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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Während diese declamatorische Art uns Aelteren nicht immer die Glaubwürdigkeit vermehrt, wirkt sie wahrhaft bezaubernd auf alle Jüngeren, wie denn Piloty durch seine sprühende Begeisterung für die Kunst, die unwandelbare Ueberzeugungstreue, mit der er an seinen künstlerischen Principien festhält, und seine gewaltige Willenskraft einen wahrhaft unermeßlichen Einfluß auf seine Schüler ausübt und in einem so schönen Verhältniß zu ihnen steht, daß es beiden Theilen zu großer Ehre gereicht.

Sie strömten ihm bald in Massen zu, als er schon im Jahre 1856 der „Liga“ jenes berühmte Bild „Seni vor Wallenstein’s Leiche“ folgen ließ, das, origineller in jedem Sinne, einen noch weit durchschlagenderen Erfolg in ganz Deutschland hatte.

Wenn man es in der neuen Pinakothek, wo es seinen Platz gefunden, mit allen ihm vorausgehenden vergleicht, wird einem auch heute wenigstens unbestreitbar erscheinen, daß es einen größeren Umschwung, einen mächtigeren technischen Fortschritt in unserer Münchener Malerei bezeichnet, als irgend ein anderes der Sammlung. Die coloristische „Stimmung“, von welcher bei der trostlos stümperhaften Technik unserer meisten früheren Historienbilder nicht die Spur zu bemerken war, ist hier so zwingend, wie man ihr selbst bei Werken der classischen Zeit nur in den seltensten Fällen begegnet; ein Schauer packt uns unwillkürlich bei diesem vor seinem blutend hingesunkenen mächtigen Gebieter erstarrt stehenden Diener und Freund, der seine bange Ahnung nun auf’s Entsetzlichste verwirklicht sieht. Durchzieht doch ein förmlicher Blutgeruch das im Morgengrauen dämmernde Gemach, dessen Helldunkel mit einer Meisterschaft gemalt ist, die Piloty selber nicht wieder erreicht hat, so wenig, wie die malerische Wucht, die in allem Stofflichen liegt und die einen echt künstlerischen Reiz ausübt, da sie durchaus zur Charakteristik des Moments mitwirkt.

Das entsprach nun ganz und gar den realistischen Anschauungen der Zeit, und so sammelte sich denn auch sofort jene Schule um ihn, aus der eine ganze Generation hochbedeutender Künstler, wie Makart, Lenbach, Schütz, Max, Defregger, Grützner und unzählige Andere hervorgingen, die bald so wuchs, daß seit Mengs, Cornelius oder Delaroche keine so große in Europa existirt hat.

Er selber malte nun eine Reihe kleinerer Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege, so Tilly vor Beginn der Schlacht am weißen Berge, der Predigt eines Kapuziners zuhörend. Seni erschreckt in’s Zimmer tretend, da eben Wallenstein’s Leiche hinausgetragen wird, dann Wallenstein, der, krank in der Sänfte nach Eger reisend, an einem Gottesacker vorbeikommt – oft voll Reiz coloristischer Stimmung und reich an Figuren, in denen der Charakter der Zeit in einer Weise getroffen ist, die in Deutschland jedenfalls bis dahin nicht erreicht worden. Schon gleich nach dem „Seni vor Wallenstein’s Leiche“ war der schnell berühmt gewordene junge Meister zum Professor an der Akademie ernannt worden, trotz der Opposition der Cornelianer, deren Ateliers bald alle leer standen, während sich im seinigen die Schüler drängten. Er selber aber zog, nachdem er sich kurz zuvor mit einem ebenso schönen wie hochstrebenden Mädchen zur glücklichsten Ehe verbunden, im Jahre 1858 zum ersten Male nach Rom.

In Florenz ging ihm, angeregt durch die Antiken in der Loggia dei Lanzi und den Uffizien, dann durch Fiesole und die Prärafaeliten, die Geschichte der ersten Christen und ihrer Verfolgung unter Nero als günstiger Vorwurf für die Malerei auf, und er zeichnete die Composition sofort ziemlich so nieder, wie er sie später ausgeführt.

Der Einfluß der italienischen Kunst auf ihn ist übrigens in keiner Weise an seinen Werken wahrzunehmen. Im Gegentheil ist der 1860 fertig gewordene Nero als der Höhepunkt der naturalistischen Richtung des Künstlers zu bezeichnen. Die Wirkung des riesigen Bildes ist eine sehr bedeutende, besonders wirkungsvoll ist die Gestalt des Nero, wie sie nach durchschwelgter Nacht rosenbekränzt, unter Vortritt der deutschen Leibwache, gleichgültig über die Ruinen hinschreitet, an den Leichen erwürgter Christen vorbei. Dieser Nero ist vortrefflich gelungen und übertrifft an Wahrheit der Charakteristik wie der äußeren Erscheinung weit alle die vielen Nachfolger, die ihm Kaulbach, Rahl, Keller, in neuester Zeit Siemiradzki und Andere gegeben.

Portraits in ganzer Figur, so der Grafen Schack und Palffy etc., gehören nebst Illustrationen der deutschen Classiker und Shakespeare’s zu den trefflichsten Leistungen Piloty’s aus dieser Periode.

