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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Wo war jetzt die stürmische Glückseligkeit, welche Thea einen Moment vorher überfluthet? Noch ruhte sie an der Brust des Mannes, dessen Nähe all ihre Pulse schlagen ließ, und schon war der stille Blick wieder neben ihr und fragte. Nur ein verwehter Jugendtraum? –




11.

Die Verlobung Stephan Sandor’s mit Thea Rostan erregte in der Welt, welcher Beide angehörten, ungewöhnliches Aufsehen. Daß der vornehme, als reicher Grundbesitzer bekannte Ungar die Pflegetochter des ihm verwandten Hauses wirklich zur Gattin wählen würde, war selbst Denen, welche beobachtet hatten, wie sehr er sich ihr gewidmet, eine so große Ueberraschung, daß des Redens hierüber kein Ende gefunden ward. Was aber auch Neid und stille Bosheit bei diesem Anlaß aushecken mochten, prallte an dem Brautpaar ab, ohne auch nur bemerkt zu werden, und selbst die Gräfin, deren Widerspruch mit einer Heftigkeit laut geworden war, die Stephan’s formelle Haltung kaum in schickliche Grenzen zurückzuführen vermochte, fand sich in das Unvermeidliche und begann, Thea als künftige Verwandte mit Rücksichten ihres Standes zu behandeln. Graf Hugo ließ es sich nicht nehmen, die ihm höchst erwünschte Verlobung nach außen hin mit jedem Nimbus zu umgeben, und veranstaltete eine Reihe von Festlichkeiten, welche den Glücklichen nur selten stille Tage als ersehnte Oase vergönnten. Nach Sandor’s Wunsch hatten Matterns Frau Rostan zum Besuch eingeladen, und Sophie, deren geheimste Wünsche so unverhofft in Erfüllung gegangen, sonnte sich in dem Glanze, welcher Thea schon jetzt umgab. Was Stephan nur ersinnen konnte, seine Braut zu erfreuen, ward ihr in zartsinnigster und zugleich verschwenderischer Form zu Füßen gelegt. Seine Liebenswürdigkeit entzückte Frau Sophie ganz und gar, und die Thränen der glücklichen Mutter flossen nur, wenn sie des Gatten gedachte, der solche Sonnenhöhe für seinen Liebling nicht mehr hatte erleben dürfen. Alle Zukunftssorgen schienen gehoben. Der Graf, welcher nun darauf bestand, seiner Pflegetochter die ihr so lange zugedachte Summe sofort zu überantworten, konnte nichts einwenden, als Stephan selbst seine Braut veranlaßte, das ihr Zugehörige zu Gunsten ihrer Familie anzulegen.

Etwa sechs Wochen, nachdem Sandor Thea’s Wort empfangen, reiste er ab, um in der Heimath Zurüstungen für den Empfang der jungen Frau zu machen, und beabsichtigte, in kurzer Frist wiederzukehren, um sie heimzuführen. Der Graf betrachtete es als selbstverständlich, daß die Hochzeit in seinem Hause stattfinden sollte; mit Frau Rostan war verabredet, daß sie zu dieser Zeit nebst allen Geschwistern Thea’s wiederkehrte, um dem Ehrentage ihres Kindes anzuwohnen. Hieran dachte die Braut nur mit schwer bekommenem Herzen. Robert wiederzusehen, war ihr furchtbar, nur die Hoffnung, daß er ausbleiben würde, hielt sie dieser Vorstellung gegenüber aufrecht. Er hatte, nachdem die Mutter ihm ihre Verlobung brieflich mitgetheilt, keine Silbe geantwortet, und Thea verstand dieses Schweigen allzugut.

Die Zeit, zu welcher Sandor zurückerwartet wurde, rückte immer näher. Seine Briefe folgten einander fast Tag für Tag. Thea lebte wie in einem Rausch dahin; jedes Wort des Geliebten strömte glühenden Lebensodem über sie aus. Ihr eigenes Herz glich einer heißen Sprudelquelle, die unablässig wühlend und aufsiedend keine Rast noch Ruhe findet. Fieberische Exaltation verdrängte Alles, was sie je beschäftigt und interessirt; sie bewegte sich wie eine Traumwandlerin, müßig, theilnahmlos gegen ihre Umgebung, die fürstliche Ausstattung, welche für sie gerüstet wurde, kaum eines Blickes würdigend. Alle ihre Gedanken klammerten sich mit krankhafter Heftigkeit an Zukunftsbilder; sie flüchtete vor jedem leisesten Ton der Vergangenheit in dem Bewußtsein, daß sie erstarren müßte wie Lot’s Weib, stände sie auch nur einen Augenblick still, um sich umzuschauen. Und doch blieb ihr solcher Rückblick nicht erspart.

