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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


in dem zweitausend Morgen großen Stadtwalde von Hannover zu. Als einen Lohn für seine Standhaftigkeit in der Leitung und Erhaltung seines „Norddeutschen Morgenpromenadenbeförderungsvereins“ preist er es, daß er, schon den Siebenzigern nahe, an einem Festtage neben seiner Hauptpredigt noch dreizehn Reden halten und doch noch an einem Festmahle, das aus Anlaß der letzten, einer Traurede, stattfand, theilnehmen konnte.

Schwerer als die Zeit war für seine wohlthätigen Unternehmungen häufig das Geld zu beschaffen. Hier ist hervorzuheben, daß Bödeker nicht blos mit fremden Gaben waltete, sondern daß er es vermochte, aus seinen eigenen Mitteln jährlich fünf- bis sechshundert, also in dem Zeitraume von fünfzig Jahren etwa dreißigtausend Thaler zu opfern, und zwar, wie er ausdrücklich bemerkt, „ohne andere Pflichten darüber zu versäumen“.

Einem Manne, der so mit dem Beispiele vorangeht, mußte es Jedermann verzeihen, daß er gleiche Ansprüche an Opferfreudigkeit an Jeden machte, von dem er wußte, daß er auch opferfähig sei. Und bedeutende Summen bedurfte Bödeker, wenn auch nach und nach, für seine Unternehmungen, wie die Stadtschullehrerwittwencasse für die Residenz Hannover, die Marienstiftung zur Ausbildung armer Mädchen für häuslichen Dienst, das Rettungshaus in Ricklingen bei Hannover für je zwanzig bis dreißig verwahrloste Knaben, die allgemeine Volksschullehrerwittwencasse für das ganze hannoversche Land, das mehrgenannte Schwesternhaus, den Mäßigkeitsverein, den Thierschutzverein mit Pferdeschlächterei. Außer diesen und noch vielen anderen Stiftungen, deren Mitglied er ist um seiner Unterstützungen willen, erforderten Einzelunterstützungen zahlreicher verschuldeter und unverschuldeter Unglücklicher noch Tausende, und alle diese Mittel brachte der „Reichsfechtmeister“ zusammen. So weit hat er es darin gebracht, daß, wie er selbst erzählt, an öffentlichen Plätzen wie im Privatkreise, sobald er sich rührt, alle Hände nach den Portemonnaies greifen; kein Wunder, daß die Poesie noch weiter in der Anerkennung dieser Meisterschaft geht und prophezeit, daß, sobald Bödeker einst im Himmel erscheine, selbst der liebe Gott zum Portemonnaie greifen werde.

Ganz besonders muß aber betont werden, daß Bödeker nur annahm, was ihm freiwillig gespendet wurde, ohne Pressung, ohne Hinweisung auf ewige Vergeltung oder Bedeckung etwaiger Sünden; es mußte ihm entgegengetragen, freudig geopfert, oft sogar aufgedrungen werden, wenn er befürchten konnte, daß zunächst Betheiligten dadurch etwas entzogen würde. Vor den milden Stiftungen standen ihm immer und überall jedes Einzelnen eigene Angelegenheiten. Auch das ist ein Verdienst des großen Wohltäters.

In der Darlegung seiner eigenen und fremder Geldverhältnisse bei Aufzählung der langen Reihe von Wohlthaten geht Bödeker mit ebenso großer Offenheit als Ausführlichkeit bis in’s Einzelne und Kleinste zu Wege; gerade letztere ist es jedoch, die uns an der Mittheilung derselben in unserm Blatte verhindert, – aber ohne Zweifel Bödeker selbst zum größten Wohlgefallen. Denn da er den Erlös für seine Jubelschrift der Entschuldung seines Schwesternhauses widmet, so geschieht es in seinem eigenen Interesse, wenn wir unsere Leser in dieser Beziehung auf diese „Denk- und Dankschrift“ des Jubilars hinweisen, die in der Hahn’schen Hofbuchhandlung zu Hannover erschienen ist.

Einer Freude geben wir zum Schlusse noch Ausdruck: es ist die über das seltene Glück Bödeker’s, für die Thaten seiner Menschenliebe so viel Gegenliebe, für seine vielen Wohlthaten so wenig Undank erlebt zu haben, wie seine helle frohe Jubelschrift bezeugt. Möge dieser Jubel seines Herzens durch keinen Mißklang gestört werden! Das wünscht ihm zu seinem Ehrenfeste recht innig seine alte Freundin, die Gartenlaube.

Fr. Hfm.




Eine Epistel an die Rheinländer.
Von Emil Rittershaus.


Es hat die Dichterzunft gesungen
So lang vom freien deutschen Rhein;
Durch alle Welten ist gedrungen
Das Lob von Rheinlands Volk und Wein.
Du frisch’ und rosig’ Bild, erblasse!
Schweig’ mit dem Lob, du Dichterschaar! –
Der Rhein ist noch die Pfaffengasse,
Wie er’s im Mittelalter war.

