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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

immer, daß sie ihre Briefe an Goethe, die sie sich von ihm hatte zurückgeben lassen, vernichtet hat. Das Grab Stephan Schütze’s (starb 1839), des gemüthlichen Dichters „für Liebe und Freundschaft“, der an Goethe’s Cirkeln regen Antheil nahm, auch die der Johanna Schopenhauer fleißig besuchte, ziert eine einfache Lyra. An derselben Mauer finden wir das Grab Johann Friedrich Röhr’s (starb 1848), den Karl August aus Ostrau bei Zeitz nach Weimar berufen, des unerschrockenen Kämpfers für evangelische Wahrheit und Freiheit dessen Reformationspredigt 1838 gegen die Jesuiten Weltruf erlangte. Er hielt Karl August, dessen Gemahlin Luise und Goethe die Gedächtnißreden, Muster in ihrer Art. Gleichfalls an der westlichen Wand hebt sich hervor das Hauptreliefbild Johann Nepomuk Hummel’s (starb 1837), letzten Schülers von Mozart. Wie er das Glück hatte, in Wien von dem frischen Hauche der großen Musikperiode dieser Stadt angeweht zu werden, so sollte er, als der letzte weimarische Capellmeister bei Goethe’s Lebzeiten, den er durch sein herrliches Spiel oft erfreute, wenigstens die ablaufende Zeit unserer classischen Literaturepoche in unmittelbarster Nähe noch schauen. In gar mancher seiner Compositionen wird er fortleben; unerreicht ist er noch heute als Improvisator auf dem Clavier.

Unter dem deutschen Baum, der Linde, schlummert Johannes Daniel Falk (starb 1826), der mit Goethe mannigfach verkehrte, auch ein Buch über ihn schrieb, als Satiriker viel genannt, im Leben aber der harmloseste Mensch, ein warmer Kinderfreund. Seine in bedrängten Zeiten gestiftete Anstalt für arme verwaiste, zugleich sittlich verwahrloste Kinder („Gesellschaft der Freunde in der Noth“) wirkt in Weimar noch heute segensreich fort.

Nächstdem fällt uns das Grab des Geheimen Hofraths Franz Kirms in die Augen, des im Vereine mit Goethe nach der Verwaltungsseite hin rastlos thätigen Vorstehers des Theaters. Obgleich auf einem Auge blind, sah er für Drei. Zu erwähnen ist überdies, auch als ein für das Theater rüstig Mitwirkender – Goethe, sein Schwager, bezeichnet ihn als „immer thätigen Theaterdichter“ – Christian August Vulpius (gestorben 1827), der bekannte Verfasser des Rinaldo Rinaldini und anderer Unterhaltungsschriften. Als Bibliothekar nahm er sich des Interesses der Anstalt treulich an. Er war ein kleines hageres Männchen, hochblond, etwas gerötheten Gesichts, gesprächig und dienstfertig. Sein Amtsnachfolger Friedrich Wilhelm Riemer zählte zu den strenggläubigsten Goethe-Anbetern; er ließ sich sogar zu der Behauptung fortreißen: alles Gute, was Schiller gehabt, habe er seinem Freunde Goethe listig abgeschwatzt oder gestohlen. Riemer’s griechisches Lexikon, so viele Mängel es auch hat, ist noch immer besser als seine Goethe ängstlich nachgedrechselten kalten Verse. Ein in der Nähe der Fürstengruft sichtbares Erbbegräbniß enthält den Sarg eines Mannes, der sich nicht blos als Staatsbeamter bemerklich machte, sondern auch für die Erscheinungen in der Literatur ein seltenes Verständniß besaß. Mit Goethe war er viel zusammen. Sein Stil ahmt fast zu absichtlich den vornehm-ceremoniösen, geglätteten Goethe’s aus seinen späteren Jahren nach. Es ist der Kanzler und Geheimrath Friedrich von Müller. Auch Goethe’s Hausarzt, Staatsrath Dr. Vogel, hat ein gutes Buch über ihn geschrieben („Goethe in amtlichen Verhältnissen“), das in dem betreffenden Literaturzweige eine vorzügliche Stelle einnimmt. Der Kunstkenner und Freund Goethe’s, Meyer, und auch der einstmalige Redacteur des Stuttgarter Kunstblattes, Dr. von Schorn, ruhen hier.

