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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Nun sage, Freund, fürchtest Du von solcher Geisterweisheit noch etwas für unsere Volksbildung? Ja, trägt’s denn wirklich aus, erst zu sterben, um als Geist wieder so dumm zu werden?“

Ein recht herzliches Lachen war die Antwort. „Du bist also beruhigt?“ fragte ich. „Gut! Zum Beweise dann, daß schon ‚in der guten alten Zeit‘ auch auf diesem Felde in Leipzig sehr Beträchtliches geleistet und geglaubt wurde, erzähle ich Dir eine Geschichte, auf welche unser Gespräch mich geführt und die Dich als geborenen Leipziger ganz besonders interessiren wird, denn gerade in diesen Tagen sind es hundert Jahre, daß in Leipzig ein Geisterbeschwörer durch seine Umtriebe und sein Ende ein selbst für jene Zeit ungewöhnliches Aufsehen erregte. Der Mann hieß Johann Georg Schrepfer.

Das achtzehnte Jahrhundert wird das der Philosophie oder der Aufklärung genannt; aber so wenig die ‚spiriten Studien‘ der Gegenwart durch die rastlosen Fortschritte der Naturwissenschaften gestört werden, ebenso fanden neben einem Leibnitz, Wolf, Newton, Montesquieu, Friedrich dem Zweiten, Kant, Lessing etc. auch die Cagliostro, Gaßner, Schrepfer etc. ihre Wirkungskreise. Blieb doch selbst ein Goethe nicht unberührt von den ‚Geheimnissen der Mystik‘, in welche bekanntlich 1768 gleich nach seiner Heimkehr von Leipzig nach Frankfurt, das Fräulein von Klettenberg ihn einzuweihen suchte, bis er aus der Alchemie sich in die Chemie rettete. Die Netze jener Mystik waren eben nur stark genug, leichter beschwingte Geister zu fangen, nicht einen Adler von deutscher Kernkraft.

Schrepfer’s Ursprung war fern von der aristokratischen Sphäre; weil er ihr aber angehören mußte, um in seiner Weise wirken zu können, so schwindelte er sich in dieselbe hinauf. Er soll um 1730 geboren und in seiner Jugend Husar gewesen sein. Wir finden ihn zuerst als Kellner in einer Leipziger Gastwirthschaft und später, nachdem er einiges Vermögen erheirathet, im Besitze einer eigenen Schenkwirthschaft in der Klostergasse. Als dienender Bruder der ersten Freimaurerloge (Apollo), die 1741 in Leipzig eingewandert war, wurde er von dem damals aus Frankreich herüberwehenden Schwindelgeist gepackt, und er packte ihn wieder, um durch ihn sich zu erheben. Offenbar seine Wirthsstellung benutzend, wußte er in kurzer Zeit den Ruf um sich zu verbreiten, daß er die Gabe der Geisterbeschwörung und noch andere übernatürliche Fähigkeiten besitze, und als die Loge ihm derlei Unfug verwies, erklärte er, daß dieselbe ihm nichts zu befehlen habe und daß er unter einer höheren Loge und unter der Autorität des in Dresden wohnenden Herzogs Christian Joseph Karl von Kurland, eines Sohnes des Kurfürsten Friedrich August des Zweiten, stehe und handle.

An diesen Angaben war kein wahres Wort – und doch förderte diese Lüge ihn am raschesten zu seinem nächsten Ziele. Als nämlich der Herzog der Freimaurerloge erklärte, daß er mit Schrepfer in keinerlei Beziehung stehe, und dieser ihn deshalb mit einem Pasquill angriff, vergaß er sich so weit, einen Officier mit einigen Unterofficieren des Regiments Kurfürstin nach Leipzig zu beordern, die den Pasquillanten aufhoben und ihm in einer Wachtstube eine Tracht Schläge aufzählten, über deren richtigen Empfang derselbe auch noch eine Quittung ausstellen mußte. In der ersten Aufregung eilte Schrepfer auf das Rathhaus und beklagte sich beim Stadtrathe, der auch eine solche Mißhandlung eines Leipziger Einwohners sofort an den Kurfürsten (August den Dritten) berichten wollte. Sobald aber der Herzog dies erfuhr, eilte er mit dem Minister von Gutschmid, der früher selbst Bürgermeister in Leipzig gewesen war, herbei, um die leidige Sache friedlich beizulegen. Schrepfer ging darauf ein, erklärte sogar öffentlich, daß ihm keine Prügel ertheilt, sondern gegen die ausgestellte Quittung erlassen worden, ja, daß der Fürst, dessen Namen man dabei genannt, einer solchen Handlung nicht fähig sei; so viel war ihm die persönliche Berührung mit dem Herzoge und dem Minister werth, denn besonders Ersteren nicht wieder loszulassen, sondern für seine Zwecke gründlich auszubeuten, war jedenfalls sein fester Entschluß.

Dies war während der Michaelismesse 1773 geschehen. Gleich darauf verschwand Schrepfer aus Leipzig und kam erst nach der Ostermesse des nächsten Jahres zurück, aber – als königlich französischer Oberst Baron von Steinbach.

