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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Vollmachten und derlei gerichtliche Documenten bedürfen werde, um den bereits fast ein Jahr dauernden Proceß schnell und für immer zu beenden. Die in Dresden allgemein herrschende Ueberzeugung, daß die den sächsischen Truppen zu Hülfe kommende kaiserliche Armee den Preußen eine totale Niederlage beibringen werde und die Geschlagenen dann Sachsen verlassen müßten, bewog die Gräfin, auf die Trennung von Doris einzugehen und diese der Fürsorge der Frau Castellanin, so zu sagen, auf die Seele zu binden. Daß das Palais Mosczynski zum königlich preußischen Hauptquartier erwählt werden könnte, lag freilich außer dem Bereiche aller Vermuthung, indeß das Ungeahnte brachte der jungen Dame wunderbarer Weise das Glück einer Ueberraschung, welche sie jede Unannehmlichkeit ihrer Lage als Exmittirte ganz und gar vergessen ließ.

„Wenn der Major wüßte, daß ich hier bin,“ sagte sie zu sich, „gewiß er suchte mich auf. Ja, das würde er thun. Wie soll er es aber erfahren?“ An seiner Unkenntniß von ihrer Anwesenheit scheiterte also ihr stiller Wunsch, ihn wieder sprechen zu können. Und – sie erschrak nicht wenig bei dem Gedanken – er gehörte ja zu den Feinden! Das erschien ihr für den ersten Moment als ein ungeheurer Fels des Anstoßes, indeß dieser Fels – das war gewiß sonderbar – wurde immer kleiner; er sank förmlich in Nichts zusammen in ihrem Denken. Ueber ihr hübsches freundliches Gesicht flog bald ein seelenvergnügtes Lächeln und sie tröstete sich mit dem allerdings erquickenden Gedanken: „Er ist ja nicht im Kriege mit mir. Sein König geht mich nichts an, und ’s wird ihm keine Rosen tragen, daß er solchen Wirrwarr zwischen uns mit seinem Kriegstumult gebracht hat.“

Die Auffahrt war vorüber. Alles wurde still vor dem Palais; die Schildwachen am Portale wandelten ihren ruhigen Schritt auf und nieder; auch nicht einmal ein königlicher Diener war mehr zu sehen, und die Flötentöne, die zuweilen an den vorhergehenden Tagen von drüben herüber drangen, waren heute nur am Morgen hörbar gewesen. Anderthalb Stunden waren so vergangen, als Reitknechte mehrere stattliche Pferde vorführten und aus dem Portale einige Officiere heraustraten. Ein Blick genügte Doris, um zu erkennen, daß der Bewußte nicht darunter sei. Deswegen flößte die Erscheinung dieser Herren ihr kein Interesse ein; sie bemerkte nur noch flüchtig, daß die Schildwachen das Gewehr präsentirten. Dann blickte sie auf ihre Stickerei nieder.

Von Arbeitslust war aber keine Rede bei ihr, und als sie unten am Hause der alten Martha Stimme sagen hörte: „Sorge sich doch die Frau Castellanin nicht! Ich werd’s schon machen … ’s soll kein Stäubchen an den Fenstern bleiben“ … da hatte Doris die Gewißheit, daß, wenn sie ihn auch nicht gesehen, weil sie gleich wieder auf ihre Arbeit niedergeblickt hatte, der König doch mit ausgeritten sei. Jetzt konnte sie also einen Spaziergang im Parke machen, wo sie durch die Jahre daher ja jeden Baum, jede Ruhebank kannte, und hatte nicht zu befürchten, der preußischen Majestät zu begegnen, die es liebte, mit ihren Windspielen daselbst zu promeniren.

„Wollen Sie ein wenig in den Park gehen, Fräulein Doris?“ fragte die Castellanin, die eben im Begriff war, der Magd nach dem Palais hinüber zu folgen.

„Ach ja, man bekommt das Sitzen satt.“

„Natürlich, und jetzt haben Sie Luft. Der Nehemia hat mir gemeldet, daß der preußische Groß-Mogul ausgeritten sei, und da will ich in aller Eile ein wenig die Fenster abreiben lassen. Der Wind hat die kleinen Regenschauer heut in der Frühe da angetrieben, und das sieht schlecht aus. Auf Wiedersehen, Fräulein Doris! Bleiben Sie nicht zu lange! Jetzt wird’s zeitig düster.“

Das Fräulein schlug den vom Gebüsch nach außen verdeckten Fußpfad längs der Umgrenzungsmauer ein und sah sich bald unter den hochstämmigen Bäumen des Parkes.




3.

