Seite:Die Gartenlaube (1873) 644.JPG

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

seinem Platze, sondern ewig beweglich, tauchte er halb hier, bald dort auf – und rief mir halblaut zu:

„Sie zeichnen ja aber nicht! Zeichnen Sie doch!“

Als ob man so gar keiner Vorbereitungen, keines Nachdenkens zu einem künstlerischen Werke bedürfe! Ich würde ganz der Mann nach seinem Geschmacke gewesen sein, hätte ich ihm einige seiner Gegner in schlagenden Carricaturen auf’s Papier werfen können, die er dann zu seinem größten Amüsement sofort herumgezeigt haben würde.

Ich weiß nicht mehr, was an jenem Tage verhandelt wurde, denn das Sehen war mir, dem jungen Maler, wichtiger und interessanter als das Hören, und da mein Nachbar, Dr. B., mir in liebenswürdiger Weise die am meisten hervorragenden Persönlichkeiten zeigte und geschickt charakterisirte, so hatte ich hinlänglich Gelegenheit, Sehstudien zu machen. Da hörte man gute, längst bekannte und berühmte Namen. Oft allerdings wollte die äußere Erscheinung, die man vor sich hatte, nicht den Vorstellungen entsprechen, die man sich von verehrten und bewunderten Männern zu Hause gemacht hatte. Vor Allen möchte ich in dieser Beziehung Uhland erwähnen. „Ist es möglich,“ fragte ich mich, „daß dieser unansehnliche, uninteressante, unschöne Mann eine so reine, edle Dichterseele in sich trägt und so viel Unsterbliches geschaffen hat?“ Ich hatte später Gelegenheit, mich ungestört in seine Physiognomie vertiefen zu können, aber es ist mir doch nicht geglückt, auch nur einen leisen Abglanz seines reich begabten Innern, aus dem so viel herrliche Poesie in die deutsche Welt gezogen ist, auf seinem Antlitz oder in seinem Wesen wiederzufinden.

Da machte der kleine alte Vater Arndt einen andern Eindruck! Ein munteres, schnelles und bestimmtes Wesen. Wie freundlich der Ausdruck seines Gesichts! Wie lebendig und im tiefsten Grunde ehrlich sein Blick! Wie herzlich sein Händedruck und wie warm, wie belebend das, was er sprach! Stets war er sehr sauber gekleidet: weiße Halsbinde und dunkelblauen altdeutschen Rock mit Stehkragen, auf dem Kopfe ein schwarzes Sammetbarret, aber immer ohne Handschuhe auf den Händen. Er war ein recht angenehmes Bild eines echt deutschen Mannes und Gelehrten.

Aber der Alte mit dem langen weißen Barte, dem schwarzen Käppchen auf dem Kopfe, der in so gerader fester Haltung dort an der Linken vorüberschreitet, wer ist denn der? –Es war eine imposante Erscheinung, wie sein Monument uns zeigt, und sein hoher Körperbau hatte wirklich etwas Monumentales, denn er war wie aus Stahl und Eisen gefügt; dazu verlieh ihm der kühne durchdringende Blick über einer scharfen Adlernase etwas Außergewöhnliches. Es hat oft unser Staunen erregt, wenn der alte zweiundsiebenzigjährige Mann wie ein siebenzehnjähriger Jüngling über den gedeckten Tisch sprang und dabei nur die eine Hand in der Mitte des Tisches aufsetzte. Er hatte viel humoristische Begabung und wußte die gesellige Heiterkeit oft auf recht liebenswürdige Weise anzuregen, konnte aber auch von einer kolossalen Grobheit sein, die Lichnowsky zuweilen in seinem Uebermuthe und seiner Rücksichtslosigkeit an ihm herausforderte, doch stets zu seinem Nachtheil, denn der Alte blieb ihm nichts schuldig, sondern zahlte mit doppelter Münze, so daß die Lacher stets auf seiner Seite waren, die fürstliche Durchlaucht aber ziemlich verdutzt dreinschaute und das Empfangene sehr unverdaulich fand. Der Vater Jahn dutzte natürlich Jedermann.

Da sehe ich wieder den Fürsten drüben auf der äußersten Linken mit einem jungen Manne auf- und abspazieren. Er hat ihn untergefaßt und redet lebhaft in ihn hinein. Der junge Mann, von sehr kräftiger Körperconstitution, mit einem auffallend bedeutenden Kopfe auf den breiten Schultern – etwas Muthiges, Löwenartiges liegt in diesen Gesichtszügen – hört den Fürsten mit ziemlich überlegenem Lächeln an und scheint das Gehörte mehr amüsant als überzeugend zu finden. Dieser junge Mann ist Karl Vogt, der berühmte Professor aus Gießen, ein Mann von der außergewöhnlichsten Begabung, mit einem der gewaltigsten Rednertalente, der von der Natur geschaffene Führer einer Revolutionspartei.