Das Wunderbarste an dieser plötzlichen Wandlung war offenbar der Glaube, den sie in Leipzig fand. Da, wo Jedermann ihn als Kellner und Wirth gekannt, wußte er durch den Aufwand, den er machte, und durch die Sicherheit, mit welcher er in seinen nunmehrigen Standeskreisen auftrat, so zu imponiren, daß er von keiner Seite eine Störung seines Gebahrens erfuhr, ja, daß er seine Geisterbeschwörungen und allen damit zusammenhängenden Schwindel abwechselnd in Leipzig und Dresden nun erst recht in’s Große treiben konnte.

Zweierlei kam ihm dabei zu Hülfe. Erstens die Klugheit, mit welcher er diejenigen Personen auswählte, welche ihm als die rechten Werkzeuge für seine Pläne erschienen, und ebenso diejenigen von seinen ‚magischen Operationen‘ ausschloß, welche ihm durch Ruhe, Urtheilsschärfe und Geistesgegenwart hätten gefährlich werden können; – und zweitens die Vorrichtungen für seine Geisterbeschwörungen. – Ueber letztere theilen wir die Auskunft mit, welche nach den ‚Denkwürdigkeiten des Barons von Gleichen‘ Friedrich der Zweite von einem Professor in Halle erhielt, der ebenfalls Geister citirte. Nach Berlin berufen und vom Könige aufgefordert, ihm einige seiner wunderbaren Erscheinungen zu zeigen, antwortete der Professor ihm: ‚Da ich nicht ganz sicher bin, daß mein Geheimniß nicht einigen nachtheiligen Einfluß auf das Gehirn üben könne, so bewahre mich Gott, davon in Bezug auf Ew. Majestät Gebrauch zu machen; aber ich will mehr thun, ich will es Ihnen erklären. Es besteht in einem Räucherwerk, welches in dem dunkeln Beschwörungszimmer verbreitet wird und welches zwei Eigenschaften hat: 1) den Neugierigen in einen Halbschlaf zu versetzen, welcher leicht genug ist, ihn Alles verstehen zu lassen, was man ihm sagt, und tief genug, ihn am Nachdenken zu verhindern; – 2) ihm das Gehirn dergestalt zu erhitzen, daß seine Einbildungskraft ihm lebhaft das Bild der Worte, die er hört, abmalt; er ist im Zustande eines Menschen, der nach den leichten Eindrücken, die er im Schlafe empfängt, einen Traum zusammensetzt. Nachdem ich in der Unterredung mit meinem Neugierigen möglichst viele Einzelheiten über die Person, die ihm erscheinen soll, kennen gelernt, lasse ich ihn in das dunkle Zimmer treten. Wenn ich glaube, daß das Räucherwerk zu wirken begonnen hat, folge ich ihm, indem ich mich gegen den Eindruck des Räucherwerks durch einen Schwamm schütze, der in Liquor getaucht ist. Dann spreche ich zu ihm: ‚Sie sehen den und den, so und so gestaltet und gekleidet?‘ worauf sich sofort seiner erregten Phantasie die Gestalt abmalt; hierauf frage ich ihn mit rauher Stimme: ‚Was willst Du?‘ Er ist überzeugt, daß der Geist zu ihm spricht; er antwortet; ich erwidere, und wenn er Muth hat, so setzt sich die Unterredung fort und schließt mit einer Ohnmacht. Diese letzte Wirkung des Räucherwerks wirft einen mysteriösen Schleier über das, was er zu sehen und zu hören geglaubt hat, verwischt die kleinen Mängel, deren er sich erinnern könnte, und hinterläßt ihm bei seinem Erwachen eine aus Furcht und Achtung gemischte Ueberzeugung, gegen die ihm kein Zweifel mehr bleibt.‘ Der König verwahrte das ihm übergebene Recept des Räucherwerkes in seiner Handschriftensammlung; es wird vermuthet, daß später Bischofswerder und Genossen es gegen Friedrich Wilhelm den Zweiten selbst angewandt haben.

Von Schrepfer weiß man, daß er zu dem Räucherwerk noch starke geistige Getränke bei seinen Gläubigen hinzufügte. Die Wirkung war die eben beschriebene. Ein Graf von Hohenthal behauptete noch lange nach Schrepfer’s Tode die Wirklichkeit der von ihm gesehenen Erscheinungen, und ein Kammerherr von Heynitz wurde davon so ergriffen, daß man für seinen Verstand fürchtete. Und doch waren die Beschwörungen für Schrepfer nur Nebensache, nur Mittel zum Zweck: d. h. zur Erwerbung großer Geldsummen.

Zum nächsten und gewichtigsten Opfer erkor er einen reichen Seidenwaarenhändler Du Bosc. Diesem theilte er vertrauensvoll eine (von ihm selbst, wie all die noch zu erwähnenden gefälschten Documente, höchst geschickt hergestellte) Vollmacht des Herzogs von Braunschweig als Großmeisters mit, die ihn beauftrage, eine Verschmelzung des Freimaurerordens mit dem damals aufgehobenen Jesuitenorden zu bewirken. Zu diesem Behufe stehe er in brieflicher Verbindung auch mit dem Herzog Ludwig Philipp von Orleans (der allerdings damals Großmeister der Großlogen aller Systeme in Frankreich war), dem er seinen französischen Oberstenrang verdanke. Da nun die Jesuiten unermeßliche

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