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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

gelassen, so gewahrt man ganz die Eigenthümlichkeit des Rauhfrostes, daß sich die Krystalle hauptsächlich an den hervorstehendsten Theilen, z. B. auf den Rändern der dütenförmig zusammengerollten Buchsbaumblätter angesetzt haben. Ein gut gerathenes Sträußchen mit künstlichem Rauhfrost bietet ebenfalls einen hübschen Anblick, und wenn es nicht ganz so zierlich ist, wie das Reifsträußchen, so hat es dafür den Vorzug der Dauerbarkeit.

Carus Sterne.


Auf dem Oybin.
Ein Gedenkblatt von Andreas Oppermann.
(Schluß.)


Bewegt von dem Eindrucke, schreiten wir weiter, hinaus in die von Farrenkräutern und schwanken grünen Zweigen fast umsponnenen Seitencapellen mit ihren reizenden Consolen, Nischen und Fensterdecorationen, wie sie unser Künstler so charakteristisch wiedergegeben hat. Hier wie bei dem Durchschreiten des Kreuzganges drängt sich, obwohl wir nur eine einfache Klosterkirche vor uns haben, der Eindruck eines gewissen Reichthums und phantasievoller mannigfaltiger individueller Gestaltungsgabe auf.

Die Kirche ist aus der bessern Zeit der Gothik. Nachdem Karl der Vierte 1349 das Raubschloß der Herren von Leipa, welches früher den Berg gekrönt, erobert und zerstört hatte, wurde zwanzig Jahre später das Cölestiner-Kloster, dessen Ruine wir heute vor uns schauen, gestiftet. Den Bau leitete des Kaisers Hofbaumeister Peter Arler von Gemünd. Im Jahre 1384 wurde die prächtige Kirche von dem Erzbischof Johann von Jenzenstein eingeweiht. In höchster Blüthe stand das Kloster bis zum Hussitenkriege. Blieb es auch während desselben selbst verschont, so verarmte es doch von da an mehr und mehr, bis ein vernichtender Blitzstrahl im Jahre 1577 in die Klostergebäude fiel und den schönen Bau in eine Ruine verwandelte. Drei Jahre zuvor war das Kloster durch Kauf in den Besitz der Stadt Zittau gelangt und ist seitdem ohne Unterbrechung, also durch drei Jahrhunderte hindurch, in deren Besitz geblieben und heute noch die Zierde und der Stolz aller Besitzungen Zittaus.

Durch den Kreuzgang hindurch schreitend, aus dessen Fenstern man in die Tiefe des Hausgrundes hinunterschaut, gelangt man auf den Kirchhof. Ich habe manche berühmte Gräberstätte gesehen; berauschend wirkt auf die Seele der Blick vom Camposanto Neapels auf den blauen Golf, tiefernst und melancholisch wie eine Nachtphantasie der Kirchhof in Prag, imposant und würdevoll der Gottesacker Pisas und der Veronas, reich der Friedhof Münchens; aber eine Todesstätte, die so von dem vollen Zauber einer üppigen Natur, so von Romantik umwoben ist, wie der kleine Dorfkirchhof auf dem Berge Oybin, habe ich nicht wiedergefunden.

Ein besonderer Reiz dieses auf der Höhe gelegenen Friedhofes ist, daß er nicht blos ein Kirchhof der Vergangenheit ist, etwa als malerische Curiosität conservirt wird, sondern daß man ihn noch heute benutzt, daß neben dem Denkmale des Ritters dort in stattlicher Rüstung, welcher schon manches Jahrhundert hier oben schläft, ein frischer Hügel sich hebt, mit frischen Blumenkränzen, bethaut noch von den Thränen der Geliebten, daß Ginster und Epheu dort um den moosigen verwitterten Stein – eine Last von Jahrhunderten – sich schlingt, während sich daneben eine frische Rose wiegt, von goldenen Bienen umschwirrt. Und wendet man den Blick zurück nach der Ruine, von welcher man gekommen ist, so überrascht von Neuem der prächtig gothische Bau, welcher zwischen den hundertjährigen Linden hervorlugt. Ueberall ringsum hat man das Gefühl seliger Befriedigung einer Umhegung von glücklicher Fülle. Von allen Seiten strömt durch das sonnverklärte Laub frische Bergluft auf uns ein. Ist dem Auge irgendwo ein Durchblick durch den üppigen Wuchs gestattet, so erblickt es in violettem Lichte die Gipfel der Berge ringsum und erfreut sich an ihrem Farbenzauber. Aber bei aller Freiheit und Frische der Empfindung, welch ein stiller, heiliger Ernst an dieser Stätte! Hier lösen sich die Gegensätze von Tod und blühendem Leben in Poesie auf.

