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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Der Loder.

Eine Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Wolf sprang auf und eilte den Hügelabhang unter den Eichen trotz seiner Steilheit wie im Fluge hinunter; dort, wo die Mangfall, durch die Glonn verstärkt, unter der Brücke hinweg saust, neben einer schönen Baumgruppe erreichte er den Weg gerade recht, um Th’res gegenüberzutreten, die eben wieder spähend um sich blickte. Das Geräusch in den Büschen machte sie aufmerksam; sie wandte sich, daß er ihr voll in’s Gesicht sehen konnte – sie war es wirklich, aber völlig umgewandelt. Aus ihren Mienen war alle Herbheit, aller Trotz verschwunden, und ihre sonst so strengen Augen schwammen in Thränen. Diesmal besann sie sich nicht lange, was sie ihm zu sagen habe; während er noch immer wie zweifelnd sie anblickte, trat sie rasch und dicht vor ihn hin und bot ihm grüßend die Hand.

Auch er zögerte nicht einzuschlagen.

„Grüß’ Dich Gott auch!“ erwiderte er; „das ist aber seltsam, daß wir uns da begegnen. Wie kommst denn Du da her?“

„Das kannst leicht errathen,“ erwiderte sie, „nach dem Allem, was geschehen ist …“

„Ja, das ist freilich merkwürdig genug,“ rief Wolf. „In Zeit von einer halben Stund’ bin ich aus einem reichen Bauernsohn ein armer Teufel geworden, und da hast Dir halt eingebildet, Du müßtest es auch probiren, ob Du mir’s nit einreden kannst, daß ich mir ein Halsband umthun und die Ketten anlegen lassen sollt’ wie der Tiras daheim.“

„Nein“, sagte sie, indem sie ihr Tuch an die Augen drückte, „das will ich nit! Wie ich gehört hab’, was geschehen ist, droben auf dem Landgericht, da hab’ ich freilich gemeint, der Erdboden müßt’ einbrechen unter mir, aber nit deswegen, daß es so traurig hat kommen müssen, und daß ich nirgends eine Hülfe sah, wie’s wieder gut werden könnt’ … Es ist wohl hart und schwer, daß Du arm worden bist und Deine Heimath mit dem Rücken anschauen mußt – aber das Härteste ist doch, daß Du in die weite Welt ziehen und nimmer wiederkommen willst, nit einmal auf so lang, als man zum ‚B’hüt’ Gott!‘ sagen braucht.“

„Ist das wahr?“ fragte Wolf freudig bewegt. „Ist Dir das schwer gefallen?“

„Wie kannst fragen?“ entgegnete sie innig. „Zwiefach schwer ist mir’s auf’s Herz gefallen, weil ich daran ’denkt hab’, wie wir auseinander gegangen sind, daß du vielleicht im Unwillen fort gingest und mir’s nachtragst wegen meiner letzten Reden.“

In Wolf’s Herzen ward es hell wie in einem Regengewölk, durch das die Sonne bricht. „Da hast Dir Recht und Unrecht auf einmal ’denkt,“ sagte er. „Ich wäre nit im Unwillen fort’gangen, aber nachtragen werd’ ich Dir doch was – daß Du, mit der ich oft so ungut gewesen bin, mich aufgesucht hast; daß Du die Einzige gewesen bist, die es der Mühe werth gefunden hat, mir ‚B'hüt’ Gott!‘ zu sagen, das trag’ ich Dir nach, so lange ich ein offenes Auge habe – ich wundere mich nur,“ setzte er freundlich hinzu, „wie Du mich gefunden hast …“

Th’res schlug die Augen nieder; eine leichte Röthe der Verwirrung überflog ihre Wangen. „Sie haben mir gesagt, Du würdest nach Rosenheim gehen zu Deinem Advocaten,“ sagte sie beklommen und stockend, wie Jemand, der etwas verschweigen will – was dieses Verschweigen war, verrieth aber der Zug, der eben etwas weiter unten auf der Landstraße vorüberkam. Es war die Gauklerbande, die früh aufgebrochen war, um in einem der nächsten Dörfer noch eine Nachernte und ein wohlfeiles Nachtquartier zu finden. Von einem Paar schlechter Gäule gezogen, polterte der Wagen daher, der sich wie ein großer auf Räder gestellter Kasten ansah und zum zeitweisen Aufenthalt so wie zur Aufbewahrung des Künstlergeräthes diente; der Geiger schritt als Fuhrmann neben dem Gespann einher, die andern Gesellen schlenderten nach Belieben hinterdrein, von der Tänzerin war nichts zu gewahren; sie hatte wohl den Ehren- oder Vorzugsplatz im Innern des Wagens erhalten.

Ein Blick auf die Wandernden und dann auf Th’res sagte Wolf Alles, was sie verbergen wollte. Offenbar hatte sie ihn überall gesucht und, als sie ihn nicht gefunden, ihn in der Nähe der Truppe vermuthet, die sich eben zum Aufbruch gerüstet haben mochte. Er gedachte der eifersüchtigen Regung, die aus ihren Worten bei der letzten Begegnung gesprochen; er überlegte, daß sie diesem Grolle doch nicht nachgegeben und es nicht über’s Herz gebracht hatte, ihn, wenn er auch verarmt war, ohne einen letzten Gruß ziehen zu lassen, und diese Gedanken brachten immer mehr Lichtglanz und Sonnenwärme in sein Gemüth. Wie er seit dem Gespräch mit dem Schützenpeter Th’resens äußere Erscheinung mit ganz andern Augen ansah, so erschien ihm jetzt auch ihr Inneres in völlig verändertem Lichte; mit Einem Schlage ward ihm auf Jahre zurück ihr ganzes Betragen klar, und er erkannte, daß, was er oft für Feindseligkeit und mürrisches Wesen gehalten, nichts anderes gewesen, als die Stachelhülle einer kostbaren Frucht, die herbe Schale um den süßen Kern einer geheimen, tief

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_431.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)