Eines Tages lag ein Brief von ihres Bruders Hand in der ihren. Sie fühlte sich versucht, ihn ungelesen den Flammen zu übergeben. Ein Rest der alten, trotzigen Energie warf ihr aber allzu bitter Feigheit vor; sie brach das Siegel und las:

„Daß ich Dir bis heute nicht geschrieben, Dora, wird Dich nicht überrascht haben. Oder hättest Du auch von mir einen Glückwunsch erwartet? Nein, dafür traue ich Dir doch zu viel Schamgefühl zu. Du hofftest vielleicht, ich würde ganz und gar schweigen, und das war auch zuerst mein Vorsatz; daß ich ihn breche, ist sicher nicht wohlgethan, denn Vergessen und Verachten wäre die rechte Vergeltung für ein Thun, wie das Deine. Seit mich aber die Mutter auf ihrer Heimreise besucht und mir eine so glänzende Beschreibung Deiner gegenwärtigen Verhältnisse gegeben, ist doch etwas in mir aufgestiegen, das mir befiehlt, Deinem Gewissen einen Spiegel vorzuhalten, ehe Du in die Fremde gehst und kühn unternimmst, glücklich sein zu wollen. Daß ein Mädchen ihr Wort bricht, mag schon öfters vorgekommen sein, und kannst Du mit dem Gefühl solcher Ehrlosigkeit fertig werden, um so besser für Dich. Wem Du aber dieses Wort gebrochen, was Du damit zu Grunde gerichtet hast, das will ich Dir jetzt in’s Gedächtniß zurückrufen. Ich weiß von Ernst, daß er Dich, indem er Dich frei ließ, keines Wortes gewürdigt hat: Auch gegen mich äußerte er sonst Nichts, als daß ich nicht um ihn in Sorge sein möchte. Er geht seinen gewohnten stillen Gang, aber für Einen, der ihn liebt und kennt wie ich, liegt es offen, daß er durch Das, was Du ihn hast erleben lassen, innerlich zerstört ist. Ob sich dies je wieder ausheilt, oder ob der herrlichste Mensch, der je auf Erden gelebt, um Anderen zum Vorbild zu dienen, daran zu Grunde geht, wer könnte das heute sagen! Ich fürchte das Äußerste.

Du bist geliebt worden, wie kein Weib vorher. Er sah in Dir sein Alles. Seit Jahren setzte er jede Kraft ein, um das Haus aufzubauen, das Eure Heimath werden sollte, und nun er das Ziel nahe vor sich sieht, wendest Du ihm plötzlichst den Rücken. Denke ich der Jahre, die an das Heute grenzen, so frage ich mich, ob Du ein Abgrund von Lüge und Falschheit bist, oder ein leichtfertiger Charakter, der um Prunk und äußeren Glanz sein Herzblut verkauft. Ich war von Beginn an Zeuge Eures Verhältnisses; ich allein kann und muß Dein Ankläger sein. Jahrelang hast Du betheuert, Ernst sei Dein Ideal von Manneskraft und Würde, jahrelang hast Du Alles angenommen, was der treueste Mensch Dir aus seiner Fülle gab, um ihn auf einmal, ohne den Schatten eines Vorwandes, zu verrathen und Dich einem Fremden in die Arme zu werfen. Pfui über Dich! und auf Dein falsches Herz alle Verantwortung für jede Folge Deines Thuns! Du und ich, wir sind gleichfalls geschieden. Ich habe Dich geliebt, wie Niemand außer ihm. Seit ich denken kann, habe ich zu[WS 1] Dir aufgeschaut, wie zu einem bevorzugten Geschöpfe Gottes, aber damals kannte ich Dich nicht. Was ich durch Dich empfangen, dankte ich Dir gern im Herzen, weil ich Dich liebte, und wußte nicht, war der Dank stärker oder die Liebe. Fortan wird mich keine Macht der Erde dazu bringen, Wohlthaten aus einer Hand anzunehmen, die ich nie berühren werde. Robert.“

Wie erstarrt saß Thea, als sie zu Ende gelesen; sie hatte das Feuer geschaut, das vom Himmel niederregnete. Was ihr der dumpfe Laut des eigenen Gewissens beständig zugeraunt, was, sich ewig neu aufbäumend, ewig neu erstickt worden: die Wahrheit, vom strengen, reinen Jünglingsherzen ihr unerbittlich zugeschleudert, umklammerte sie mit dämonischer Macht und drohte sie zu vernichten. In ihrem Hirn und Herzen wallte und wogte etwas, das herausbrechen oder sie ersticken mußte. Sie fühlte sich wie in einem brennenden Hause, Flammen rings, keine Rettung, nur ein Sprung der Verzweiflung noch einzig möglich.

Noch einmal las sie das Blatt von Anfang bis zu Ende durch – jedes Wort bohrte sich in ihre Seele. Dann schrieb sie an den Rand wenige Zeilen, faltete den Brief, schob ihn in ein Couvert und sandte ihn unter Sandor’s Adresse in’s Weite.




12.

Tag um Tag verging; schon trafen die ersten Hochzeitsgäste ein. Die Trauung war auf den 20. September anberaumt; heute schrieb man den fünfzehnten. Sandor wurde stündlich erwartet. Graf Hugo, ganz in seinem Elemente, war überall, um die mannigfachsten Anordnungen zu leiten, seine Gäste zu befriedigen, und Thea, welche leidend war und ihr Zimmer hütete, immer von Neuem zu ermahnen, ja Nichts an eigener Pflege zu versäumen, um bei Stephan’s Ankunft frisch zu sein. Mit jedem vorfahrenden Wagen erwartete man den Bräutigam, den, nach seiner letzten Mittheilung, der Gräfin jüngerer Bruder, mit welchem er sehr befreundet, als Trauzeuge begleiten würde.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_817.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)