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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Bahira genannt, an welchem die Hauptstadt liegt, bot wenig Interessantes, weshalb wir unsere Aufmerksamkeit unseren Reisebegleitern zuwandten. Mauren in ihrer malerischen Tracht, lebhafte Sicilianer, ernste Spanier und Griechen belebten in buntem Gewühl das Verdeck, und an unser Ohr schlugen arabische und italienische Laute, sowie die der Lingua franca, eines aus den beiden genannten Sprachen hervorgegangenen Idioms.

Wir hatten in der Nähe des Steuers Platz genommen und tauschten Bemerkungen über unsere Umgebung aus, als ein europäisch gekleideter Herr auf uns zutrat, uns in unserer Muttersprache begrüßte und sich als ein in Tunis ansässiger Deutscher zu erkennen gab. Hocherfreut über die unerwartete Begegnung, stellten wir uns vor und erfuhren von unserem Landsmanne, daß er Friedländer heiße und im Dienste einer englischen Missionsgesellschaft die Jugend der israelitischen Gemeinde unterrichte. Sehr zuvorkommend erbot sich Herr Friedländer, uns auf einem Gange durch die Stadt zu begleiten, und ich halte es für meine Pflicht, zu bekennen, daß ich bei ähnlichen Gelegenheiten nie einen liebenswürdigeren Cicerone getroffen habe.

Wir landeten in Tunis und begannen unsere Wanderung. Die Straßen erwiesen sich, wie dies in den meisten Städten des Orients der Fall ist, als ungepflegt und unsauber. Die Gebäude, deren Fenster, wenn nach der Straßenseite gelegen, mit Eisengittern versehen sind, zeigten theilweise geschmackvolle, wohlerhaltene architektonische Verzierungen, theilweise trugen sie das Gepräge orientalischer Fahrlässigkeit. Namentlich war dies der Fall in dem nordöstlichen Theile der inneren Stadt, dem Ghetto, in welches die Unduldsamkeit der früheren tunesischen Herrscher die Juden bannte. Uebrigens waren ehemals auch die Franken und Spanier auf besondere Stadtviertel beschränkt, und obwohl es jetzt jedem Bewohner von Tunis frei steht, in einem beliebigen Theile der Stadt seinen Wohnsitz aufzuschlagen, so wird im Ganzen genommen von diesem Rechte doch wenig Gebrauch gemacht.

Mehr als die Gebäude der Stadt fesselte uns das bunte Gewühl in den Straßen, und Freund Friedländer hatte kaum Athem genug, um alle unsere Fragen zu beantworten. Hier wandelt bedächtigen Schrittes ein Vollblut-Maure, den weißen oder bunten Burnus malerisch über die Achsel geworfen. Dort trabt ein Lastenträger in dunkler Jacke und kurzem, blaugestreiften Beinkeid, ein Dschebagli, den die Aussicht auf Verdienst aus seinen Bergen in die Stadt gelockt hat. Der braune sehnige Mann in schmutzigem Burnus, welcher, die lange Flinte auf dem Rücken tragend, sein Roß durch das Gewühl lenkt, ist ein Beduine. Hier unterhalten sich ein paar gelbe Sicilianer unter heftigen Gesticulationen; dort der ernste Mann in dem dunklen Turban ist ein maurischer Jude, und die in buntem Zuavencostüm steckenden Burschen, die in Gruppen herum hocken, sind unstreitig Soldaten, wenngleich das Strickzeug in ihren Händen auf einen friedlichen Beruf schließen läßt.

Auch Frauen, doch in geringer Anzahl, waren auf der Straße zu finden. Maurische Mädchen, in den Haik gehüllt, eine Art Mantel, welcher, über den Kopf geworfen, bis auf die Kniekehlen herabfällt und die mit weißen Tricots bekleideten Beine unbedeckt läßt, trippeln durch die Menge; ihr Gesicht ist schwarz verhüllt, und nur für die Augen ist eine kleine Lücke gelassen. Vornehmen maurischen Damen genügt nicht einmal der schwarze Schleier, sie bedecken ihr Gesicht noch mit dem Haik und eilen scheu durch das Gedränge.

Aber auch unverschleierte Frauen sahen wir; Negerinnen, deren grelle Kleidung die Häßlichkeit ihrer Züge um so mehr hervortreten läßt, bieten Lebensmittel feil; Kabylinnen, mit deren schmutzigen Röcken und Turbanen die goldenen Spangen und Ohrringe seltsam contrastiren, laufen ohne Schuhe durch den heißen Staub, und die schöne Malteserin in der modischen schwarzen Seidenrobe unterscheidet sich, wie sie coquettirend vorüberschwebt, von unseren europäischen Damen nur durch den schwarzen Schleier, welcher, das Gesicht freilassend, in reichen Falten vom Scheitel auf Hals und Nacken herabwallt. Jüdinnen bemerkten wir des Sabbaths halber nicht auf der Straße; doch konnten wir uns später überzeugen, daß sich ihre Tracht von der der maurischen Damen nur durch den Mangel eines Schleiers unterscheidet.

