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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

die hessischen Gesetze und hatte damit doch wenigstens gewonnen, daß er wieder eine Zeit lang Ruhe hatte vor dem Executor. In dieser Beziehung hat zwar das Reichsgesetz über die Gewährung der Rechtshülfe jetzt bessere Verhältnisse geschaffen, und ebenso ist in der Militärpflichtsübung, die unter dem Bundestag seiner würdig war, durch den Abschluß der hessischen und badischen Militärconvention mit Preußen Ordnung und Gleichförmigkeit eingetreten.

Bei der Wichtigkeit, welche in diesen verworrenen staatsrechtlichen Verhältnissen den Häusern beigelegt ist, muß natürlich auch die Frage von der allergrößten Tragweite sein, wie es bei dem Bau eines neuen Hauses zu halten ist, ob es hessisch, badisch oder schlechtweg kürnbachisch wird. Wie meine wiederholten Nachforschungen ergaben, bewahren dort die Bürgermeister ein stark Theil hessischen und badischen Particularismus auf, so daß sie mit der Absicht umgegangen sein sollen, sämmtliche bestehenden Häuser in die hessischen, respective badischen Landesfarben einzuhüllen, also entweder weißroth oder rothgelb, die gemeinschaftlichen Häuser, insbesondere das Rathhaus und die Kirche, innen und außen weiß auf der einen und roth auf der andern Seite anstreichen, die neuerrichteten Häuser dagegen vierfarbig, nämlich rothweißrothgelb bemalen zu lassen, so daß sie etwa wie die Stieglitze sich ausgenommen hätten.

Die Lösung dieser wichtigen Frage ist jedoch in anderer Weise ergangen; man hat sich nämlich mit Umgehung des Anstreichens dahin geeinigt:

Wird auf einem Platze gebaut, wo früher schon ein badisches oder hessisches Haus stand, so verbleibt es badisch, respective hessisch; von Häusern, welche ganz neu gebaut werden, muß das eine badisch, das andere hessisch werden, angestrichen wird dagegen nicht. Den thatsächlichen Besitzverhältnissen entsprechend ist diese Lösung freilich nicht, denn da es in Kürnbach bei einer Seelenzahl von circa vierzehnhundert etwa zwei Drittel hessische und nur ein Drittel badische Häuser giebt, so hätten bei dieser Art der Lösung stets zwei Häuser erst hessisch werden müssen, ehe das dritte badisch hätte werden können.

Die Stimmung der Einwohner Kürnbachs scheint mir mehr dem Großherzogthum Baden zugeneigt zu sein und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der Sitz der hessischen Regierung Wimpfen zu weit von Kürnbach entfernt liegt, wodurch Verwaltung und Justiz nothwendig schleppend werden müssen; in erster Linie ist jedoch die Tendenz der Kürnbacher jedenfalls auf Erhaltung der jetzigen Verhältnisse gerichtet und zwar lediglich deshalb, weil Kürnbach nach Zahlung seiner Ausgleichungssumme an Baden und Hessen von allen Steuern frei ist. Der Geldbeutel spricht hier das entscheidende Wort, und so wird denn wohl diese Ausgeburt staatsrechtlicher Verrücktheit auch ferneren Geschlechtern überliefert werden.

Dr. Kupfer.




Eine Winter-Erinnerung an die Belagerung von Paris. Unser Feldmaler im französischen Kriege, F. W. Heine, hat eine der vielen interessanten Skizzen, welche er aus Frankreich mit heimbrachte, als ein höchst wirkungsvolles Oelgemälde ausgeführt und darnach uns eine Holzzeichnung übergeben. Wir theilen dieselbe unseren Lesern auf Seite 25 mit und lassen die aus der Feder des Künstlers geflossene Schilderung dieser Kriegsscene hier folgen:

„Das sächsische zweite Reiterregiment hielt in der Zeit der großen Ausfälle gegen das zwölfte Corps seitens der Franzosen, an den Tagen vom 29. November bis zum 2. December 1870, meist vereint mit einer Alarmstellung südöstlich von Noisy le Grand, hinter den theils im Gefecht befindlichen, theils in der Reservestellung haltenden Truppen der vierundzwanzigsten Infanteriedivision. Obwohl nach den Terrainverhältnissen das Regiment nicht gut vom Feinde bemerkt werden konnte, fielen doch Granaten, welche die Franzosen in der richtigen Meinung, hinter den kämpfenden Truppen noch Reserven vorzufinden, auf’s Gerathewohl in unregelmäßigen Zeiträumen abfeuerten, in der Nähe des Regiments. Die Hauptaufgabe desselben bestand darin, den Ordonnanzdienst für die ganze Division zu thun, die rückwärtige Verbindung der einzelnen Armeecorps- und Divisionsstäbe während der Schlachten vom 30. November und 2. December aufrecht zu erhalten und kleinere Officiers-Patrouillen zu entsenden, um über die Bewegung und Stärke des Feindes genaue Nachricht zu erhalten. Am 30. November und 2. December kamen einzelne Schwadronen als Batteriebedeckung zur Verwendung, wodurch dieselben bis in unmittelbare Nähe der fechtenden Infanterie-Abtheilungen gezogen wurden und dabei vom feindlichen Feuer nicht unerheblich zu leiden hatten.

