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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 10.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

So verschleiernd auch das Halbdunkel gewesen war, das blasse Mädchengesicht hatte doch hindurch geleuchtet; schmerzhaft war sein Ausdruck gewesen, und die geschmähten Augen, die keine Thränen haben sollten, hatten umflort und trübe an dem Sprechenden gehangen. Dann hatte sie sich plötzlich horchend emporgerichtet – näher kommendes Pferdegetrappel, das Herrn Markus schon längst irritirt und beunruhigt hatte, mochte nun auch an ihr Ohr gedrungen sein. Es war hohe Zeit gewesen, den Lauscherposten zu verlassen. Herr Markus hatte das Dickicht aufgesucht, und gleich darauf war ein Reiter um die Wegecke gekommen.

Ruhigen Schrittes aus dem schweigenden Walddunkel in das ungewisse Dämmerlicht des sternbesäeten Nachthimmels hervortretend, hatte die Reitererscheinung förmlich riesenhafte Contouren und eine geheimnißvolle Feierlichkeit angenommen, und es war unschwer gewesen, sich zu dem Schlapphut, den der gewaltige Mann zu Pferde getragen, auch die mit Silberthalern bedeckte Jacke eines Zigeunerhauptmannes zu denken.

Bei seinem Näherkommen hatte sich die Hausthür geräuschlos aufgethan, und ebenso leise war der Forstwärter auf die Stufen herausgetreten. Im Flüsterton hatte er den Reiter begrüßt, das Pferd beim Zügel genommen und es ein paar Mal auf- und abgeführt, während der Andere abgestiegen und in das Haus gegangen war.

Vielleicht wäre in dieser Stunde das Räthsel gelöst worden, wenn Mosje Dachs nicht intervenirt hätte. Der Köter hatte plötzlich, aus dem Hause springend, das Pferd kläffend umkreist, bis ihn ein Fußtritt seines Herrn zum Schweigen gebracht und aus dem Wege geschleudert hatte, just in der Richtung, wo der Lauscher hinter dem Baume gestanden.

Auf das erneute Anschlagen des Hundes hin war der Gutsherr scheinbar unbefangen aus dem Busche herausgetreten und, ohne den Grünrock zu beachten, auf dem Fahrwege heimwärts geschritten. Später war er freilich nach dem Forstwärterhause zurückgekehrt, und das blaue Licht der Eckfenster hatte auch noch immer wie ein blasser Stern in den Wald hineingeschienen, aber Roß und Reiter waren verschwunden gewesen wie ein nächtlicher Spuk; der hochlehnige Holzstuhl, auf welchem das Mädchen gesessen, hatte leer und verlassen gestanden und von dem Murmeln aus der dunklen Ecke war auch nicht der leiseste Flüsterhauch mehr herübergekommen. … All das räthselvolle Thun und Treiben mußte ausgeflogen sein, zur Genugthuung des einsamen Hausbewohners, der nunmehr allein bei der halbverdeckten Lampe gesessen und den hübschen bärtigen Kopf vertieft über ein Buch gebückt hatte.

Und in das phantastische Gespinnst, von welchem sich Herr Markus mit all seiner Selbstironie, seinem klaren Urtheile nicht frei zu machen vermochte, mischten sich immer mehr Fäden von außen her. … Der Jude, der von Tillroda eines Pferdehandels wegen auf den Gutshof kam, erzählte, daß eine Zigeunerbande den Ort passirt und Skandal gemacht habe, weil ihr der Aufenthalt nächtlicher Weile nicht gestattet worden. Uebrigens seien es schöne, „ganz, noble“ Leute gewesen, und Pferde hätten sie mit sich geführt, wahre Prachtexemplare einer edlen Rasse – natürlicher Weise gestohlenes Gut aus den ungarischen Steppen. - Und gleich nach diesem Berichte beklagte sich ein heimkehrender Knecht bei dem Verwalter, daß ihm der Forstwärter jetzt immer so grob die Hausthür vor der Nase zumache und ihn wie einen Spitzbuben draußen auf dem Fahrwege abfertige, wenn er im Auftrage seines Herrn komme – das waren allerdings frappante Streiflichter. –

Nun, er wollte den braunen Augen diesmal auf den Grund sehen. Er wollte all seinen Scharfsinn aufbieten und seine thörichte Leidenschaft niederkämpfen, um dem unbegreiflichen Mädchen klaren Kopfes gegenüber zu stehen, wenn sie kam – und sie mußte wiederkommen. Sie war zwar gestern, bis in die tiefste Seele hinein verletzt, gegangen, aber sie hatte auch gesagt: „Ich komme wieder, um nachzusehen.“ – Und daran hielt er fest, wie an dem Handschlage eines Ehrenmannes. Er behütete fast ängstlich den Verband an seiner Rechten, so lästig er ihm auch war; sie sollte sehen, daß er getreulich auf sie gewartet habe.

So hielt er standhaft aus in der wahrhaft erstickenden Nachmittagsgluth, die über und in dem Pavillonstübchen brütete. Die Thür nach der Außentreppe stand weit offen, damit der „Heilgehülfe“ direct hereinkommen konnte, aber Stunde um Stunde verrann. Der Weg am Fichtenhölzchen blieb todtenstill und verlassen; nicht einmal ein Schmetterling flatterte über die rissige, weißbestäubte Weglinie, auf der die erhitzte Luft flimmerte wie Backofengluth. … Noch wölbte sich der Himmel hart und dunstlos wie ein blaufunkelnder Glaskelch über der verdurstenden Erde, aber die ferne, scharfe Horizontlinie des Waldes fing an, sich zu verwischen. Ganz leise hob es sich dort drüben und schwoll und quoll empor und schaute vielgestaltig über die Wipfel in das Land herein – die ersten Wolken wieder seit vielen Tagen! Und wie sie sich dehnten und mit langen Armen in die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_153.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)