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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

wie der Maler zu schildern; sie kann nur erläutern, und allein der Dichter vermöchte es im Liede, den ganzen Reiz dieses glücklichen Stückes Erde Oybin zu besingen.

Mitten aus einem von waldigen Bergen umgebenen grünen Thale erhebt sich der Bergfelsen Oybin mit seinen wunderlichen phantastischen Sandsteinformationen, etwa tausendsiebenhundert Fuß über dem Meeresspiegel, von reicher Vegetation geschmückt. Er bildet fast die Mitte des südlausitzischen Gebirgszuges, welcher Sachsen von Böhmen scheidet, und ist etwa anderthalb Stunde von der freundlichen Stadt Zittau, der Hauptstadt der südlichen Oberlausitz, entfernt. Aus grünem Rasenboden steigen die mächtigen senkrechten, rundgeformten Felsenwände empor; rings um den Bergkegel zieht sich ein breiter Gürtel von Wiesen und Feldern im Thale, welches auf der anderen Seite kreisförmig von Bergen, daran Forsten bis zum Thale herniedersteigen, umgeben ist.

Vor allen hervorragend an kühn geschwungenen Linien und Schönheit der Form, erhebt sich dem Berge Oybin gegenüber der mächtige Hochwaldberg mit seinem breiten Rücken, welcher die Grenze zwischen Sachsen und Böhmen bildet und über dessen Joch die alte Straße in’s böhmische Land hinüberführt. In dem stillen blühenden Thale auf grünenden Matten rings um den Oybinberg herum lagert sich das Dörfchen Oybin mit seinen freundlichen hölzernen Weberhäusern. Es ist ein rühriges, fleißiges und genügsames Völkchen, welches diese braunen Holzhäuser, die in neuerer Zeit theilweise reizenden Villen weichen mußten, bewohnt. Oft, wenn ich noch in später Nacht durch das Thal schritt, da leuchteten noch die spärlichen Lämpchen aus den dunkeln Hütten, und weithin dröhnte der dumpfe Stoß des rastlosen Webstuhles.

In neuerer Zeit entstehen, wie bereits erwähnt worden, an Stelle der kleinen Hütten freundliche Villen, und nicht lange mehr wird es dauern, so ist von dem armen Gebirgsdörfchen wenig mehr zu sehen, und anstatt desselben eine heitere „Sommerfrische“ erstanden. Neben den ärmlichen Häusern giebt und gab es aber auch gar freundliche, blanke und wohlig ausschauende Gebirgshäuser. Besonders anmuthig gelegen sind die Häuser, welche sich auf der Anlehne ausbreiten, die sich nach dem Hochwalde zu, aus dem Thale aufsteigend, bildet. Das letzte Haus am Waldesrande, von welchem aus man eine herrliche Aussicht auf den Oybinfelsen und auf das Dorf im Thale hatte, dessen Giebel mit den Schornsteinthürmchen malerisch zwischen den Obstbäumen lagen, war das sogenannte Forsthaus. Im Sommer nahm es fröhliche Gäste auf. Es war das Ideal eines echten Oybinhauses, behaglich sauber, von jenem eigenthümlich schmuckhaften Aussehen, das fast allen reicheren Häusern in Gebirgsgegenden eigen ist. Bis an den geschnitzten First des Hauses rankte sich der Wein und wilde Epheu; freundlich blinkten die Fenster aus dem mit Zierrathen geschmückten Gebälk, und stattlich prangte in Stein gehauen über der Thür die verzierte Inschrift des Erbauers. Von einem blühenden Garten war das freundliche Haus umgeben. Die Bienen summten vor den zahlreichen Stöcken, und vor der Thür des Hauses rauschte der Brunnen mit köstlichem Bergwasser. Vom Garten aus blickte man nach der anderen Seite hinunter in einen kühlen Wiesengrund, aus dem uns am heißen Mittag Kühlung entgegenströmte. Würzig duftete der Wald hinterm Hause. Welches blühende sonnige Leben hier am Morgen, welche zauberische Ruhe am Abend, nur durch das Girren der wilden Tauben unterbrochen! Wenn heißer und heißer am Mittag die Sonne erglüht, wenn der Vogelsang verstummt war und man nur noch dann und wann halbverloren den Kukuk schreien hörte, hier war immer Kühle und Erquickung zu finden, hier fächelte, auch wenn draußen im Lande die Felder und Wiesen von der Sonnengluth versengt waren, stets leise Luft uns neues Leben zu.

Es war ein glücklicher Aufenthalt für genügsame Menschen, das Ideal einer Sommerfrische, wie deren mehrere noch heute in dem kleinen Gebirgsdorfe zu finden sind. Das alte Forsthaus ist verschwunden. Heute erhebt sich ein stattlicher Landsitz an seiner Stelle. Das Gärtchen hat sich in eine reizende Parkanlage verwandelt, die herniederreicht bis in den kühlen Wiesengrund; vor dem Hause rauscht eine mächtige Fontaine, und haushoch steigt das köstliche Bergwasser in tausend Diamanttropfen zum heitern Himmel empor. Der Comfort hat die Einfachheit der Idylle verdrängt, aber der Zauber der Natur macht heute, wie früher, den Aufenthalt hier und in den angrenzenden Villen zu einem der beneidenswerthesten in deutschen Landen.