In nicht allzuweiter Entfernung ist um ihren Lehrer Goethe her eine Anzahl von dramatischen Kunstjüngern gebettet, einst der Stolz und die Zierde der Weimarer Bühne; unter ihnen der vorzüglichste von Allen: Pius Alexander Wolff. Etwas mehr abwärts liegt Ludwig Oels begraben, der schöne Mann mit dem Apollohaupte, wie ihn uns sein Medaillonbrustbild auf seiner Grabtafel noch zeigt, seines vorgedachten Collegen, dem er ergreifende Worte in’s Grab nachrief, würdiger Genoß. Ebenso August Durand, Friedrich Lortzing, der treffliche Komiker und Charakterdarsteller; so ferner Graff und Haide, jener der erste deutsche Wallenstein, dieser der erste Teil, und die beiden Sangesmeister Stromeier und Moltke, einstige Inhaber schönster Stimmen, wie sie Gott nicht alle Tage in die Menschenbrust und -Kehle legt. Neben seiner Gattin schläft hier auch Karl Eberwein, Componist der Holtei’schen „Lenore“ und Dirigent der Goethe’schen Hauscapelle, dem Goethe bezeugt: „er dirigirte meisterhaft“. Der Genast’sche Begräbnißplatz befaßt die Hüllen Anton Genast’s, Goethe’s bewährten Regisseurs, seines Sohnes Eduard, der, noch unter Goethe Anfänger, ein so tüchtiger Künstler wurde, und dessen „Tagebuch eines alten Schauspielers“ Unterhaltendes und mehrfach Belehrendes enthält, und der Gattin desselben, Christine, geb. Böhler, dieser feinsinnigen Schauspielerin, welcher auch Goethe seine Achtung nicht versagen konnte.

Nur wenige Schritte von der Fürstengruft befindet sich das Grab Johann Peter Eckermann’s (starb 1854). Sein fürstlicher Zögling, der Großherzog Karl Alexander, hat ihm, „dem Freunde Goethe’s“, in Dankbarkeit einen Grabobelisk setzen lassen. Die Bedeutung Eckermann’s, den sein Wissensdurst vom armen Hirtenknaben aus Winsen im Hannoverschen zum Gelehrten emporhob und der in seinem fünfundzwanzigsten Jahre noch das Gymnasium in Hannover besuchte, besteht weniger in dem, was er selbst geschaffen, als in dem Verdienste, das er sich durch die Herausgabe der in mehrere europäische Sprachen, auch in’s Türkische übersetzten „Gespräche mit Goethe“ erwarb. – Auf der Höhe, im Bereich der griechischen Capelle, leuchtet uns entgegen der Stein eines der Auserwählten der Kunst, eines gewaltigen Dichters auf der Leinwand, dessen Hand Pinsel und Palette noch immer zu früh entsanken: Bonaventura Genelli’s (starb 1868). Hoch hielt Karl August seinen berühmten Orgelmeister Gottlob Töpfer, den genialen Verbesserer des Orgelbaues. Seine zahlreichen Schüler und Freunde haben ihm ein geschmackvolles Denkmal gestiftet. Auf eben dem Friedhofe, für dessen freundliche Anlage er gleich von vornherein gesorgt und auf dem er ein Leichenhaus, das erste in Deutschland, hatte bauen lassen, ruht der Mann, dem wir in der Schiller’schen Begräbnißangelegenheit, worin er so entschlossen vorging, bereits begegneten: der um seine Vaterstadt wohlverdiente Bürgermeister Karl Leberecht Schwabe. Hier fanden auch ihr Grab der vormalige Bibliothekar Theodor Kräuter, und der Ordner und Aufseher der Goethe’schen Sammlungen, Johann Christian Schuchardt.

Im Vorbeigehen fällt unser Blick noch auf ein schlichtes Grab mit der Bezeichnung: „Hier ruht in Gott Georg Gottfried Rudolph, geboren den 5. August 1778 zu Unterweißbach, starb den 24. April 1840 zu Weimar.“ Es war dieser Rudolph Schiller’s treuer, letzter Diener, der seinen geliebten Herrn noch mit in den Sarg eingelegt hat.

So viele andere ehrenwerthe Namen auch noch die Stätte nennt, aus der wir unsere Wanderung zurückgelegt und kurze Umschau gehalten haben, so glaubten wir doch vorzugsweise auf diejenigen Persönlichkeiten unser Augenmerk richten zu müssen, welche in nächster und näherer Beziehung zu der großen Zeit Weimars standen. Weihen doch sie vor Allen die Friedhöfe dieser Stadt zu den anziehenden Wallfahrtsorten, die sie sind.




Von einem Vielgenannten.

„Da sitzt mein lieber Freund Lasker. Ich kann wirklich mit Falstaff sagen: ‚Der Junge hat mir einen Trank eingegeben, daß ich ihn so liebe; es kann nicht anders sein, er hat mir einen Trank eingegeben.‘ Mit wahrer Vaterfreude habe ich gesehen, daß er mich bald überragte, und jedes Mal, wenn er muthig sich hineinwagt und von allen Seiten angegriffen wird, fühle ich in mir den Aufruf, ihm beizustehen, was ich aber seinen Fractionsgenossen überlassen muß. Brächte ich ihn heraus, würde ich mir vorkommen wie der alte Talbot, der seinen wackern Jungen, den John, aus der Schlacht bringt und ihm zuruft:

‚Als Du vom Helm des Dauphin Feuer geschlagen,
Da ward mein Vaterherz emporgetragen
In stolzer Siegesbegier.‘“

Ein eigenthümlicher Zufall war es, der dem großen Volksmann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_550.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)