Meine Auffassung des Bildes stellt den Morgen des 2. December dar. Nachdem wir schon in frühester Morgenstunde aus unsern Quartieren in Champs durch das Geräusch einzelner in der Nähe einschlagender Granaten aufgescheucht waren, zogen Beck, der Artist der „Illustrirten Zeitung“, und ich hinaus, dorthin, wo das Rollen des Kleingewehrfeuers, der schnarrende unheimliche Ton der Mitrailleusen, das gewaltige Donnern der unzähligen Batterien schon stundenlang mit seinen gräßlichen Wirkungen in Thätigkeit war. Der Kampf um die am vorgestrigen Tage von den Franzosen in überlegenen Streitkräften genommenen Positionen war wieder aufgenommen. Die Franzosen sollten keinen Fuß breit von unsern ehemaligen Stellungen behalten, nicht der geringste moralische Sieg durfte ihnen gegönnt sein.

An uns vorbei in der Richtung nach Noisy le Grand und mehr links nach Villiers sur Marne zu zogen die sächsischen Regimenter. Ein kalter Wind wehte und trieb die feinen Schneeflocken den bärtigen kleinen Gestalten der Sachsen in’s Gesicht. Wohlbepackt mit Lebensmitteln zogen einige Regimenter hinaus. Andere dagegen waren weniger gesegnet und fielen mit Hast die wenigen Marketender- und andere Vorrathswagen an. Wie fast überall in der Nähe der Forts waren auch hier die Bäume der Chaussee größtentheils von Franzosenseite aus gefällt, nur an einigen hervorragenden Punkten hatten sie einige als Merkzeichen stehen lassen.

Links vom Wege hielt unser Reiterregiment. Schon den vierten Tag waren sie vom frühen Morgen bis zum Dunkelwerden auf einen Fleck gebannt, – eine der schwierigsten Aufgaben für jede Truppe, am meisten aber doch für Cavallerie, wo der Mann um sein Roß meistens mehr leidet, als um sich. Dazu war der Tag vorher bitterlich kalt gewesen. Wie um eine kriegerische Ausnahme zu machen, trat der sonst so milde Pariser Winter diesmal im Eispanzer auf und blies seine Sturmkälte bis in die Knochen von Roß und Mann. Die Kälte wirkt einschläfernd. Es gehörte alle Energie und Aufmerksamkeit der Führer dazu, dagegen anzukämpfen. Dennoch wurden, je näher dem Abend, Roß und Mann ein immer traurigerer Anblick – so todtmüde, so durch und durch von Frost geschüttelt standen sie da. Alles sehnte sich nach Ruhe und Wärme, die Pferdchen ließen die Köpfe hängen und knickten dann und wann halb im Schlaf mit den Beinen. Mager waren sie auch geworden; der Bauch-Sattelgurt war schon bis in’s letzte Loch zusammengezogen. Da kam endlich der Sieg und erlöste sie von ihrem Leidensposten.

Der Ausgang der Schlacht ist ja bekannt: als es Abend war, standen unsere Truppen wieder in all ihren am 30. November verloren gegangenen Stellungen, – und damit war des Kampfes Zweck, freilich mit allzuviel deutschem Blut, schließlich doch erreicht worden.“




Auch ein Stückchen Aberglauben. Vor kaum Jahresfrist als Beamter aus der Provinz Brandenburg nach dem Elsaß versetzt, traf mich vor Kurzem das große Unglück, meine liebe Frau, nach dreiwöchentlichem schwerem Krankenlager im Wochenbette, zu verlieren. Das Kind folgte vier Wochen später der Mutter nach.

Bald nach dem Tode meiner Frau riefen mich Amtsgeschäfte nach der Stadt Zabern. Dort in einem der besten Restaurants, wo ich schon öfters eingekehrt, wurde ich von der sonst sehr verständigen Frau Wirthin nach dem Befinden meiner Familie befragt; als sie theilnehmend nach meinem Kinde sich erkundigte, erwiderte ich, dies sei so munter, als würde es von der Mutter ernährt.

