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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 9.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Ich war vorhin heftig und habe Sie mit allzu raschen Worten verletzt. Sie haben ganz Recht, wenn Sie vor Allem von der Diakonissin Selbstbeherrschung verlangen, und deshalb bitte ich, vergessen Sie mein unüberlegtes Gebahren!“

Sie hielt ihm schüchtern die Hand hin.

„Viel Lärm um Nichts!“ rief er, halb lachend, halb zornig, und ohne ihre Geste zu beachten. „Wer wird denn um einer solchen Lumperei willen, wie der Hautriß da, auch nur ein Wort verlieren! … Und wenn ich wirklich den Fonds von Geduld aufbrächte stillzuhalten, im nächsten Augenblicke risse ich doch das Zeug wieder ab – ich bin viel zu ungeduldig –“

„Seien Sie gut!“ unterbrach sie ihn mit sanfter Bitte.

Diese Töne waren von zauberhafter Wirkung: er wandte achselzuckend den Kopf weg, stützte die Linke auf den Tisch und hielt ihr die verletzte Rechte schweigend hin.

Sie mußte in der That bereits Diakonissenpflichten geübt haben – diese gewandte, sichere Art zu untersuchen war nicht blos die angeborene Geschicklichkeit des Weibes.

Der Gutsherr wandte ihr langsam das Gesicht wieder zu und sah auf sie nieder.

„Waren Sie in einer Diakonissenheilanstalt?“ fragte er mit hörbarem Erstaunen.

„Ja, nicht sehr lange zwar, und auch nicht zu dem Zweck, ausschließlich Diakonissin zu werden. Ich wollte mir nur so viel Kenntnisse aneignen, um nöthigenfalls auf dem Lande, wo oft der Arzt stundenweit hergeholt werden muß, im ersten Augenblick Hülfe leisten zu können,“ antwortete sie, ohne ihre Beschäftigung zu unterbrechen. Aber nun blickte sie auf. „Sie werden doch den Arzt hinzuziehen müssen,“ sagte sie, und er sah, wie ihre Augen sich feuchteten, „die Sichel hat Scharten gehabt –“

Er lachte.

„Nähen Sie nur getrost zu,“ ermuthigte er, „und vertrauen Sie meiner robusten Natur!“

Sie biß die Zähne zusammen und handhabte die Nadel rasch und sicher, obgleich dann und wann ein Beben durch ihre schlanken Finger ging. … Es schwebte doch ein Räthsel um ihre Person – weß Geistes Kind war sie eigentlich? Ihre Redeweise, ihr ganzes Sein und Wesen, das halbverleugnete und doch immer mehr zu Tage tretende Wissen gaben ihr unwiderleglich die gebildete Welt als ursprüngliche Heimath – und doch leistete sie die niedrigsten Magddienste, und Fräulein Gouvernante, die am besten wußte, was für ein reicher, geistiger Fonds in ihr steckte, hielt sie unter dem Druck dieser herabwürdigenden Stellung unerbittlich fest. … Was gab jener Egoistin die Macht über den klaren Geist und das Lebensschicksal dieses wunderbaren Mädchens?

Sein Blick hing wie festgebannt an dem schönen Kopf, der sich über seine Hand beugte, an dem köstlichen, einfach zurückgestrichenen nußbraunen Haar – eine dunkle Fluth voll elektrischer Gewalten, die ihm zuströmten. Sein Athem ging schwer und beklommen. … Auf dem schmalen Streifen des weißen Halses, den das Busentuch frei ließ, lag wieder das schwarze Sammetband, diesmal mit halbgelöster Schleife. Trug sie ein Amulet oder ein theures Andenken auf der Brust, das sie nie ablegte? Eine eifersüchtige Wallung trieb ihm das Blut nach dem Kopfe – am liebsten hätte er nach dem losen Ende gegriffen, um das Band fortzuschleudern. Das Mädchen ahnte sicher nicht, auf welche Gewaltthätigkeit er sann, sonst hätte sie wohl nicht mit so seelenvollem dankbarem Blick zu ihm aufgesehen. Der Verband war fertig; sie entließ sanft die Hand aus der ihren und trat an den Tisch, um das Verbandzeug wieder zusammenzupacken.

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie aufathmend, als sei ihr eine Last von der Seele genommen. „Morgen werde ich wiederkommen und nachsehen.“

Dagegen hatte er ganz und gar nichts einzuwenden, aber er sprach nicht. In seiner Seele spannen Verrath und böse Wünsche heimtückisch weiter. Aeußerlich mit wahrhaft stoischer Ruhe ihrer Beschäftigung zusehend, träumte er, ein Windstoß packe das kleine runde Nest da auf der Gartenmauer mit Mann und Maus und trage es schneller als das Dampfroß, beflügelt wie der sehnsüchtige Gedanke, plötzlich durch die Lüfte, um es fein säuberlich in den Anlagen der märkischen Villa Markus niederzusetzen. … Weit hinten in den Thüringer Wäldern bliebe die unerklärliche Gewalt der egoistischen Mansardenbewohnerin, das Haus im Grafenholz mit seiner Anziehungskraft und seinen ungelösten Räthseln – losgerissen von Allem, was sie umgarnte, wäre die Heißbegehrte einzig und allein auf ihn, auf seinen Schutz angewiesen, und – herausgeben würde er sie nie wieder. … Ja, das war so ungefähr das verrätherische Gespinnst, das verlockend Masche um Masche nestelte, während er neben ihr stand und den schwachen Veilchenhauch athmete – das Parfüm des Fräulein Gouvernante, das auch von den groben Kleidern der Dienerin ausging.

Und was hinderte ihn denn jetzt, selbst den Sturmwind zu spielen und mit einer plötzlichen stürmischen Werbung die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_137.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)