Ueber alle frühern Leistungen erhob sich der 1873 vollendete „Triumph des Germanicus“, oder vielmehr der Thusnelda, die, als Haupttrophäe gefesselt an Tiberius vorübergeführt, durch die Hoheit und Würde ihrer Erscheinung zur eigentlichen Siegerin wird. In diesem Bilde, zu dem Piloty die Idee seit seiner Jugend mit sich herumgetragen, hat der Meister in der den Thumelicus an der Hand führenden, thränenlos, stolz und ungebrochen daherschreitenden Fürstin eine Gestalt geschaffen, die voll echter Größe ist; auch die ihr folgenden Frauen sind gut erfunden, und wenn andere zu theatralisch sind und dadurch die Wirkung der Hauptgruppe beeinträchtigen, so ist doch aus dem mächtigen Bilde absolut nichts ohne malerischen Reiz.

Ein hartnäckiges Magenleiden warf ihn damals wiederholt auf’s Krankenlager. Nichtsdestoweniger widerstand er mit dämonischer Willensstärke diesen Hemmungen, denen jeder Schwächere längst hätte erliegen müssen; ja er vollendete sogar sehr rasch nach der Thusnelda, gestärkt durch ihren Erfolg, einen ebenfalls in lebensgroßen Figuren ausgeführten höchst charakteristischen „Heinrich den Achten, der die vor ihm knieende Anna Boleyn verdammt“.

Seit dieser Zeit hat sich der nach Kaulbach’s Tode zum Director der Akademie ernannte, mit Erhebung in den Adel und Auszeichnungen aller Art überhäufte, leider aber durch Krankheit viel und schwer leidende Meister in erster Linie mit einem gewaltigen Bilde für den Münchener Rathhaussaal beschäftigt. Es zeigt uns die Monachia selber, umgeben von den allegorischen Figuren der Isar und der Fruchtbarkeit, wie sie Kränze an alle verdienten Männer und Frauen vertheilt, die aus ihrem Schooß hervorgegangen sind oder bei ihr eine zweite Heimath gefunden haben. Auch hier bewährt Piloty wiederum sein überaus großes Talent, jedem Gegenstand seinen malerischen Gehalt abzugewinnen; viele der fast zweihundert historischen Figuren des Bildes sind meisterhaft charakterisirt; das Ganze ist überaus lebendig und reizvoll gedacht. Besonders die hohe Geistlichkeit zur Linken, dann eine Frauengruppe zur Rechten, nicht minder die Künstler und die Krieger zu beiden Seiten der Monachia sind trefflich gelungen.

Neuerdings erregen Piloty’s „Girondisten“, ein Bild von hinreißender Gewalt und fast erdrückender tragischer Wucht realistischer Darstellungskunst, das Aufsehen der deutschen Kunstkreise; eine Wiedergabe desselben (S. 656 und 657, vergl. auch „Blätter und Blüthen“) schmückt nebst dem Portrait des Meisters (S. 649) die gegenwärtige Nummer dieses Journals.

Ueberblicken wir Piloty’s reiches, bedeutungsvolles Künstlerleben, so fällt uns vor Allem die klare Folgerichtigkeit desselben als Frucht eines starken unwandelbaren Willens, einer großen, aus innerer und äußerer Nothwendigkeit stammenden Ueberzeugung auf. Daß die erste Hälfte desselben interessanter und bedeutender ist, als die zweite, theilt es mit den Schicksalen der meisten anderen Künstler; wer fände Blüthen nicht schöner als Früchte, den Frühling nicht entzückender als den Herbst? Ganz unbezweifelbar aber ist, daß Piloty folgenreich und im Ganzen außerordentlich wohlthätig auf die deutsche Kunst gewirkt hat. Wenn unsere romantische Schule es niemals zu harmonischen Werken gebracht hat, an denen die künstlerische Form der Erscheinung denselben Reiz gehabt hätte, wie der Gedanke, so mußte dieser aus lauter großen Versprechungen und ungenügenden Erfüllungen bestehenden Kunst nothwendig endlich eine folgen, die den Hauptaccent nicht auf’s Wollen, sondern auf’s Können legte, bei der die Form allerdings sogar meist bedeutender ist, als der Inhalt. Aber ohne einen Piloty und ohne die Realisten, die er erzogen, wäre eine wirklich classische Periode in der deutschen Kunst nie möglich geworden; jetzt ist sie um so mehr möglich, als ihr auch die gewaltigen politischen Ereignisse den Boden bereitet haben – ja sie hat vielleicht schon begonnen.

Zum Schluß sei bemerkt, daß Piloty, wie vor ihm Kaulbach, Rauch oder Mengs, nach ihm Makart, zu jenen Künstlern gehört, die sich im Umgang mit den Großen dieser Welt gefallen, ohne dabei sich und ihrer Würde etwas zu vergeben, was in Deutschland nichts weniger als überflüssig ist, wo angeborne Stumpfheit und Pedanterie oder gemeiner Neid nur zu leicht die Achtung vor dem Talent vergessen, wo der Adel des Verdienstes dem der Geburt noch lange nicht gleichgestellt wird.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_651.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)