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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Der Geiger-König und seine Königin.


Wie die engste Lebensgemeinschaft, das festeste irdische Band Joseph und Amalie Joachim verknüpft, so sind sie auch geistig auf’s Innigste miteinander geeinigt. Zur Seite des Königs der Geiger steht als seine Gattin eine Königin im Reiche des Gesanges. Beide verkörpern uns das Künstlerthum in seiner lautersten Gestalt; mit einer Fülle gleich echter Kränze sehen wir ihre Häupter geschmückt. Keine Macht haben über sie die den Helden der Bühne und des Concertsaales so gefährlichen Lockungen gefallsüchtiger Eitelkeit oder goldgieriger Erwerbslust. Im Gegensatz zu manchen gefeierten Berufsgenossen, denen der persönliche Vortheil höchster Zweck und die Kunst nur das geschmeidige Mittel gewesen, geht ihr gesammtes Empfinden und Thun im keuschen Altardienste der Schönheit auf.


Joseph und Amalie Joachim.


Nie haben treuere Hände das musikgenießende Publicum vor das Angesicht der geliebten Meister geleitet, ein reineres Wollen und meisterlicheres Können in dem Gemüthe der Hörer den bekräftigenden Wiederhall geweckt.

Als das jüngste von sieben Kindern wurde Joseph Joachim am 28. Juni 1831 in Kittsee, einem unansehnlichen ungarischen Dorfe bei Preßburg, geboren. Sein Vater war ein kleiner Kaufmann, dem es trotz beharrlichen Fleißes nicht gelingen wollte, sich aus gedrückten Verhältnissen emporzuarbeiten. Unser Held hatte sein erstes Jahr noch nicht vollendet, als die Familie nach Pest übersiedelte. Die bekannte Erfahrung, daß kein Talent so früh sich zu regen pflegt wie das musikalische, sollte sich auch an ihm bewähren. Eine Guitarre, die bei den Gesangsübungen der ältesten Schwester zur Begleitung diente, war ihm das liebste Spielzeug, bis ihm der Vater eines Tages eine Kindergeige vom Jahrmarkt mit heimbrachte. Diese wurde nun seine unzertrennliche Genossin, und bald begann sie unter den keinen emsigen Fingern gar anmuthig zu singen und zu klingen. Was er hörte, geigte er nach. Wenn seine Altersgenossen lärmend und jubelnd sich umhertummelten, kauerte er in einem abgelegenen Winkel, voller Glückseligkeit die Weisen wiederholend, die er den wandernden Zigeunern, diesen unermüdlichen Hütern des reichen melodischen Nationalschatzes, abgelauscht. Stundenlang mußten ihn oft seine Angehörigen suchen, bis ihnen ferne Violintöne den Weg wiesen. So ging es bis in das sechste Jahr fort; erst da erhielt der Knabe Unterricht. Sein gutes Glück gab ihm in dem Polen Servaczynski einen erfahrenen, pflichtgetreuen Lehrer. Diesem verdankte er eine frühzeitig wohlgesicherte Technik die unerläßliche Grundlage jedes künstlerischen Berufes über deren Mangel kein nachträglicher Aufwand an Mühe und Fleiß hinwegzuhelfen vermag.

Noch nicht sieben Jahre alt, erntete er schon seine ersten Lorbeern im Concertsaale. Er hatte allmählich den von seiner Heimath dargebotenen musikalischen Bildungsstoff erschöpft, und man mußte daran denken, ihn auf einen nahrhaftern Boden zu versetzen. In Wien lebten zwei wohlhabende Brüder des Vaters. Sie versprachen für die Zukunft des Neffen zu sorgen. Zunächst erhielt er nun Georg Hellmesberger zum Lehrer. Dieser gab indessen, nachdem der Unterricht fast ein Jahr hindurch gedauert, plötzlich die Erklärung ab, die rechte Hand seines Zöglings sei zu schwach, um den Bogen mit dem nöthigen Nachdruck zu führen. Gerade zu jener Zeit feierte der berühmte Violinspieler Ernst in der österreichischen Hauptstadt glänzende Triumphe. Zu ihm eilte der jugendliche Kunstgenosse und klagte seine Noth. Er fand wohlwollende Aufnahme, nicht blos tröstlichen Zuspruch und aneifernde Ermunterung, sondern auch werkthätige Hülfe. Dank der Vermittelung des Virtuosen nahm dessen Lehrer, der treffliche Lehrer Böhm, den Knaben zu sich in’s Haus, um jeden freien Augenblick ihm widmen zu können. Nach drei Jahren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_611.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)