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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Kind auf ihren Schooß, während sie sich Wilhelm gegenübersetzte, dessen heiteres Auge die Beiden keinen Augenblick verließ, obgleich er sich schweigend verhielt. „War er brav?“

„Ganz brav, Mutter! Deswegen hab’ ich ihn auch noch aufbleiben lassen, trotz Deinem strengen Geheiß, daß er um sieben Uhr in’s Nest müßte. Er hat gemeint, ich könnte ihn nicht so schön niederlegen, wie sein Mutterl, und wie mir’s vorkommt, bist Du gerade nicht bös darüber, daß er noch munter ist.“

„Ja so!“ sagte die junge Frau. „Ich habe gar nicht mehr an die Zeit gedacht. Jetzt ist’s aber auch aus, Fritzel; geschwind iß Dein Brödchen auf und marschir’ in Dein Bett! Tausend noch einmal, wenn die kleinen Buben so lange wach bleiben, kommt zuletzt der Sandmann und streut ihnen so viel goldigen Staub in die Augen, daß sie in der Frühe gar nicht mehr aufhören können zu schlafen.“

Während des Plauderns entkleidete sie das Kind und hielt es dann dem Vater zum Gutenachtkuß entgegen. Der entzückte Mutterblick, womit dies geschah, war berechtigt; das aus den leichten Hüllen geschälte glänzende Kind, von dessen Schultern das blühweiße Hemd niederglitt, das frische, lächelnde Gesicht glich einem freudigen Engelsgebilde.

Sobald der Kleine unter die Decke geschlüpft war, glitt Monika neben seinem Bettchen nieder und faltete die Hände, was Fritzel sofort nachahmte. Nichts Holderes auf Erden, als ein kleines Kind, das auf seinem Lager kniet und seinen Abendsegen spricht! Von Vertrauen nimmt es den Gott, von dem es noch nichts begreift, von der Mutter hin und schlägt die klaren Augen so gläubig zur Höhe, als könnte es damit bis in den Himmel dringen.

Fritzel’s frommer Spruch war derselbe, den auch Monika als Kind im Fischerhäuschen am See aufgesagt hatte; einer jener Reime, die in ihrer warmen Einfachheit nur von einer Mutter erdacht werden konnten, und sich, gleich dem echten Volksliede, von Mund zu Mund, von Haus zu Haus spinnen, bis Keiner mehr nach ihrem Ursprung fragt, weil sie Tausenden zu eigen geworden sind, wie ein Naturlaut:

„Müde bin ich, geh zur Ruh,
Schließe meine Augen zu.
Lieber Gott, die Augen Dein
Laß auf meinem Bettchen sein!

Alle, die mir sind verwandt,
Gott, laß ruhn in Deiner Hand!
Alle Menschen, groß und klein
Sollen Dir befohlen sein!

Hab’ ich Unrecht heut’ gethan –“

„Fritzel! Fritzel!“ unterbrach Monika hier die langsam und ernsthaft betonten Worte; „Du denkst wieder nicht an das, was Du betest. Du weißt doch, daß man den letzten Reim nur sagt, wenn man nicht brav war. Heut’ brauchst Du den lieben Gott nicht um Verzeihung zu bitten. Du hast schön gefolgt, und der Vater hat ja auch gesagt, Du wärest brav gewesen.“

Fritzel wurde dunkelroth. „Ich muß doch so beten wegen dem Esel.“

„Wegen was für einem Esel?“

Das rothe Mündchen verzog sich wie zum Weinen. „Ja, wie Du fort warst, Mutterl, da hab’ ich mir aus der Schachtel das Dorf aufgebaut auf dem Boden, und da ist der Vater durch’s Zimmer ’gangen, und der hat mit seinem Fuß an die Häuser gestoßen, daß sie alle umgefallen sind, und da hab’ ich ganz leis gesagt: „Du Esel.“

Um Monika’s Auge und Lippen zuckte verhaltenes Lachen, doch sagte sie ernsthaft: „Dann müssen wir freilich weiter beten.“

„Hab’ ich Unrecht heut’ gethan,
Sieh es, lieber Gott, nicht an!
Nimmer will ich’s wieder thun –
Laß in Deiner Huld mich ruhn!“

Dicke Thränen rollten dem reuigen kleinen Sünder über die Bäckchen, während er den Reim stockend aufsagte. Als er aber die Lippen der Mutter auf seinen Augen fühlte und sie seinen Kopf in die Kissen drückte und ihn liebkosend in das Deckchen hüllte, wie gewohnt, ward er wieder getrost und schloß die Augen.

Monika betrachtete ihn noch einen Moment bei der schwachen Helle, die vom Wohnzimmer aus in die Kammer fiel, und kehrte dann, die Thür leise anlehnend, zu ihrem Manne zurück. Ihr ganzes Gesicht strahlte. „Hast Du zugehört?“ sagte sie halblaut.

