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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


mit dem stolzen Bewußtsein: ‚das hast du richtig empfunden, das hast du richtig wiedergegeben,‘ in die Gesellschaft trat und ängstlich wie ein Schulbube auf eine gute Censur harrte, was war’s? Von gleichgültigen Dingen sprach man, wich geflissentlich jeder Anspielung meinerseits aus und ließ mich doppelt und dreifach tiefer fühlen, daß ich ihnen als ein Nichts erschienen sei, als hätten sie mir die Grobheit unverblümt in’s Gesicht gesagt. – Mit Geschrei und Gelärm wurden Andere neben mir auf der Bühne und im Leben gefeiert, nur mir, mir allein, mir wollte nicht die Anerkennung blühen. Mit Zittern sah ich der Stunde entgegen, wo die Zeitungen erschienen; ängstlich wie ein Verbrecher schlich ich im Kaffeehaus um das geheimnisvolle Blatt Papier herum; zwanzig Mal ging ich ihm aus dem Wege; beim einundzwanzigsten Male ergriff ich es, legte mich in meine Ecke und las ewig und ewig wieder, daß es nichts mit mir sei, und es war nicht wahr, nicht wahr; ich war doch etwas. Wenn ich dann nach Haus kam, mißtrauisch und scheu, wenn ich in den Augen von Weib und Kind zu entdecken glaubte, daß sie die Schmach des Gatten und Vaters schon gelesen, daß sie Mitleid mit dem haben, den sie verehren sollten – o! es giebt keine Worte für die Qualen, die ich da durchlebte. Wie hundert Mal haben wir gesessen, still in unserer armseligen Stube, stumm vor dem erkaltenden Abendbrod; ein Jeder mußte seine Thränen hinunterfressen. Das war mein Leben durch so und so viele Jahre. – – Da sieh’ her, noch vor wenigen Tagen – ich hab’s verborgen – unter meinem Kopfkissen liegt’s; ängstlich mied ich’s, damit meine Lieben es nicht lesen; da steht’s: Als ich zum letzten Male spielte – – daß ich ein Mensch ohne Kraft und Auffassung, ohne jede Wiedergabe sei; o, und Du weißt, daß ich mit dem Tode im Herzen gespielt, daß ich spielen mußte, denn nach meinem Contract hat der Director das Recht, mich nach vierwöchentlicher Unthätigkeit zu entlassen, und so schleppte ich mich hinaus vom Jammerbett, ehe die vier Wochen abgelaufen waren, um die Galgenfrist eines Monats für Weib und Kind zu retten – dafür machen sie mich schlecht. – O, diese Menschen, diese Menschen – –“

Erschöpft fällt der Kranke zurück; die Abspannung folgt naturgemäß seiner geistigen Aufregung; seine Augen schließen sich halb, und sein Geist scheint sich auf’s Neue in unbekannte Regionen zu verirren. Kaum hört er die milden Trostesworte des redlichen Freundes.

„Du bist im Unrecht, mein guter Eduard,“ spricht Walter, „wenigstens in diesem letzten Fall.“

„Im Unrecht?“ entgegnet Eduard, und es schnellt ihn empor wie ein Blitz, „im Unrecht? Und das sagst Du mir? Willst Du es Recht nennen, wenn man einen Kranken mißhandelt?“

„Aber, mein Freund, dem Mann, der unten im Parquet sitzt und Dich zu beurtheilen hat, liegt keine Verpflichtung ob, danach zu fragen, ob Du krank bist oder nicht – er nimmt Dich, wie Du ihm auf der Bühne erscheinst, und richtet sein Urtheil darnach.“

„Wie ich ihm erscheine? Also war’s in der Ordnung, daß ich ihm schlecht erschien? Das willst Du damit sagen? O, o! auch Du, auch Du? Du warst noch der Einzige, an dessen Meinung ich glaubte; sprich, sprich! Nun ist es doch ganz gleichgültig – gieb mir den Todesstoß, schnell! Glaubst auch Du, daß ich ein schlechter, nichtssagender Schauspieler gewesen?“

„Mein guter Eduard, wenn es Dich trösten kann, so nimm die aufrichtige Versicherung, daß jeder billig denkende Mann Dich stets für einen verständigen Darsteller erklärt hat, wenn auch keine großen Erfolge, kein lärmender Beifall, kein äußeres Glück Deine Leistungen begleitet haben.“

„Ein verständiger Darsteller? O!“ So ruft der Kranke mühsam und die Worte entringen sich seiner schon röchelnden Brust nur noch in kurzen Absätzen, „ein verständiger – Darsteller, o – ich weiß es –, das heißt so viel, – als: ein langweiliger – Esel –, ein talentloser Narr! Das ist die Leichenrede, die Du mir – noch bei Lebzeiten hältst? – – Das ist die Freundschaft? Das ist – – – o Thor, Thor, der ich überhaupt an etwas glaubte! Thor, der sein Leben daran setzte, für eine Idee zu ringen, und mit Ehrlichkeit nach dem Ziel strebte, das der Charlatan in drei Bocksprüngen erreicht –“

Die Aufregung hat ihn überwältigt; kraftlos sinkt er in seine Kissen zurück. Tief erschüttert steht der Freund diesem Anblick gegenüber; er hat den unglücklichen, den braven, ehrlichen Freund, den liebevollen Familienvater, den nüchternen, gegen sich selbst unerbittlich strengen Mann verehrt und vermag sich doch nicht, selbst in diesem Augenblicke, zu der Lüge emporzuschwingen, ihn über seine Fähigkeiten zu täuschen.

