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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)

halben Jahrtausend fast gar keinen Eindruck ausübt, denn dieselbe Originalität des Aeußeren, dieselbe Sauberkeit der Ausführung, dieselbe Form und Größe herrscht sowohl bei diesen werthvollen Antiken, deren Alter übrigens wohlverbürgt ist, wie bei den heutigen Sachen.

Die chinesischen Stoffe, namentlich Nanking und die durch die Mode vor einigen Jahren eingeführten Bastroben sind allbekannt, ebenso wie die chinesischen seidenen Cachenez, Shawls und Taschentücher, weniger bekannt mögen dagegen die grasleinenen, fast durchsichtigen Taschentücher, die in Seide gestickten Fächer und Kaminschirme, sowie die außerordentlich reich gestickten seidenen Tischdecken sein. Aber auch Deutschland und speciell Berlin leistet Hervorragendes auf dem Gebiete der Stickerei, und diese Erzeugnisse werden von den Fremden, als eine Specialität der deutschen Reichshauptstadt, gern in die ferne Heimath mitgenommen; darum wollen wir in dieser Hinsicht den langzöpfigen Söhnen Asiens keinen Vorrang einräumen.

Aber das wollen wir ihnen schließlich denn doch gern noch einmal zugestehen, daß viele von ihren Producten, ihre sämmtlichen lackirten Holzgegenstände, ihre Papier-Erzeugnisse, ihre Porcellane, ihre Elfenbeinschnitzereien bis jetzt an Billigkeit, Güte und Dauerhaftigkeit weder von uns, noch von irgend einer anderen Nation erreicht worden sind und daß, wenn der gute Einfluß, welchen deutscher Geist und deutsche Idee bereits bei manchen ihrer Fabrikate ausgeübt haben, sich so bewährt, wie wir es hoffen, beiden Ländern dadurch dauernd genützt werden wird.

Vorläufig aber wären wir dadurch wieder einmal eine Stufe weiter gelangt zu dem großen Endziele aller Handelsphilosophie: zur gegenseitigen Verschmelzung der nationalen Leistungsfähigkeiten der einzelnen Völker.




Helene.
Tagebuchblätter aus dem russischen Salonleben.
(Fortsetzung.)


Moskau, den 17. April.

Frühlingswehen! Wie wohlthuend, wie erfrischend es heute mein Haupt berührt hat! Alle Kräfte in diesem Lande wirken so gewaltsam, die Contraste sind immer wieder da und oft überwältigend. Als ich am 26. Februar zum zweiten Male in die alte Zaarenstadt einzog, bescheiden genug in dem riesigen, von vier neben einander gespannten Pferden gezogenen Postwagen, hielt der Winter noch unerbittlich mit eisernen, eisigen Banden das Land gefesselt. Es war inmitten der Butterwoche, die den Fasten vorangeht und allen wunderlichen, geräuschvollen Volksbelustigungen gewidmet ist. Diese Volksmenge, die, in ihre Schafpelze eingehüllt, die Bärte von Eiszapfen starrend, sich zu den Belustigungen des Festes drängt und sich an Rutschpartie, Schlittenfahrten oder in der sich in schwindelnder Höhe drehenden Schaukel ergötzt, Branntwein trinkt und Blinnis (Pfannkuchen) ißt, bietet einen grotesken Anblick dar, der sich mir unvergeßlich eingeprägt hat.

In solchem Geräusche, in so buntem Getümmel auf der eisigen Hülle des Winters fand ich bei meiner Ankunft die alte „heilige“ Stadt, und heute – wie anders stellt sich Alles dar! Ich habe soeben eine wundervolle Spazierfahrt mit Frau Bamberger gemacht und muß sagen: es ist schön, dieses Moskau im goldenen Glanze der Frühlingssonne, die in Blitzfunken sich auf den seltsam, einer Zwiebel ähnlich geformten und vergoldeten Kuppeln des altehrwürdigen Kreml spiegelt. Ueber Moskau liegt heute eine feierliche, nicht einmal von einem Glockentone unterbrochene, ahnungsvolle Sabbathstille, denn es ist Ostersonnabend. Mit dem Schlage Mitternacht wird die große Glocke des Kreml im Thurme Iwan’s Weliki, die nur dieses eine Mal im Jahre ihre eherne Stimme mächtig erhebt, das Osterfest ankündigen.

Donnerstag Morgen haben wir in der Erlöserkirche der großen Ceremonie der Fußwaschung beigewohnt. Nachmittags sind in allen Kirche die zwölf Evangelien gelesen, und nach Beendigung dieser Feier strömten aus allen Gotteshäusern die Andächtigen hervor, deren Jeder noch die brennende Kerze trug, welche die Zuhörer bei der Vorlesung flehend in der Hand gehalten.