Ist’s ein Wunder, daß die Seele des armen Dörflers da unten im tiefen Thale mit poetischer Kraft an diesem Friedhofe hängt? Zwar geht die bureaukratische Nüchternheit darauf aus, ihm den schönen Platz hier oben zu entreißen, weil es ihr nicht passend erscheinen will, daß der Kirchhof in unmittelbarer Nähe eines Belustigungsplatzes sich befindet, denn nur wenige Schritte davon, getrennt durch eine kleine Schlucht, liegt die zierliche Schweizerhausrestauration des Berges. Als ob jemals Einer, der hier oben begraben liegt, sich durch die frohe Lust spielender Kinder, die sich wohl einmal zwischen den Grabhügeln herumtummeln, hätte stören lassen! Als ob jemals Einer, der hier traurig an einem Grabe gestanden, sich durch den Klang froher Stimmen, welche an Sommernachmittagen wohl ertönen, gekränkt gefühlt! Als ob irgend Jemand, der hier oben sich bei Lieb’ und Wein des Lebens freute, durch die zauberisch schöne Weihe des ernsten Ortes sich unangenehm berührt gefühlt hätte!

Es muß aber doch solche Käuze geben, wozu sonst mit solchem Eifer darauf hinarbeiten, daß dem Thalbewohner seine liebe letzte Heimath hier oben entzogen werde! Gesundheitsrücksichten können es nicht sein, wenn man aus der freien Höhenluft den Kirchhof in’s enge Thal verlegen will, wo die Häuser nahe bei aneinander stehen, wo freundliche Villen und blühende Gärten emporwachsen. Doch lassen wir die beiden Gegner den Streit ausmachen! Die Liebe zur alten, hundertjährigen schönen Sitte – die Poesie – wird hoffentlich hier die nüchterne und geschäftige Gleichmacherei besiegen, und der Wanderer wird sich auch noch im nächsten Jahrhundert an der zauberischsten aller Grabstätten erfreuen, welche unser Künstler in so entzückend wahrer Weise dargestellt hat.

Nur wenige Schritte noch, und wir befinden uns auf dem sogenannten Gesellschaftsplatz mit seinem zierlichen Schweizerhaus, von schattigen Bäumen und Felsen umgeben. Von hier aus hat man einen herrlichen Tief- und Fernblick in den Eingang des Oybinthales. Vom Einschnitt des Gebirges umrahmt, öffnet sich das reiche Bild von Zittau und Umgebung bis zum fernen Horizont in der Gegend von Görlitz. Namentlich Abends, wenn schon kühle Schatten im Thale lagern, gewährt die im Sonnenlicht erglänzende Stadt mit ihren reichen Fluren ein zauberisches Ruhe- und Friedensbild. Der Steig, der vom Gesellschaftsplatz aus um den runden Felskegel des Oybin führt, oft zwischen engen Felsengassen hindurch, an schwindelnden Abhängen vorbei, bietet eine Fülle der reichsten Aussichtspunkte in das Thal und auf die Höhen. „Der Abend ist das Beste“, lautet ein altes Sprüchwort; so denken auch alle Die, welche in Oybin längeren Sommeraufenthalt nehmen. Sie kehren meist des Abends hierher „auf den Berg“, um erquickende Stunden bis zum Aufgang der Sterne hier zu genießen. Am Tage zerstreut die Gesellschaft sich nach den verschiedensten Richtungen; überallhin laden malerische Punkte in der nächsten Umgebung Oybins zu Spaziergängen und Bergpartien ein. Vor allen anderen sind der sogenannte Pferdeberg und der Johannisfelsen beliebte Aussichtspunkte. Dort lagert sich’s im köstlichen Moos bei einem heiteren Pikenik, wenn froher Sang durch den Wald weithin schallt, unter fröhlichen Menschen gar köstlich. Phantastische Landschaftsbilder gewähren die seltsamen Formen der Mönchshöhe und der Kelchsteine; reizende Waldwege führen nach dem Eschengrund, den Dachslöchern, dem Töpfer, wo Bilder von Waldeinsamkeit sich aufthun, wie man sie nur noch selten erblickt. Erfrischend ist eine Besteigung des Hochwaldes, von wo aus man eines der großartigsten Panoramen nach Böhmen und dem Riesengebirge zu hat; interessant ist der Spaziergang durch die dichten Wälder nach Jonsdorf auf der einen und nach Lückendorf und dem einsamen Jagdhaus Numero Sechs auf der andern Seite. Aber trotz dieser Fülle schöner Excursionen kehrt man Abends gern „auf den Oybin“ zurück. Hier findet man stets fröhliche Menschen, die sich der schönen Natur erfreuen, zu denen Zittau das hauptsächlichste Contingent stellt.

Es ist in der That rührend, wie der Bewohner von Zittau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_047.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)