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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 11.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Rasch entschlossen trat Herr Markus unter die Stubenthür, aber erschrocken fuhr er zusammen und zog sich unwillkürlich wieder tief in die Hausflur zurück. In der gegenüberliegenden Zimmerecke – es war just die Ecke, aus welcher gestern Abend das monotone Gemurmel der männlichen Stimme gekommen – stand ein Bett, und in den Kissen desselben lag ein Schläfer. Färbte die blaue Dämmerung das stille Antlitz so leichenhaft, oder hielt der wirkliche Todesschlaf die Augen dort geschlossen – das ließ sich schwer entscheiden. Darüber sann auch der bestürzte Mann in der Hausflur nicht – starrte nach dem wallenden, röthlich blonden Vollbart, der sich über die buntgewürfelte Bettdecke breitete. Wie kam der Mensch, den er und Frau Griebel neulich gleichsam von der Landstraße aufgelesen und eine Nacht im Gutshause verpflegt hatten, hierher, und seit wie lange beherbergte ihn die geheimnißvolle Ecke dort, die ihm, dem Gutsherrn, so viel Kopfzerbrechens verursacht? Was aber vor Allem hatte Fräulein Gouvernante, die dünkelhafte, precieuse Weltdame, hier im Waldhüterhaus, am Krankenbett eines Landstreichers zu schaffen?

Ein leises Geräusch, das Hingleiten eines Frauengewandes über die Dielen des Zimmers, ließ ihn noch tiefer in’s Dunkel zurücktreten; er wollte sich erst klar werden über das Thun und Treiben der verhaßten Mansardenbewohnerin, ehe er ihr entgegentrat. Sie mußte aus einer Seitenthür, wohl aus der Küche, gekommen sein und mochte noch einen Augenblick an einem Tische hantieren; ein leises, schnell wieder verstummendes Aneinanderklingen von Glasgeschirr wurde hörbar; dann huschte die Schleppe weiter. Die Dame trat in den Gesichtskreis des Lauschers.

Die schlanke, elegante Gestalt kehrte ihm den Rücken zu. Er sah den fein frisirten Hinterkopf, reiche, dunkle Flechten, aus denen sich hinter dem Ohr ein paar kurze Locken stahlen, sah, wie die eine Hand nach der Schleppe des dunklen Kleides zurückgrifft um sie graziös aufzunehmen – wunderlich! – er hatte diese junge Dame neulich in der Abenddämmerung nur flüchtig wie einen Schatten neben ihrem Onkel gesehen, er hatte nie in seinem Leben mit ihr gesprochen, und doch war es ihm, als kenne er sie seit lange, lange.

Sie bog sich tief über den Schlafenden und horchte auf seine Athemzüge; eine Fliege, die um das Kopfkissen summte, wurde mit sanfter Hand weggescheucht; dann wandte sie sich um, und – der Mann in der Hausflur stand wie vom Donner gerührt. … Und wenn sie auch eine Dame comme il faut schien, wenn auch eine Fülle krauser Löckchen tief in ihre Stirn fiel, ein modern eleganter Anzug eng die Formen umschmiegte, die der Arbeitskittel und die dicken, steifen Schürzenfalten bisher erfolgreich verpuppt hatten – es war doch Amtmanns Magd, die da in sich gekehrt, mit gesenkten Lidern lautlos nach dem Tisch an der Thür zurückkehrte. …

Wie Schuppen fiel es von den Augen des Mannes, dem vor Bestürzung der Athem stockte – Teufel! – er hatte sich schmählich mystificiren lassen. Er war dieser Feinen gegenüber der ehrliche, dummgläubige deutsche Michel gewesen, der ohne allen Spürsinn weder ein Rechts noch Links erwogen und gerade nur Das festgehalten hatte, auf was er mit der Nase gestoßen worden war. … Ein ganz klein wenig mehr Schlauheit, als Stiefmutter Natur ihm gegeben, hätte leicht das Räthsel der Sphinx zu lösen vermocht; denn es war nicht schwer gewesen, und neben dem bitteren Ernste hatte leise und lieblich mädchenhafte Schelmerei hineingespielt, wie er nun wußte – das „Bild von Sais“ hatte freilich hinter seinem Schleier in der Mansarde sitzen müssen, während Fräulein Agnes Franz in den Arbeitskittel geschlüpft war, um Brod für die beiden unglücklichen alten Menschen zu schaffen. „Unzertrennlich, ein Herz und eine Seele“ seien Fräulein Gouvernante und Amtmanns Magd, war ihm der stricten Wahrheit gemäß gesagt worden, und wenn er dabei nicht auf den gescheidten Gedanken gekommen, daß das Doppelwesen auch ein und denselben Kopf haben könne – den schönen, ausdrucksvollen, den er von seinem Verstecke aus so lockend nahe vor sich sah – so hatte das eben nur so einem unbeholfenen, blödsichtigen alten Knaben wie ihm passiren können.

Ein Gemisch von Zürnen und Bewunderung, von Verlangen nach Revanche und mitleidsvoller Zärtlichkeit wogte in ihm auf, und er dankte seinem Stern, der ihn im Dunkel der Hausflur festgehalten – da blieb ihm Zeit, sich zu sammeln. Den Triumph, ihn in seiner grenzenlosen Bestürzung zu sehen, sollte „Fräulein Gouvernante“ doch nicht erleben; nicht einmal Erstaunen durfte sie in seinen Zügen finden.

Ohne ihn zu bemerken, ging sie quer an der offenen Thür vorüber, und er bog sich weit vor, um sie am Tische beobachten zu können. Sie zerschnitt eine Citrone und warf die Scheiben in ein Glasgefäß voll Brodwasser; und nun wußte er auch, weshalb die schöne Nichte nicht ohne Handschuhe ausgehen sollte; der „alte Prahlhans“ auf dem Vorwerke suchte es nach Kräften zu vertuschen, daß „eine Franz, die Tochter eines höheren Officiers“, Magddienste hatte verrichten müssen, und die schlimmsten Verräther

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_169.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)