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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


führt unsere Liste die Zahl von dreiundzwanzig auf. Vier Ingenieure, neunzehn Gewerbetreibende, einige Commis, ein Manufacturist, ein Geschäftsreisender, drei „respectable“ junge Männer äußern in ganz klaren, geschäftsmäßigen Worten, was für Frauen sie begehren. Selbst zwei englische Lords bieten sich auf unserm Ehemarkte feil, beide „in ihren besten Jahren“, der eine „zwischen fünfzig und sechszig“, der zweite „genau fünfundfünfzig alt“. Der Letztere denkt offenbar, daß dieses Alter ihm nachgesehen wird, da er viertausend Pfund jährliche Einkünfte besitzt und seiner Wittwe, so lange sie lebt, des Jahres tausend Pfund aussetzen wird.

Unter den zweihundertvierundfünfzig den Ehestand erstrebenden Herren haben nur elf die Süßigkeit desselben schon gekostet. Mit Ausnahme eines einzigen, der sich auf eine Dame „von schmaler Taille und mit hübschem kleinem Fuß“ capricirt, sind diese Wittwer hinsichtlich der zu wünschenden weiblichen Reize nicht so wählerisch wie ihre ledigen Genossen. Diese stellen ihr Licht keineswegs unter den Scheffel. So wünscht unter Anderen „ein römisch-katholischer Herr mit schönem, geistvollem Gesicht, der zehn Jahre jünger aussieht, als er wirklich ist, eine Frau, die jedoch sehr hübsch, von liebevollstem Gemüth, heiterster Laune und nicht unbemittelt sein muß“. Auch Nichtengländer, Deutsche, Franzosen, Russen, Amerikaner u. A., figuriren in ziemlicher Menge unter unseren Ehecandidaten. Ein Amerikaner von einunddreißig Jahren, fünf Fuß sieben Zoll hoch, blond, mit blauen Augen und von guter Familie, mit fünftausend Pfund Geschäftscapital, das ihm jährlich einen Gewinn von fünfzehnhundert Pfund erzielt, möchte sich mit einer jungen englischen Dame zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren, von mittlerer Größe, mit schwarzen Augen und Haaren, von guter Figur, heiterem Gemüthe und einigem Vermögen, in Verbindung setzen; das letztere Moment ist indessen nur ein nebensächliches, vorausgesetzt, daß sie alle die anderen der aufgezählten Erfordernisse besitzt, „jene Eigenschaften, die von allen echten Männern gewürdigt werden.“

Mit diesem uneigennützigen Wunsche des blonden Yankee’s wollen wir unsere Auszüge aus dem Londoner „Organe zur Beförderung häuslicher Glückseligkeit“ beschließen. Wir meinen, sie sind hinreichend, um unsern Lesern darzuthun, wie das genannte Blatt für nur drei Pence wöchentlich einem längst gefühlten Bedürfnisse abhilft. Vielleicht regen unsere Mittheilungen auch den deutschen Journalismus zur Nachahmung an; an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die für ihre Beiträge ohnedem noch bezahlen, dürfte es auch einem deutschen Unternehmen solcher Art sicherlich nicht fehlen.

S.




Der Kulihandel.
Ein Aufruf an die Menschheit des neunzehnten Jahrhunderts.
Von Franz von Holtzendorff.


Zu allen Zeiten ist der Glaube eine Macht gewesen. Er ist es auch noch heute. Gerade diejenigen, welche mit kirchlichen Formen nichts zu thun haben mögen, bekennen sich zu dem festen Glauben, daß die Menschheit in stets vorwärts schreitender Bildung höheren Zielen der Gesittung entgegengeht. Inmitten der unberechenbaren Bereicherung unserer naturwissenschaftlichen Kenntnisse, umgeben von den überraschenden Anwendungen neuer Entdeckungen auf Gewerbe und Volkswirthschaft, empfangen wir die Offenbarungen der niemals rastenden Forschung.

