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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mit der vollen Ueberzeugung und dem ganzen Eifer eines wahrhaften innerlichen Berufes.

Und bald nachdem er das Staatsexamen gut abgelegt, bestand er noch eine Prüfung, die nur von Wenigen und nicht allzu häufig so glücklich überwunden wird. Ziemlich die ganze Universität Jena befand sich am 17. April 1841 im Hoftheater zu Weimar. „Kaiser Rudolph in Worms oder der deutsche König und die deutsche Maid, romantisches Volksbild aus dem Mittelalter in fünf Acten“ von Alexander Rost, hieß die Zauberformel, welche zu dieser und den nächsten Vorstellungen eine wahre Studenten-Wallfahrt veranlaßte. Wußten sie doch, daß die Dichtung in ihrer Mitte entstanden, und betrachteten sie doch daher den jugendlichen Dichter noch immer als einen der Ihren. Der Enthusiasmus der Jenenser Burschen und der nicht minder lebhafte Beifall der Hauptstadt flochten dem gemeinsamen Lieblinge den ersten vollen Kranz. Der Jurist ließ sich noch nicht davon berauschen, sondern arbeitete an mehreren Justizämtern und dem obersten Landesjustizcollegium pflichtgetreu weiter. Als aber das Drama „Landgraf Friedrich mit der gebissenen Wange“, zuerst in Leipzig am 17. September 1847 und in Weimar am 2. Januar 1848, durch die erschütternde Handlung und die gewaltige dichterische Kraft überall die nachhaltigste Wirkung übte, verließ Rost den Staatsdienst und wandte sich ganz der geliebten Dichtkunst zu. „Dornen und Lorbeer“ heißt von da ab sein Geschick.

Seine ferneren Dramen sind: „Das Regiment Madlo“ (zuerst in Weimar am 27. Decbr. 1857 aufgeführt), das die letzten Jahre des dreißigjährigen Krieges darstellt, mit der Proclamirung des Friedens endet und würdig an Schiller’s Wallenstein sich anschließt. „Ludwig der Eiserne oder das Wundermädchen aus der Ruhl“ (zuerst in Weimar am 8. Jan. 1860 aufgeführt), dem die schöne Volkssage: „Landgraf, werde hart!“ zu Grunde liegt, ist poetisch das anmuthigste Werk des Dichters, ein verklärender Lobgesang auf sein heißgeliebtes Thüringen, voll bestrickenden Duftes und stimmungsvoller Weihe. Die erste Begegnung Ludwig’s mit Walpurgis in der mitternächtigen, mondbeleuchteten Waldschlucht braucht den Vergleich mit Shakespeare’s berühmtesten Liebesscenen nicht zu scheuen. „Oberst Hans Georg von Madlo“ und „Meinhard Vogelgesang, Waldschmied in der Ruhl“ gehörten zu den letzten neuen Rollen, die Eduard Genast, der ehrwürdige Veteran der großen Zeit, schuf und mit ebenso großer Hingebung wie Meisterschaft spielte; der bekannte Otto Lehfeld ward sein nächster Erbe. „Berthold Schwarz oder die deutschen Erfinder“ bringt mit staunenswerthestem, genialem Geschicke den Erfinder des Schießpulvers und den der Buchdruckerkunst, Johannes Gutenberg, Beide verbunden durch innigste Freundschaft und den gemeinsamen sieggekrönten Kampf gegen die Mächte der Finsterniß, gleichzeitig auf die Bühne. Noch durchzuckt es mich in der Erinnerung, wie bei der ersten Aufführung zu Weimar, am 18. December 1864, dem Blitze gleich in das übervolle Haus das Wort einschlug, das Berthold Schwarz dem Unterweisung in der Alchymie heischenden Kaiser Ruprecht entgegenruft: „Die Freiheit ist der wahre Stein der Weisen.“ –

Alexander Rost zählt, der Anlage nach, unter unsere bedeutendsten dramatischen Dichter und wird an theatralischem Instinct und Sicherheit der Bühnenwirkung von keinem der Heutigen übertroffen. Ein widriges Geschick und frühzeitiges körperliches Leiden haben ihm die harmonische Durch- und Ausbildung erschwert, und so erklärt es sich, daß in den einzelnen Dichtungen Manches von verschiedenem Werthe sich findet und vielleicht keine den Eindruck eines innerlich vollendeten Kunstwerkes macht; mit größtem Unrecht aber haben hier und da unfruchtbare ästhetische Stelzengänger abfällig darüber geurtheilt. Der äußere Erfolg hat den Rost’schen Stücken ein ganz entgegengesetztes Zeugniß ausgestellt; sie sind sämmtlich auf den deutschen Bühnen eingebürgert, die namhaftesten Darsteller sind mit Vorliebe darin aufgetreten, und „Friedrich mit der gebissenen Wange“ war eine der herrlichsten Gestalten des unersetzten Emil Devrient.