Unmittelbar an die steile Felswand des Bergkegels Oybin angelehnt, erhebt sich über den Häusern des Ortes die kleine Kirche mit ihrem hölzernen Thurm. Der Schall der hellen Glocken, der von der nahen Felswand abprallt, wird durch das Echo weit in die Berge hineingetragen. Der Ort bildet nur eine kleine Filiale eines anderen Gebirgsdorfes Lückendorf, dessen Seelsorger alle vierzehn Tage, auch im Winter und im tiefsten Gebirgsschnee, den weiten Weg über die Berge herübermacht, um der Gemeinde das Wort Gottes zu predigen. Ein steiler Treppenpfad, theilweise in den Felsen gehauen, führt, an dem Kirchlein vorbei und zwischen herrlichen Bäumen hindurch, den Felsen hinan.

Als ich im Sommer 1868, von der Reise heimgekehrt, die Meinigen am Sonntagmorgen besuchte, da begruben sie gerade die Frau des ehemaligen Försters, unsere Hauswirthin. Ich wollte den leidtragenden ernsten Männern und Frauen in schwarzer schwerer Tracht aus dem Wege gehen, nahm mein einjährig Bübchen auf den Arm und ging mit Weib und Kind nach der anmuthigen Schenke am Fuße des Berges unmittelbar bei der Kirche. Ihr gegenüber lagerte ich mich auf einer Anhöhe in’s Grüne. Am blauen Sommerhimmel zeichnete sich der Umriß des Berges mit seiner Ruine, unterbrochen von mächtigen Buchenwipfeln, scharf ab. Es war Sonntagsweihe und Stille über die ganze Natur ergossen. Wohliger und melodischer rauschten die Brunnen: diamantener erblitzten die Gräser vom morgendlichen Thau; prachtvoller als je schien mir da oben im blauen Duft die Krone des Hochwaldes zu dämmern. Jetzt begann die Glocke hell zu läuten. Nicht lange dauerte es, so kam der Leichenzug mit der stillen Last im Thale unten vorbei und stieg dann den steilen Felsenpfad gegenüber empor. Die Glocke verstummte – statt dessen begann der fromme Gesang der Knaben, und langsam wand sich, von Zeit zu Zeit durch Bäume oder Felsen verdeckt, dann wieder sichtbar, der Leichenzug empor, voran der weiße Sarg, der mit seinen Verzierungen wie Silber glänzte. Immer höher wurde er emporgetragen. Noch einmal ertönten die Glocken, dann ward es still, aber jetzt war auch der silberglänzende Sarg in dem Thore der Klosterruine oben verschwunden, und Stille herrschte nah und fern. Es war, als hätte sich der Himmel geöffnet, um die fromme Dulderin, die sie droben so feierlich begruben, aufzunehmen. Uhland’s Empfindung klang lebhaft in dem Bilde wieder: „Droben steht die Capelle etc. etc.“

In ferne Zeiten war ich entrückt – ich konnte mich der Erinnerung an das Bild nicht erwehren, in welchem Moriz von Schwind die Beisetzung der heiligen Elisabeth schildert. Es war etwas von der feierlichen Romantik desselben in dem Leichenzuge der einfachen Dörfler. Sie sind stolz darauf, ihre lieben Todten dort oben auf dem Berge begraben zu können. Sie ertragen unverdrossen die Mühen, welche bei Beerdigungen im Winter überwunden werden müssen, wenn eisige Stürme wehen und die Felssteige und Treppen von Eisesglätte bedeckt sind. Sie freuen sich aber des Abends, wenn sie in ihren traulichen Hütten beisammen sitzen und der Lücken gedenken, die der Tod in ihrem engen Kreise gemacht hat, daß ihre Todten da oben ruhen „auf dem Berge“ über ihren Häuptern, ein Stück näher dem Himmel, und nicht im engen Thale, daß ihre Lieben gleichsam auf sie herniederschauen.

Der Tourist, der im Dorfe Oybin angelangt ist, kann sich im Kretscham oder in der hübschen Restauration Dürrling’s unmittelbar am Fuße des Berges erquicken. Ein Trunk guten Bieres und Weines, ein schmackhafter Imbiß ist hier stets zu finden, und noch sind hier nicht die exorbitanten Preise anderer Sommerfrischen eingedrungen. Bescheiden sind im Ganzen die Ansprüche der Bewohner, die Wohnungen billig, und Sauberkeit ist durchgängig im kleinen Orte zu finden. Erst seit etwa acht Jahren wird derselbe von Fremden besucht, ja selbst der unvermeidliche Berliner soll sich bereits schon im vorigen Jahre dort eingestellt haben. Unter den Stammgästen herrscht ein einfacher ungezwungener Ton. Chignon und Steckelschuh erscheint in mäßiger Verbreitung, dagegen ist der Appetit in der würzigen Bergluft um so größer. Eine außerordentlich reiche Auswahl der anregendsten Spaziergange im Walde und auf den Höhen bietet der Abwechselungen genug, und der Wald ist hier in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_034.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)