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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 43.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

„Ich begreife die Discretion,“ sagte Hubert, der vor Begierde brannte, irgend etwas zu erfahren, was er bei seiner Rückkehr in L. erzählen konnte, wo man sich jetzt mehr als je mit dem jungen Gutsherrn von Wilicza und seiner Mutter beschäftigte. „Aber Sie wissen gar nicht, was für schreckliche Geschichten man sich in der Stadt darüber erzählt. Herr Nordeck soll damals, als er sich so entschieden für uns erklärte, eine ganze Verschwörung auseinandergesprengt haben, die in den Kellergewölben seines Schlosses zusammenkam und bei der Graf Morynski und Fürst Baratowski den Vorsitz führten. Als die Fürstin sich dazwischen werfen wollte, soll ihr der Sohn die Pistole auf die Brust gesetzt und sie ihm ihren Fluch entgegengeschleudert haben, und dann sind sie Beide –“

„Wie kann man in L. solche alberne Märchen glauben!“ rief der Doctor unwillig. „Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß auch nicht eine einzige dieser extravaganten Scenen zwischen Waldemar und seiner Mutter stattgefunden hat. Sie sind Beide nicht danach geartet, im Gegentheil, sie stehen sehr – höflich miteinander.“

„Wirklich?“ fragte der Assessor mißtrauisch. Er ließ die Geschichte von der Pistole und dem Fluche augenscheinlich nur sehr ungern fahren – sie sagte ihm weit mehr zu, als diese nüchterne Erklärung. „Aber die Verschwörung hat doch bestanden,“ setzte er hinzu. „Und Herr Nordeck hat sie auseinandergesprengt, er allein gegen zweihundert Hochverräther. Ach, daß ich damals nicht hier gewesen bin! Ich war drüben in Janowo, wo ich leider gar nichts entdeckte. Fräulein Margarethe ist doch sonst so klug. Ich begreife nicht, wie sie sich damals so vollständig täuschen lassen konnte. Jetzt freilich wissen wir, daß das ganze geheime Waffenlager hier in Wilicza versteckt war, wenn Herr Nordeck das auch nun und nimmermehr zugeben will.“

Der Doctor schwieg und sah sehr verlegen aus. Die Erwähnung Janowos brachte ihn noch immer aus der Fassung. Zum Glück waren sie gerade jetzt an die Stelle gelangt, wo der Weg nach dem Schlosse abbog. Fabian verabschiedete sich von seinem Gefährten und dieser ging allein nach dem Gutshofe.

Hier fand inzwischen eine Unterredung zwischen dem Administrator und seiner Tochter statt, die eine erregte Wendung zu nehmen drohte. Gretchen wenigstens hatte eine ganz kriegerische Stellung eingenommen. Sie stand vor ihrem Vater, die Arme trotzig übereinandergeschlagen, den Kopf mit den blonden Flechten zurückgeworfen, und stampfte sogar mit ihrem Füßchen auf den Boden, um ihren Worten mehr Nachdruck zu geben.

„Ich sage Dir, Papa, ich mag den Assessor nicht. Und wenn er noch ein halbes Jahr lang um mich herumseufzt und Du ihm noch so sehr das Wort redest, ich lasse mir kein Ja abzwingen!“

„Aber Kind, es ist ja nicht die Rede davon, Dich zu zwingen,“ beruhigte der Vater. „Du weißt ja, daß Du ganz Deinen freien Willen hast, aber die Sache muß doch endlich einmal zur Sprache kommen. Wenn Du bei Deinem Nein beharrst, darfst Du Hubert wirklich nicht länger Hoffnung machen.“

„Ich mache ihm keine Hoffnung,“ rief Gretchen, fast weinend vor Aerger. „Im Gegentheil, ich behandle ihn ganz abscheulich, aber das hilft nichts. Seit der unglücklichen Schnupfenpflege bildet er sich steif und fest ein, ich erwidere seine Gefühle. Wenn ich ihm heute einen Korb gäbe, so würde er lächelnd antworten: ‚Sie irren sich, mein Fräulein, Sie lieben mich doch‘ – und morgen wäre er wieder da.“

Frank nahm die Hand seiner Tochter und zog sie näher zu sich heran „Gretchen, sei einmal vernünftig und sage mir, was Du eigentlich gegen den Assessor einzuwenden hast. Er ist jung, leidlich hübsch, nicht unvermögend und kann Dir eine höchst angenehme gesellschaftliche Stellung bieten. Ich gebe zu, daß er manche Lächerlichkeiten an sich hat, aber eine vernünftige Frau wird schon etwas aus ihm machen. Die Hauptsache aber ist, daß er Dich bis zur Narrheit liebt, und Du sahst ihn ja anfangs gar nicht mit so ungünstigen Augen an. Was hat Dich denn gerade in der letzten Zeit so gegen ihn eingenommen?“

Gretchen blieb die Antwort auf diese Frage schuldig, die sie etwas in Verlegenheit zu setzen schien, aber sie faßte sich bald wieder.

„Ich liebe ihn nicht,“ erklärte sie mit der größten Bestimmtheit. „Und ich will ihn nicht, und ich nehme ihn nicht.“

Dieser kategorischen Erklärung gegenüber blieb dem Vater nun freilich nichts weiter übrig, als die Achseln zu zucken, was er denn auch that.

„Nun, meinetwegen!“ sagte er unmuthig. „Dann werde ich dem Assessor aber klaren Wein einschenken, ehe er uns diesmal verläßt. Bis zu seiner Abreise will ich damit warten, vielleicht besinnst Du Dich noch bis dahin.“

Die junge Dame machte eine sehr geringschätzige Miene darüber, daß der Vater ihr eine solche Inconsequenz zutraute. Es schien ihre Seelenruhe nicht im Mindesten zu stören, daß sie soeben den Stab über das Lebensglück des armen Assessors

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_715.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)