Rost’s Jugend fällt in die Blüthezeit des Schiller-Cultus, und die Spuren davon sind in seinen Werken unverkennbar, vornehmlich in den durchgängig leichtflüssigen, volltönenden und zwanglos gereimten Versen, in dem idealen Aufschwunge, der glühenden Begeisterung für Vaterland, Recht und Freiheit und dem gewaltigen sittlichen Pathos. Die höchsten Aufgaben und die am tiefsten einschneidenden Conflicte des Menschengeschlechts bilden den steten Vorwurf des Dichters, der sich nie „mit Kleinigkeiten abgegeben“ und nimmer der flüchtigen Laune des Tages gehuldigt hat. Alle seine Dichtungen schildern ausnahmslos den Kampf einer emporsteigenden neuen Zeit gegen das Widerstreben der niedersinkenden alten. Die Worte Kaiser Rudolph’s in dem ersten Stücke:

„Seht Ihr die Pfeiler der Tyrannenmacht,
Der trotzigen, in Schutt und Asche sinken?
Dort oben aus den glüh’nden Trümmern schwebt
Ein gold’ner Phönix in des Himmels Weiten,
Und mit der Flamme blut’gem Glanz erhebt
Sich Euch die Morgenröthe bess’rer Zeiten –“

sind die Parole für alle folgenden bis zum „Ungläubigen Thomas“, und jener „goldene Phönix“ ist das Bild des Banners geblieben, das Alexander Rost in treuen Händen seinem Volke unentwegt vorangetragen hat. Er ist einer unserer ersten und unerschütterlichsten Vorkämpfer gegen die Ueberreste des mittelalterlichen Junker- und Pfaffenthums. Lange, ehe dieser Kampf zum Bewußtsein der Menge gelangt und das Volk in denselben eingetreten, haben die Rost’schen Verse die Hörer aus der schlaffen Erstarrung des politischen Winterschlafes aufgerüttelt. Dies sei ihm unvergessen, wenn einst aus der Morgenröthe unserer Tage die volle Sonne der Freiheit emporsteigt, deren Glanz er, ein begeisterter Seher, vorahnend schon geschaut.

Dieser Sonnenglanz ist auch der einzige, der sein Leben durchleuchtet und erwärmt hat. Nachdem er den Staatsdienst verlassen, fand er die nächste Zuflucht und Unterstützung bei seinem Bruder, der Bürgermeister in Remda war. Allein nach wenigen Jahren schon ward dieser von einer schmerzhaften unheilbaren Krankheit ergriffen, und nun mußte der Dichter für ihn sorgen, was er bis an das langwierige Ende des unsäglich Leidenden mit selbstlosester Aufopferung gethan. Dabei blieb er die einzige Stütze seiner alten Mutter, einer vortrefflichen Frau, deren letzte Jahre die kindliche Liebe und die dichterischen Erfolge des Sohnes verschönten. Anfangs 1870 drückte er ihr mit bitterem Schmerze die müden Augen zu.

Seinen schweren Pflichten voll zu genügen, war er unbeweibt geblieben; bald nach dem Tode der Mutter aber reichte ihm ein junges Mädchen, Henriette, die Tochter des Steindruckereibesitzers Walther in Weimar, die Hand. Eine glühende Verehrerin des Dichters, hatte sie ihn schon längere Zeit während seines andauernden Gichtleidens sorglich gepflegt, und so erfreut sich denn der Hartgeprüfte noch spät am Lebensabend des reinen Glückes, welches edle Weiblichkeit allein zu gewähren vermag.

Rost ist Pensionär der Deutschen Schillerstiftung – dieses traurige Wort sagt Alles. Die meisten seiner Stücke sind in einer Zeit entstanden, da die Tantième noch ein frommer Wunsch war, und heute noch fehlt ihm gänzlich das kaufmännische Talent, welches zur Verwerthung des dichterischen in diesen Tagen so unerläßlich. Er ist eine harmlose, liebenswürdige Natur von ungeheuchelter Bescheidenheit und offenherzigem Biedersinn. Gesellig und voll naturwüchsigen Humors, hat er auch den schwersten Leiden stets muthig zu trotzen vermocht. Bewunderungswürdig ist die Leichtigkeit seines Schaffens. Manches hat er wie Grabbe am Wirthshaustisch, das Meiste aber im anmuthigen Parke zu Weimar bei Blumenduft und Nachtigallenschlag gedichtet, der in vielen seiner Verse weht und widerhallt.

Alexander Rost ist nicht blos ein vortrefflicher Dichter, er ist ein treuer und tapferer Sohn seines Vaterlandes, an dem er mit inniger Liebe hängt. Deutschland ist seine Mutter, Thüringen seine Braut. Und nicht umsonst hat er gelebt und geschaffen; er sieht sein Ideal der Verwirklichung nahe, die abgelebten Gebilde der Vergangenheit stürzen in sich zusammen; wie die Helden seiner Dramen steht er bereits auf der Schwelle der schöneren Zukunft und darf mit dem Kaiser in „Berthold Schwarz“ ausrufen:

„Es ist was Großes – was Unendliches!
Ich fühl’ es, wie ein Hauch der Weihe weht
Es um mich her – und meine Zeit ist’s, die
Das Herrliche gereift zum Licht des Tages,
Und in dem Schooße meines Vaterlands
Hat Alles sich entsponnen und bereitet.“




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