Auf der östlichen Seite des Palais, von welcher sich die prächtige Aussicht auf das Elbhochland dem Auge darbot, rieb Martha die Außenseiten der Parterrefenster ab, auf denen die vom Winde angetriebenen Regentropfen ihre Spuren zurückgelassen hatten. Vor diesen Fenstern befand sich ein sehr breiter Altan, von dem ebenso breite Stufen, vielleicht fünf oder sechs, hinabführten zu den Kastanien- und Lindenalleen, welche sich gleich Strahlen in den das Gebäude umgebenden Park hineinzogen. Von dem erwähnten Altane, auf den eine Glasthür aus einem der Zimmer führte, genoß man in gerader Linie die bereits erwähnte Fernsicht mittelst eines breiten Durchbruchs durch den Park und die Umgrenzungsmauer. Ein sogenannter Hasensprung vor der dadurch entstandenen Mauerlücke machte das Eindringen in den Park vom Wege außerhalb unmöglich, weil er nicht nur sehr breit, sondern auch sehr tief war.

Die Elbhochlandsberge, von der Nachmittagssonne beschienen, boten ein prächtiges Bild dar, denn der ebenfalls lichtdurchhauchte Ferneduft, aus dem sie hervorragten, lieh diesem schönen Naturbilde den heiteren Grundton einer Verklärung, wie sie in nördlichen Gegenden nicht so gar selten zur Erscheinung zu kommen pflegt. Die Frau Castellanin hatte für diese Schönheit keine Empfindung, dagegen gab sie sehr sorgsam auf Martha’s Beschäftigung Obacht und sagte gelegentlich: „Husche Sie doch nicht so leichtfertig darüber hin, Martha! Was ist denn das für ’ne Art zu arbeiten?“

„Die Frau Castellanin sind heute ordentlich preußisch,“ murrte die Magd. „Habe doch sonst meine Sache immer zu Ihrer Zufriedenheit gemacht, und heute findet Sie überall was zum Tadel heraus, gerade als wäre die preußische Majestät Ihr Herzblatt.“

„Solche dumme Rede lasse Sie mich nicht wieder hören, Martha! das sage ich Ihr,“ eiferte die Vorige erzürnt. „Kümmere mich den Kukuk um die preußische Majestät, die ich noch mit keinem Auge gesehen, seitdem sie hier ist; aber ob dieser König ein gern gesehener oder ein widerwillig angesehener Gast unserer gnädigsten Frau Gräfin ist, bleibt sich für uns gleich. Hier gilt’s die Ehre unserer Herrin, und übrigens ist er ein hoher Herr, der allen Anspruch auf die größte Rücksichtnahme unsererseits bei seiner Bedienung hat. In dem Punkte verstehe ich keinen Spaß. Merke Sie sich das! Er soll nicht denken, daß ich, die Frau Castellanin, eine so despectirliche Frauensperson sei, die Sitte und Anstand nicht beachtet, weil er als Feind hier ist.“

Während dieses Zwiegespräches war die auf den Altan führende Thür von innen geräuschlos geöffnet worden und ein Mann in einem einfachen, jeder Bordürung entbehrenden braunen Rocke, kurzem dunkelem Beinkleid, grauseidenen Strümpfen und Laschenschuhen, auf dem gepuderten Kopfe einen kleinen Dreispitz ohne allen Ausputz, herausgetreten. Das durch ihn verursachte geringe Geräusch entging dem Ohr der Frau Castellanin, weil sie in ihrer die Magd betreffenden Zurechtweisung sehr eifrig war, weshalb der zwischen der geöffneten Thür stehen Gebliebene ihre letzte Rede ganz genau gehört hatte. Kurze Zeit darauf wendete sich die Frau Castellanin zurück, um die bereits abgeriebenen Fenster einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen, und erblickte den Mann. Für den ersten Moment erschrak sie.

„Nun, nun, Frau, thue Sie nicht, als sähe Sie in mir den Beelzebub vor sich!“ sprach der Mann. „Ich thue Ihr nichts zu Leide.“

„Das glaube ich schon, Er sieht mir auch gar nicht darnach aus, Jemand Böses zufügen zu wollen,“ antwortete die Castellanin. „Nein, nein, ich erschrak nur deshalb, weil mir’s entfallen war, daß der König ausgeritten, und dachte, Er wär’s, Herr; aber jetzt sehe ich’s deutlich, daß ich eine Thörin gewesen … Er ist nicht der König.“

„Woran sieht Sie das?“

„Je nun, Er ist gar nicht so angekleidet, wie man ihn mir beschrieben hat.“

„Das mag treffen … Sie ist sehr klug und hält etwas auf das Sprüchwort: Kleider machen Leute.“

„Und das täuscht selten – das kann der Herr glauben.“

„Merk’s.“ Der Mann sah auf das Elbhochland hinaus und sagte dann: „Das ist hier ein prächtiges Besitzthum. Solche Berge haben wir in der Berliner Umgegend nicht.“

„Wenn man hier bei uns von Berlin und überhaupt von Brandenburg redet, nennt man’s: des heiligen römisch-deutschen Reiches Streusandbüchse.“

Ueber des Mannes scharf markirtes Gesicht lief ein leichtes Lächeln.

„Er ist wohl ein Berliner?“ fragte die Castellanin.

„Ja, ein ganz richtiges Berliner- und noch dazu ein Sonntagskind.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_805.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)