Am lebhaftesten gestaltet sich das Straßenleben in den Bazaren, und hier war es auch eigentlich, wo wir die eben angeführten Beobachtungen machten. Sowohl die Vorstädte, als auch die innere Stadt haben Bazare aufzuweisen. Derjenige, welcher dem Residenzschlosse des Beys von Tunis gegenüberliegt, ist der ansehnlichste; seine doppelten Arcaden dehnen sich über einen beträchtlichen Theil der Stadt aus, und ohne unsern liebenswürdigen Führer würden wir uns schwerlich aus dem Labyrinth herausgefunden haben. Hier wird dem Käufer Alles geboten, was er braucht, und überdies giebt’s dort unzählige Dinge, die er nicht braucht. Unser Interesse wurde aber durch die in den Hallen auf- und abwogende Menschenmenge so gefesselt, daß wir den zum Verkaufe ausgestellten Gegenständen, sowie denen, die uns von schreienden Hausirern angeboten wurden, nur wenig Aufmerksamkeit schenkten; ich entsinne mich nur, daß uns eingelegte Tischlerarbeiten, geschmackvolle Gewebe, Pantoffeln, Fez’s und reiche Pferdegeschirre in die Augen fielen.

Wir sagten nach einer fast dreistündigen Wanderung dem Bazar Ade. Gar zu gern hätten wir die Moschee Mohari’s, an welcher wir vorüberkamen, betreten, aber Freund Friedländer erklärte dies für ein Ding der Unmöglichkeit. Dafür versprach er, uns in ein jüdisches Bethaus und später in ein maurisches Privathaus zu führen.

Der jüdische Tempel war klein, aber mit Andächtigen dicht gefüllt. Frauen waren nicht sichtbar; die Männer trugen meistens maurische Kleidung, aber stets von dunkler Färbung; die europäische Tracht war sparsam vertreten. Sowohl in dem Bethause als auch in den Familien einiger reichen jüdischen Kaufleute, die wir am Abend besuchten, waren wir, Dank der Einführung des Herrn Friedländer, respectirte Gäste.

Die lange Wanderung, der Staub, die Hitze und die mannigfaltigen Eindrücke, die wir empfangen hatten, hatten uns ermüdet. Wir verfügten uns daher in’s „Hôtel Paris“, einen Gasthof nach europäischem Schnitte, und nahmen daselbst eine Erfrischung, und zwar ebenfalls nach europäischer Weise, zu uns; nur unser Doctor ließ es als gründlicher deutscher Gelehrter sich nicht nehmen, nach arabischer Art zu speisen. So weit ging er allerdings nicht, daß er sich nach morgenländischer Art zum Essen niederließ. Er saß wie wir zu Tische; aber auf einem Nationalgericht bestand er, und es ward ihm. Aus dem schmerzlichen Zucken der Gesichtsmuskeln meines Freundes und aus der rothen Färbung des Gerichtes zu schließen, war letzteres mit dem landesüblichen spanischen Pfeffer etwas stark gewürzt; aber der Brave behauptete steif und fest, so etwas Vorzügliches habe er in seinem ganzen Leben noch nicht genossen, und würgte das Essen bis auf den letzten Bissen hinunter. Ob er später auch seinen Durst in arabischer Weise gestillt hat, ist mir nicht mehr erinnerlich.

Gern hätten wir zu dem Kaffee, mit welchem wir unser Mahl beschlossen, eine tunesische Zeitung gelesen; aber Herr Friedländer belehrte uns, daß der Tunese seine Neuigkeiten im Bazar oder im Kaffeehause erfahre; eine Zeitung erscheine daher in Tunis nicht. Glücklicher Weise war im Hôtel kein Mangel an europäischen Blättern, und so konnten wir uns einen lange entbehrten Genuß wieder einmal verschaffen.

Die Sonne brannte mit mittägiger Kraft auf unsere weißen Sonnenschirme, als wir nach kurzer Siesta unverdrossen durch die staubigen Straßen auf das Maurenviertel Bab Dschesira lossteuerten. Dort, hatte Herr Friedländer uns versprochen, werde sich auf sein Klopfen das Haus eines der Bewohner unseren neugierigen Blicken öffnen.

In Schweiß gebadet, hielten wir endlich vor einem kleinen, unscheinbaren, aber sauber gehaltenen Hause. Herr Friedländer pochte an das verschlossene Thor, und alsbald ertönte aus dem Innern ein mit kräftiger Stimme gerufenes arabisches „Halt! Wer da?“ Zu unserm größten Erstaunen erwiderte Herr Friedländer in deutscher Sprache. „Machen Sie nur auf, Herr Müller! Es sind Freunde und Landsleute da, die Sie besuchen wollen.“

Der Riegel wurde zurückgeschoben, und wir traten durch das offene Thor in den Hofraum. Vor uns stand ein großer ältlicher Mann in arabischem Hauscostüm und barfuß.

„Herr Müller aus Westphalen, Leibgardist Seiner Hoheit des Beys von Tunis,“ stellte Herr Friedländer den Hausbesitzer vor, nachdem er diesem unsere Namen und Titel genannt hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_346.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)