Obgleich die beiden Männer die entschiedensten Gegner waren, wie zwei Pole sich in der Politik gegenüber standen und Einer die Grundsätze des Andern verachtete, ja, mit Entrüstung von sich stieß, übte doch das Bedeutende in Vogt’s Auftreten eine unverkennbare Anziehung auf den Fürsten. Ich glaube, Vogt, dem nichts unter der Sonne zu imponiren vermochte, war einer von den Wenigen, die dem Fürsten imponirten. Vogt durchschaute die Schwächen und Vorurtheile Lichnowsky’s vollständig. Er fand ihn aber amüsant, spaßhaft, wie das der Beiname, den er ihm gab: Fürst Snaphansky, bezeichnet. „Meinen Freund Vogt dürfen Sie mir nicht auf Ihrem Bilde vergessen; dem verteufelten Kerl müssen Sie einen Hauptplatz einräumen,“ äußerte der Fürst zu mir.

Ich will nun versuchen, einen leichten Umriß von der persönlichen Erscheinung des Fürsten zu geben.

Lichnowsky galt für einen schönen Mann, und man würde das mitleidige Lächeln der meisten Damen erregt haben, hätte man das Gegentheil behaupten wollen. Das soll auch nicht geschehen; aber ich glaube, das Fesselnde lag bei ihm weniger in der Regelmäßigkeit der Züge, als in der Lebhaftigkeit und der großen Elasticität seines ganzen Wesens. Er war ziemlich hoch gewachsen und hatte namentlich gut gebaute Schultern. Die Taille hatte bereits etwas von ihrer jugendlichen Feinheit verloren, und er würde offenbar in späteren Jahren stark zugenommen haben, zumal er auch im Essen und Trinken von Mäßigkeit nichts wußte. Aber im vierunddreißigsten, seinem letzten Lebensjahre, trat die ursprüngliche Harmonie und das Ebenmaß seines Körperbaues noch angenehm hervor.

Seine Gesichtszüge konnten eigentlich nicht auffallend edel genannt werden. Die Augen waren dunkel und ausdrucksvoll, doch nicht allzu groß, und da er kurzsichtig war, kniff er sie noch mehr zusammen. Seine Nase war fein, nicht lang und die Spitze ein klein wenig heraufgestellt. Seine Wangen waren voll, die Farben derb und gesund; der Mund war gut geformt; die Lippen waren voll und sinnlich; die Stirn, wie überhaupt der ganze Schädel war schön und in breiten Flächen angelegt, und ich glaube, der Phrenolog würde mit Leichtigkeit die bedeutenden Fähigkeiten an ihm haben entdecken können. Seine Füße waren echt aristokratisch und wirklich schön. Seine Hand war keine weichliche, fette Frauenhand, sondern bei aller Feinheit und Schönheit trat an ihr das Männliche entschieden hervor. Man glaubte ihr, daß sie befähigt sei, das Pistol und den Degen zu führen. Sein Organ dagegen war abscheulich. Die sonoren, männlichen Klänge, sowie die weithinschallende Kraft, wie sie Vogt und Moritz Hartmann in wunderbarer Weise besaßen, fehlten ihm ganz. Und doch hatte sein heiseres, immer in die Höhe getriebenes Organ etwas Ehernes, was ihm einen durchdringenden Klang gab und ihn befähigte, wo Mehrere sprachen, doch immer durchzuschneiden.

Obgleich sein Vater ein gelehrter und wissenschaftlich durchgebildeter Mann gewesen ist (eine der besseren Geschichten des Hauses Habsburg ist von ihm; sie wird von Gelehrten anerkannt und citirt), hat der Sohn doch wohl nie dasselbe Ziel erreicht, oder ihm auch nur nachgestrebt. Verschiedenen Hofmeistern soll er in seiner Jugend das Leben recht schwer gemacht haben. Der Fürst wußte offenbar Vielerlei – von Allem etwas – und immer das Pikante von der Sache. Er konnte in mehreren lebenden Sprachen sich unterhalten, wie man das von einem so hohen Aristokraten vorauszusetzen pflegt; ja er soll sogar während eines Feldzuges in Spanien, den er natürlich auf Seiten des Don Carlos mitgemacht hat, in sechs Wochen das Spanische erlernt haben.

Schon als Knabe hatte er die höchste Passion für interessante Lectüre, und er wußte seine Umgebung so zu täuschen, daß er heimlich manche Nacht mit Lesen verbringen konnte. Leider kamen ihm damals schon viele französische und nicht immer gute Romane in die Hände, deren begieriges Insichaufnehmen dem kindlichen Gemüthe nicht dienlich sein konnte. Ein Romanheld zu werden, bildete schon früh das Ideal seines Lebens. Dieser Anschauung ist er eigentlich auch bis an’s Ende seines Lebens treu geblieben. Als einst in einer Gesellschaft beim Grafen X. über die Vorbilder oder Ideale des Lebens gesprochen und er, der neunzehnjährige Jüngling, von der schönen Wirthin aufgefordert wurde, ihr doch auch das seinige zu enthüllen, antwortete er schnell: „Haben Sie, gnädigste Gräfin, ‚La vigie de Koat-Ven‘ von Eugen Sue gelesen?“

„Ja wohl, die Geschichte von dem kalten, egoistischen, glatten Grafen, der verdient hätte, unglücklich und elend zu werden, und doch stets, wie ein Hohn der göttlichen Gerechtigkeit, glücklich in

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_644.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)