Gestern, als am Charfreitage, hat man feierlich die Grablegung in den Kirchen begangen, und heute ist gleichsam die Ruhe des Todes an die Stelle alles Festgepränges getreten, um bis Mitternacht zu währen, wo die Auferstehungsglocken rufen werden.

Bamberger’s, die vom ersten Tage meines Hierseins an sich in Freundlichkeiten gegen mich erschöpfen, haben die Einladung einer russischen Familie, in der Osternacht mit ihnen der Kirchenfeier beizuwohnen, einzig und allein meinetwegen angenommen, weil sie mir die Gelegenheit verschaffen wollten, das Fest kennen zu lernen.

Wie gut sind sie gegen mich! Wie wohl fühle ich mich in diesem Hause, wo man mich wie eine liebe Verwandte und nicht wie eine Fremde angenommen hat, zwischen Deutschen, wo ich fast nur die Sprache der Heimath höre, wo deutsches Familienleben herrscht und man von den Gebräuchen des Landes nur gerade diejenigen angenommen hat, welche dazu dienen, das Leben hier behaglich zu machen! Immer, wenn ich die Rede auf meine Abreise lenke, dringt Frau Bamberger in mich, an dieselbe vor der Hand nicht zu denken.

Trotz alledem, trotz aller freundlichen Eindrücke, welche mich die letzten unangenehmen Erlebnisse in Woronesch vergessen machen sollen, liegt es auf meinem Herzen wie ein schwerer Alpdruck. Die erquickende, milde Frühlingsluft heute hat mir wohlgethan, wie noch nichts vorher, das Fest mit seinen fremdartigen Kirchengebräuchen regt mich an und beschäftigt meine Geist, aber mit vollem Herzen bin ich doch nicht dabei, und nur um meine liebenswürdigen Wirthe nicht zu verletzen, gebe ich mir alle Mühe, meinen wirklichen Seelenzustand zu verbergen. Seit an jenem verhängnißvollen siebenundzwanzigsten Januar Hirschfeldt in solcher besorgnißerregenden Aufregung Abschied von mir nahm, habe ich nichts wieder von ihm gesehen noch gehört. Keine Zeile, obgleich er sich die Erlaubniß dazu erbat, hat er mir geschrieben. Wo mag er leben? Was mag aus ihm geworden sein? Diese Frage verfolgen mich im Wachen wie im Träumen mit quälender Angst. Soll ich niemals wieder etwas von ihm erfahren? Hat er mich ganz vergessen oder ist ihm ein Unglück zugestoßen –?

Ich mußte vorhin innehalten mit dem Schreiben; auf- und abwandernd in meinem reizenden Zimmer, dessen Fenster die prachtvollste Aussicht gerade auf den Kreml gewähren, habe ich versucht, Ruhe und Selbstbeherrschung wieder zu gewinnen. Was soll ich thun!? Vor mir liegt ein Brief meines jüngeren Bruders, der in Köln ein Handelsgeschäft begründet hat und mich mit Bitten bestürmt, dieses Land zu verlassen und zu ihm zu kommen an den heimathlichen Rhein. Unter anderen Verhältnissen, so sehr ich meine Selbstständigkeit liebe, würde ich wohl kaum die Kraft haben, ein so verlockendes Anerbieten auszuschlagen und doch – jetzt –?

Warum nur habt ihr es mir angethan und meine Seele in Fesseln geschlagen, ihr dunkeln, wunderbar blickenden Augen! Mein ganzes Sein sträubt und empört sich gegen die fremde Gewalt, die meinen Willen unterjochen, meine Thatkraft lähmen möchte. Vielleicht ist der Brief meines Bruders ein Fingerzeig von oben, mit dessen Hülfe es mir gelingt, die verlorene Energie wiederzugewinnen, und er soll nicht lange mehr unbeantwortet bleiben. Einen Entschluß muß ich fassen, denn so gütig Bamberger’s mir begegnen, es würde meiner Natur widerstreben, ihre Gastfreundschaft durch unbegrenztes Ausdehnen meines Besuches zu mißbrauchen.


Den 18. April.

„Christ ist erstanden.“ Im ganzen russische Reiche, von Nord bis Süd, ruft heute Jeder diesen Festgruß freudig dem Andern zu, der ihm den Bruderkuß darauf nicht schuldig bleibt. „Er ist wirklich erstanden“, tönt es Antwort von allen Seiten.

Alles beglückwünscht sich; überall sieht man frohe Gesichter; überall herrscht Feststimmung. Ich habe meine Hausgenossen, welche ausgefahren sind, um sich des schönen Wetters zu erfreuen und das muntere Treiben in den Straßen anzusehen, gebeten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_762.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)