„Ja, ja! es ist doch wahr, lieber Herr, daß die Mutter sechs Wochen lang jede Nacht um Mitternacht kommt, um ihr Kind zu säugen.“

„Liebe Frau,“ gab ich zur Antwort, „glauben Sie an Dergleichen nicht! Das Kind liegt in demselben Zimmer, wo ich schlafe, und die Ueberreste meiner verstorbenen Frau ruhen eine Stunde von mir.“

Mit einem Blicke, der da sagen sollte: „Das ist Keiner von unserer Farbe,“ wandte sich die gute Frau von mir und sagte im Fortgehen: „Auch einer von den Ungläubigen!“

Dieselbe Ueberzeugung, daß die Mutter komme, namentlich wenn derselben auf dem Todtenbette Schuhe angezogen wurden, was hier sehr selten geschieht, sprachen noch verschiedene Leute in hiesiger Gegend gegen mich aus, ohne sich vom Gegentheil belehren zu lassen.

K.




Kleiner Briefkasten.


M. in D. Sie suchen ein treues Charakterbild des oberfränkischen Bauern. Wenn Sie die Grenzen nicht geographisch nehmen, also nur das bairische Oberfranken meinen, sondern ethnographisch, nach der Volksart, so finden Sie den ausgeprägtesten fränkischen Charakter nördlich vom Main von der Mündung der Itz bis zu den südlichen Ausläufern des Thüringer und des Frankenwaldes, also in den ehemals sogenannten „sächsischen Ortslanden in Franken“, in deren Mittelpunkt die Veste Coburg als „fränkische Krone“ prangt. Diese „lutherischen“ Franken sind ein kerngesundes, aber mit allem Widerspruchsgeist, Trotz und Stolz des Bauern, der sich fühlt, ausgerüstetes Volk. Wie nun vollendete Charaktere desselben sich zeigen in der Abstufung von äußerster Bravheit bis zur äußersten Schlechtigkeit in ergreifenden, durch die Störrigkeit der Köpfe herbeigeführten Conflicten, das ist uns in einem bescheiden als „oberfränkische Dorfgeschichte“ auftretenden Romane „Vater und Sohn“ von Heinrich Schaumberger auf das Gelungenste dargestellt. Das Buch bildet das zweite und dritte Bändchen von Jul. Zwißler’s „Schatz deutscher Volkserzählungen“ (Braunschweig, 1874). Der Verfasser, im Coburgischen heimisch und früher dort als Lehrer thätig und geehrt, lebt jetzt in dem schweizerischen Luftcurort Davos am Platz in Graubünden, um seine kranke Brust zu stärken. Möge ihm dies recht nachhaltig gelingen! Bei dem scharfen Blicke des noch jungen Mannes für die Eigenthümlichkeiten des Volkslebens würde das durch Natur und Geschichte so reich ausgestattete Nordfranken sich noch mancher Verherrlichung aus dieser gewandten Feder zu erfreuen haben.

Dr. Julian Fabricius, bis 1861 Herausgeber der bekannten Hamburger Jugendzeitung, dann in Upsala und später in Stockholm Lehrer an der dortigen Seecadettenschule, wird behufs Mittheilung gewichtiger Personalangelegenheiten dringend um seine jetzige Adresse ersucht. Sollte wider Erwarten der Genannte nicht mehr am Leben sein, so bitten wir seine etwaigen Erben um genaue Benachrichtigung und Angaben, wie und wo der Genannte verstorben ist.

Baierns Töchterchen in Amerika. Ihr Brief ist so liebenswürdig und Ihre Wünsche sind mit so reizender Schelmerei ausgesprochen, daß die Kritik vor Ihren Poesien leicht in’s Complimentenmachen gerathen könnte; wir wollen aber trotzalledem ehrliche Leute bleiben. Sie sind offenbar noch jung, das verräth Ihr waldduftfrischer Humor, haben also noch Zeit zum Leben und zum Dichten. Wollen Sie aus letzterem keine ernste Arbeit machen, die ihren ganz gehörigen Schweiß verlangt, so reimen Sie fröhlich drauflos! Sie werden Ihrer freundschaftlichen Umgebung manche Freude bereiten, manches Familienfest verschönen und veredeln. Wollen Sie’s aber ernst nehmen, dann thun Sie’s gleich, studiren Sie, lernen Sie, üben Sie; denn wer es wirklich bis zum Gelingen eines Gedichts bringen will, muß nicht nur die Sprache völlig in seiner Gewalt haben, sondern auch über ein tüchtiges Wissen gebieten. Aber während Sie noch üben, Bogen voll Verse, Uebersetzungen etc. schreiben, treten Sie immer von Zeit zu Zeit vor den vertrauten Spiegel und fragen sich also: „Freundlich schaust du schon aus; aber müssen denn deshalb alle deine Exercitia gleich gedruckt werden? und gar gleich in der Gartenlaube?“


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_036.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)