Es ist ein Zeichen unserer Zeit, daß wir Angesichts täglicher, in unser Leben tief einschneidender Verbesserungen und Umwandlungen uns rückhaltlos dem Glauben an den Fortschritt der Menschheit hingeben. Wer vermöchte zu leugnen, daß dieser Glaube eine Macht in der heutigen Gesellschaft ist? daß er den Trägen anspornt, den Ehrgeizigen reizt, den Zweifelnden verstummen läßt und den schlummernden Trieb des Vorwärtsschreitens in minder thatkräftigen Naturen zur Thätigkeit antreibt? Aber dieser an sich wohlthuende Glaube wird zum verderblichen Wahn, wenn er die Gesammtheit der menschlichen Lebensverhältnisse, ohne nähere Unterscheidung naturwissenschaftlicher und sittlicher Verhältnisse, ergreift. Es giebt in der Gegenwart einen Culturwahn, der auf die Nachtseiten unseres Zeitalters hochmüthig herabblickt. Er meint, daß nach dem Gesetze des Fortschreitens Alles von selbst besser werden müsse, daß es keiner menschlichen Anstrengung bedürfe, um die unser sittliches Dasein bedrohenden Gefahren zu beseitigen. Diesem Glauben an die Vortrefflichkeit der Dinge entstammt die träge Macht des bequemen Beharrens, der unthätigen Gleichgültigkeit, einer oft erschreckenden Gefühllosigkeit, aus welcher dann die größten Nichtswürdigkeiten die Bedingungen ihres Daseins und Fortwucherns entnehmen. Es ist Culturwahn, zu glauben, daß die Freiheit der Menschen von selbst komme. Freilich schießen die Aehren der Saatfelder anfangs höher empor, als die Blüthen des Unkrautes. Was würde man aber von dem Landmann sagen, der da meint, das Unkraut werde sich selbst ausrotten, wenn man nur den Weizen ungehindert emporwachsen lasse? Aus dem sittlichen Culturwahn der Gegenwart und seinen Uebertreibungen entspringt die Gleichgültigkeit, mit welcher die heutige Welt den Rückfällen in die Barbarei zuschaut. Solche Rückfälle ereignen sich gleichwohl täglich, trotz aller naturwissenschaftlichen Fortschritte. Die Epoche der Religionszwiste, des Glaubenshasses, der Verfolgungssucht, die wir für immer beseitigt wähnten, erneuert sich vor unsern Augen. Eigenthum und Familie, die wir als gesicherte Güter unserer Vergangenheit betrachteten, werden von der durch Genußsucht aufgestachelten Menge von nun an in Frage gestellt. Und umgekehrt, die Heiligkeit der menschlichen Arbeit verfällt der Verachtung derer, welche glauben, durch Börsenspiel im Umsehen reich werden zu können. Meinten wir nicht, der Sclaverei sei mit dem Siege der nordamerikanischen Union endlich ihre Grabesstätte bereitet worden? Kaum verschwindet an den Gestaden des atlantischen Oceans der Negerhandel, da verpestet die Ufer des stillen Meeres der nichtswürdigste Menschenschacher. Wir sind Zeuge eines Rückfalles in die Sclaverei, deren Opfer der asiatische Kuli ist.

Fragt euren Nachbar, ob er etwas von den Kuli’s gehört habe, ob ihn ihr Schicksal bekümmere? Ich wette darauf, daß Jeder, der eine Zeitung liest, irgendwo einmal auf den Kuli gestoßen sein muß. Aber ebenso sicher bin ich, daß die meisten der Zeitungsleser sich dabei keinen Augenblick des Nachdenkens gönnen, sondern auf ihrer Wanderung durch die Zeitungsspalten sich gleich dem Reisenden, der auf dem Eilzuge durch unfruchtbare Gegenden fliegt, in eine Ecke werfen, ohne nach dem Namen der Station zu fragen, an welcher sie einige Minuten halten. Die wenigsten achten es der Mühe werth, zu fragen, welche Bewandtniß es mit den Kuli’s habe. Es geht sie nichts an, so meinen sie, ich denke aber, daß es hohe Zeit ist, sich mit dem Kuli zu beschäftigen, denn sein Schicksal belehrt auch uns über die uns bedrohenden Gefahren jenes giftigen Unkrautes, das wir Culturwahn genannt haben.

Zuvorderst also: der Kuli ist eine Menschengestalt, welche als Waare verhandelt wird.

Das Aufkommen des Kulihandels steht mit der Abschaffung der Negersclaverei in einem unleugbaren Zusammenhange. Sobald die afrikanische Bezugsquelle spärlicher floß, wendete der Scharfsinn des menschlichen Eigennutzes sich andern Himmelsgegenden zu. Spanische Ansiedler des sechszehnten Jahrhunderts waren die ersten, welche Negersclaven nach ihren indischen Besitzungen brachten. Republikanische Abkömmlinge dieser Spanier in Peru waren auch die ersten, welche Kuli’s (das heißt Handarbeiter niederen Ranges) nach dem östlichen Gestade des stillen Oceans schleppten. Aeußerlich wirkten hierbei zwei Thatsachen zusammen: die im Anfange des vierten Jahrzehntes dieses Jahrhunderts erfolgte Freigebung der bis dahin gehemmten chinesischen Auswanderung und die Abschaffung der Negersclaverei in Peru unter Castilla’s Präsidentschaft. Allmählich verbreitete sich, einer Seuche gleich, das von Peru gegebene Beispiel über andere tropische und subtropische Länder, insbesondere die Antillen, Centralamerika, Guyana, Australien. Unter dem Namen der Auswanderung chinesischer Arbeiter auf Grund von Passagevorschuß und Dienstvertrag bildete sich nach und nach ein in allen Einzelheiten sorgfältig ausgebildetes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_615.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)