu sein Herr von Petrutzky selbst in allen Theaterzeitungen unumstößlich feststellt, alle großen Charakterdarsteller Nichtdeutsche sein müssen, so kennzeichnet er sich als einen edlen Sarmaten, obwohl er aus einer ganz ehrbaren westpreußischen Bürgerfamilie stammt, nicht eine Silbe slavisch versteht und in die bitterste Verlegenheit gerathen würde, wenn ihn auch nur ein polnischer Jude als Landsmann begrüßen würde. Diese allerdings immer mehr um sich greifende Sucht ekelt unsern Regisseur im Innersten an und mit Recht; man sollte diese Patrone, die ihr Deutschthum verleugnen wollen, während ihnen die deutsche Kunst das Brod der Existenz gewährt, überall mit der Verachtung behandeln, die ihnen gebührt.

Herr von Petrutzky ist natürlich unfehlbar; er hat festgestellt,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_294.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)