„Hättest Du,“ so lispelt er fast hörbar vor sich hin, „bei Zeiten diesem Traum entsagt, wärst Du nach den ersten Mißerfolgen in ein stilles, bürgerliches, ruhiges Leben zurückgekehrt, für das Dich Gott der Herr geschaffen: wie glücklich hättest Du mit Deiner Gemüthstiefe Dir und den Deinigen das Leben gestalten können! Der Theaterteufel hat Dich als eins seiner Opfer auserkoren; Du hast gebüßt für tausend Andere; fahre dahin! Dir ist nicht mehr zu helfen.“

Er drückt noch einen Kuß auf die halb erkaltete Stirn des Freundes und geht. – Draußen ist es kalt und stürmisch geworden; der Regen peitscht gegen die niedrigen Scheiben des kleinen Zimmers; die Lampe droht zu verlöschen; leise sind die Frauen eingetreten und haben vor dem Lager des Kranken Platz genommen. Marie ergreift die Hand des Vaters und beugt ihre glühende Wange darauf hernieder; die Mutter hat den Rosenkranz um ihre zitternden Finger geschlungen. Da öffnet der Kranke noch einmal die welken Lippen, und in dem Tone eines begeisterten Propheten spricht er von Visionen, die seine der Welt entrückten Sinne umgaukeln.

„Hörst Du, Marie? hörst Du das Toben des Beifalls? das Rufen der Menge? siehst Du die Lorbeerkränze, die auf mich herniederfliegen? Ha! welch’ ein Ton? Es ist ein begeisterter Tusch, den das Orchester mir darbringt.“

Die schwache Gestalt fliegt vor Erregung empor; in demselben Augenblick schrillt der durchdringende Ton der Nachtwächterpfeife, welche die erste Stunde verkündet, in das stille Zimmer.

„Nein,“ schreit der Kranke entsetzt, „gepfiffen haben sie, gepfiffen, auch in meinem letzten Augenblick.“ Seine Augen öffnen sich noch einmal mit vollem Glanz; krampfhaft preßt seine Hand die der Tochter und verhallend spricht er die Worte. „Schwöre mir, Marie, daß Du nicht zum Theater gehen wirst! Arbeite lieber, bettele lieber, aber fliehe das Theater! Es ist die Stätte des Jammers, des Elends, der Verzweiflung.“

Sein Haupt sinkt zur Seite; der Todesschatten neigt sich auf seine Stirn; die Glieder strecken sich im letzten Krampfe. Man hört nichts mehr im stillen dunkeln Zimmer, als stilles Schluchzen – weinen können die Armen nicht mehr.

Ob Marie Wort halten wird? Wir glauben es nicht.

Dr. Hugo Müller.




Das Tusculum des Schlachtendenkers.


Die geräuschvollen Feste der Czarenstadt sind verstummt. Vom Glanz des Fürstenprunkes ermüdet, sind die Staatenlenker und hohen Würdenträger, die während der letzten Wochen an der Newa versammelt waren, Einer nach dem Andern, in ihre Residenzen und Schlösser zurückgekehrt, nicht Wenige, um in der lachenden Heiterkeit ihrer ländlichen Sommersitze auszuruhen von den Anstregungen und Strapazen der Petersburger Festivitäten. Unter den Letzteren befindet sich auch ein Mann, der die Geschicke Deutschlands während der letzten Jahre zu einem großen Theile in seiner Hand hielt und sie glorreich hinausführen half – Helmuth Graf von Moltke.

Schon sind die Gemächer auf Schloß Creisau bereit, ihren hohen Herrn zu empfangen. Eine trauliche Heimstätte für den Schlachtendenker, dieses schlesische Tusculum! Inmitten einer freundlichen und fruchtbaren Gegend, eine Meile von der böhmischen Grenze entfernt, zwischen den Städten Schweidnitz und Reichenbach, liegen Schloß und Dorf. Licht und heiter schaut das Schloß – seit dem Jahre 1867 im Besitz des großen Strategen – unter seinem schwarz-blauen Schieferdache in die Landschaft hinaus. Dunkle Baumkronen mächtiger Ulmen und Linden streben zu seinen beiden Seiten empor, ihre Aeste ausbreitend und ineinander schlingend, als wollten sie ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_393.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)