Wem will das Herz nicht überquellen
Vor Freude, wenn er rheinwärts zieht!
Aus Reben lugen die Capellen;
Es tönt der frommen Pilger Lied.
Mit Fahnen sind geschmückt die Dächer,
Im Laube jauchzt der Vöglein Chor;
Die Glocken läuten, und zum Becher
Winkt grüner Strauß an manchem Thor.

Schön ist der Rhein in Sommerzeiten,
Der Fürst der Ströme fern und nah –
Und wollt ihr in die Hütten schreiten
Am Strand, ein stolzer Sinn ist da.
Kein „Küß’ die Hand!“ Kein knechtisch’ Bücken!
Ich sag’ es diesem Stamm zum Ruhm –
Doch neigt und beugt sich Haupt und Rücken
Vor Einem, vor dem Priesterthum.

Das kommt nicht salbungsvoll von oben,
Liebt nicht die Augen zu verdreh’n,
Doch dort, wo Kegel wird geschoben,
Da kann man den Herrn Pfarrer seh’n,
Der weiß sein Liedlein mit zu singen,
Wo lust’ge Laune Wogen schlägt,
Giebt freie Bahn in allen Dingen,
Wenn die Vernunft nur Ketten trägt. –

Die ihr des Regimentes Zügel
In Händen habt, erkennt es klar:
Wer brach dem freien Geist die Flügel
Und gab die Macht der Pfaffenschaar?
Ihr nahmt die Herrn zu Bundgenossen,
Ließt frei sie schalten früh und spät –
Und nun? Ihr seht die Saaten sprossen
Und erntet jetzt, was ihr gesät.

Viel ist versäumt. Wohlan, zum Werke!
Noch lebt auch hier gesunde Kraft;
Im freien Volke sucht die Stärke
Und nicht in der Bedientenschaft!
Nur kein Vermitteln, feig und bange!
Hinweg die Schranken, groß und klein!
Die Schulen frei vom Priesterzwange –
Und anders wird das Volk am Rhein.

Nichts hoff’ ich zwar von jener Sorte,
Die stets nur mit dem Dasein spielt,
Die sich mit einem witz’gen Worte
An allem Ernst vorüberstiehlt.
Halb Pfaffenknechte, halb Hanswurste,
Im Herzen leer, im Sinne platt,
In einem groß nur, in dem Durste,
Und, ach, in allem Andern matt.

Die haben nur des Most’s Moussiren,
Doch nicht vom Weine Duft und Geist;
Die sind nur gut, wo Pokuliren
Und seichter Scherz die Losung heißt.
Gottlob, noch lebt am Rebenstrande
Manch’ hoher Geist, und ein Geschlecht,
Mit Liebe zu dem Vaterlande
Und einem Herzen, schlicht und recht!

Mit allen Ehren hat’s gestritten,
Als man zum Waffentanz gegeigt;
Treuherzig ist’s die Bahn geschritten,
Die ihm der Priester Hand gezeigt.
Hier laßt euch jetzt, ihr Freien, schauen!
Hierher! Hier ist des Kampfes Platz.
Zu spenden gilt’s den Rebengauen
Der Wahrheit, der Erkenntniß Schatz.

Kühn in die Welt, ihr Wissensreichen!
Nur frisch dem Volk euch zugesellt!
Ihr sollt dem Leuchtthurm nimmer gleichen,
Deß’ Strahl nur in die Ferne fällt.
Ihr, die ihr lebt, gekrönt vom Glücke,
Zerbrecht der Kasten alten Bann!
Die Bruderliebe schlag’ die Brücke
Vom reichen Mann zum armen Mann!

Du Volk im Land der Rebenranken,
Scheuch’ aus dem Herzen Spuk und Traum!
O, gieb dem Lichte der Gedanken
In deiner tiefsten Seele Raum!
Tritt kindlich fromm zu deinem Gotte,
Dien’, wie du willst, dem Herrn der Welt,
Nur laß beiseit die Pfaffenrotte,
Die zwischen Gott und dich sich stellt!

Sie lügen, die in Christi Namen
Dem Nächsten fluchen frech und dreist.
Sie sind vom Pharisäersamen
Und nicht aus der Apostel Geist.
Sie sind es, die den Götzen dienen,
Den Götzen Haß und Herrschbegier. –
Die Zeit ist da! Zum Kampf mit ihnen
Und kein Pardon! Sie oder wir! –

Du Volk am Rhein, wasch’ ab die Schande,
Daß du für Wahn die Lanze brichst,
Daß du im deutschen Vaterlande
Für Rom und seine Herrschaft fichtst!
Wach’ auf! Das Glück zukünft’ger Tage,
Die Freiheit bringt es nur allein.
Wach’ auf, daß man in Wahrheit sage
Und sing’ vom freien deutschen Rhein!



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