„Freilich!“ lachte Wilhelm. „Der schöne Ehrentitel, den ich mir heute bei meinem eigenen Fleisch und Blut verdient habe, ist mir deutlich zu Ohren gekommen. Ein Wetterjunge!“

„Wie gescheit er ist!“ sagte Monika stolz; „wie schön er auswendig lernt und Alles im Kopf behält, und ist doch erst drei Jahre alt.“

„Ja, aus dem wird einmal ein ganzer Kerl,“ nickte Wilhelm, „hoffentlich mehr, als bis heut’ aus seinem Vater geworden ist.“

Die junge Frau, welche, ab- und zugehend, ihre Marktkorb entleerte und Zurüstungen zum Abendbrod traf, wandte bei dieser Aeußerung plötzlich den Kopf und blickte nach ihrem Manne um, der mit aufgestütztem Arm am Tische sitzen geblieben war und ernsthaft dreinschaute. Sie nahm ein Deckelglas vom Regal und stellte es nebst dem mitgebrachten Bierkruge vor ihm hin. „Wozu machst Du Dir wieder Gedanken, Wilhelm?! Es ist ja nicht Deine Schuld, daß Du für den Augenblick diesen geringen Posten hast annehmen müssen; wird schon wieder bessere Zeit kommen.“

Der Ton, in welchem sie sprach, klang weniger frisch, als die Worte. Ein halber Seufzer war hindurch zu vernehmen.

Er antwortete nicht.

„Freilich wären wir besser daran, wenn Du auf mich hättest hören mögen,“ fuhr Monika zaudernd fort. „Noch heut’ bin ich der Meinung, daß Dir der Herr General einen Vorschuß nicht abgeschlagen hätte, wenn Du ihn darum angegangen wärest, nachdem uns Haus und Scheuer niedergebrannt sind. Der Herr war Dir allezeit so gewogen; das Fräulein hätte mir zu Liebe auch ihr Fürwort eingelegt, und wir könnten wieder im Eigenen sitzen.“

„Und wenn mir dann etwas Menschliches zustieße, wer sollte wohl die Schuld heimzahlen?“ sagte Wilhelm lebhafter, als sonst seine Art war. „Daß Du das nie begreifen wolltest!“

„Wer wird gleich an’s Sterben denken, wenn man jung ist und gesund wie Du! Und käme wirklich einmal das Schlimmste zum Schlimmen – was würde es den reichen Leuten schaden, ein paar hundert Thaler einzubüßen? Frau und Kind sind Dir näher.“

„Ist mir leid, Monika, daß wir da nicht gleicher Meinung sind. Freilich ist’s hart, wenn man in seinem Hausstande herunter kommt, statt vorwärts, und es wurmt mich genug, daß ich unsere Sach’ nicht in die Assecuranz habe einschreiben lassen, womit uns geholfen wäre. Aber was nützt alles Lamentiren, jetzt, wo nichts mehr zu ändern ist! Meinst Du, es wäre mir einerlei? Das heißt, mir selber läge im Grunde nicht so viel daran, aber Du dauerst mich. Wenn ich bedenke, wie vergnügt Du auf unserm kleinen Anwesen herumgewirthschaftet hast, und wie Du Dich jetzt behelfen mußt – es ist nun einmal so! Borgen und Betteln geht mir wider die Natur. Der Mann muß auf eigenen Füßen stehen – das ist seine Pflicht und Schuldigkeit. Ich habe keinen Anstand genommen, den Herrn General darum anzugehen, daß er mir zu irgend einem Posten verhilft. So was bricht sich aber nicht über’s Knie, wenn’s etwas für die Dauer sein soll, und in der Zwischenzeit dürfen wir froh sein, daß sich hier Dach und Fach und ehrlich verdientes Brod gefunden hat. Für ein erstes Unterkommen reicht das aus, und ewig wird es nicht dauern. Einstweilen muß man sich zufrieden geben.

Monika bedurfte nicht erst des Blickes auf seine gefurchte Stirn; sie wußte längst, daß ihr Mann nicht in guter Stimmung war, wenn er sich auf Auseinandersetzungen einließ. „Sei nicht bös! sagte sie, indem sie die dampfende Schüssel auftrug, „ich gebe mich ja zufrieden. Es thut mir nur alle Tage leid, daß Du, der etwas Besseres vermag, auf dem geringen Posten aushalten mußt, wo es noch dazu alle Augenblicke Verdruß giebt und Du ohne Dein Verschulden in Ungelegenheiten kommen kannst.“

„Was meinst Du?“

„Nun, die Müllerin hat mir vorhin erzählt, was heute mit ihrem Manne vorgekommen ist. Hättest Du übersehen, daß Der sein Arbeitsgerät auf dem Geleis hat liegen lassen, so wärst Du doch gewiß in große Ungelegenheiten gekommen?“

„Warum nicht gar!“ sagte Wilhelm.

„Nun, um so besser, wenn es nicht so arg war! Weißt

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