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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 12.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
18.

Nach kurzer Zeit kam er wieder herunter und schritt durch die Hausflur nach dem Ausgange. Er hatte den Anzug gewechselt und das von Sturm und Regen zerzauste, volle Haar geglättet; er sah stattlich, fast feierlich aus.

„Meiner Treu, wirklich beinahe wie ein Hochzeiter!“ rief Frau Griebel von der Küche her. „Aber der Garten trieft noch, und in der nächsten Minute wird das schöne, flotte Röckchen da gerade so naß sein, wie vorhin Ihr Reiserock, Herr Markus. Und da soll ich wohl nun auch mit meinem Eßzeuge durch alle die Pfützen und Tümpel nach dem Gartenhäuschen schwimmen?“

Er sagte ihr, daß er um acht Uhr droben in seinem Zimmer zu essen wünsche, bis dahin aber im Pavillon durchaus nicht gestört sein wolle – durch Niemand, auch durch die „fürsorglichste aller Pflegemütter“ nicht. Damit verließ er eiligst das Haus, als gelte es, eine Versäumniß auszugleichen.

Im Pavillonstübchen schlug ihm noch die ganze eingeschlossene Nachmittagsschwüle entgegen. Er schüttelte mit ernstem Lächeln den Kopf, als er die Altanthür zurücklehnte, um die erfrischte Luft einströmen zu lassen. … Vor kaum zwei Stunden war er da hinabgestiegen – nur bis an die Gehölzecke und dann wieder zurück hatte er gehen wollen, keinen Schritt weiter! … Was für ein erbärmliches Ding ist doch der Menschenwille dem Verhängniß gegenüber, wenn es einer Entwickelung zuschreitet! Nun ja, es hatte immerhin Noth und Mühe genug mit ihm gehabt, bis er begriffen. Es hatte ihn gleichsam packen und vor sich herstoßen müssen; es hatte ihn in den Wald gejagt, wo sich das Räthsel in lieblichster Weise lösen sollte. Vor einer dunklen Thür hatte er gestanden und sich störrisch darauf capricirt, sie mit dem Kopfe einzustoßen; sein Bischen Phantasie hatte sich sogar bis unter die Zigeuner verirrt, aber über das greifbar Naheliegende war sein blöder Blick ahnungslos hinweggestreift. Er trug allerdings nicht allein die Schuld – für sämmtliche Bewohner des Hirschwinkels war die auf dem Felde Hantirende zweifellos Amtmanns neue Magd gewesen; sie Alle hatten seinen Wahn veranlaßt, und der Einzige, der den wahren Sachverhalt gewußt, der Amtmann, er war erst recht beflissen gewesen, den Irrthum zu bestärken – er hatte die aufopferungsvolle Nichte im Arbeitskittel einfach verleugnet, der alte Komödiant, der!

Nun hatte sich Alles gewandelt. Die dräuende Gewitterwand am Himmel hatte sich in eitel Segen und Wohlgefallen aufgelöst, und die dunkle Thür war weit, weit aufgethan, er aber ging wieder, wie vor zwei Stunden, in unbeschreiblicher Spannung auf und ab. … So beklemmend still, wie vor dem Gewitter, war es draußen nicht mehr. Alles, was Leben und Odem hatte, regte sich mit neugestärkter Kraft, und die reine, gekühlte Luft trug jeden Laut scharf herüber. Im Vogelnest unter dem Pavillondache schrie die gelbschnäbelige Jugend ungeberdig nach den emsig hin- und herfliegenden Alten; vor dem Fenster tanzte eine Mückenwolke, und die weißen Schmetterlinge waren auch wieder da und gaukelten wie Schneeflocken über dem Felde.

Dort um die Gehölzecke konnte es ja auch jeden Augenblick weiß dahergeflattert kommen – es sollte und mußte sogar, wenn es ihm nicht gehen sollte, wie Einem, der freventlich einen günstigen Moment hat vorübergehen lassen, um Alles auf eine Glückskarte zu setzen. … Wenn er sich nun in seinen Voraussetzungen betrogen hatte? Wenn sie sein Lebewohl im Grafenholze ernst und stolz als das letzte ansah und seinen Lebensweg nie wieder kreuzte? – Das Blut schoß ihm stürmisch nach dem Kopfe, und im nächsten Augenblicke stand er draußen auf dem Altan – ach nein, nicht eine einzige Stufe brauchte er hinabzusteigen.

Er schützte seine Augen mit der bebenden Hand gegen die eben hervorbrechende rothgoldene Abendsonne und sah angestrengt nach dem fernen Unterholze – hinter dem Gezitter der Nadelzweige regte es sich und kam stetig vorwärts, und es waren nicht wieder die blauen, vom Basthütchen wehenden Bänder, die er heute Nachmittag im heftigen Unmuthe verwünscht hatte, nein, weiß und plump und unschön, wie nur ein grobes, einen Menschenkopf verhüllendes Tuch aussehen kann, hob es sich über die letzten zwerghaften Fichten. – Ein wilder, kaum zu unterdrückender Jubelschrei drängte sich ihm auf die Lippen, und das Herz hämmerte ihm zum Zerspringen in der Brust.

Er trat schleunigst in das Pavillonstübchen zurück, und sie bog drüben um die Ecke. Die weiten, weißen Hemdärmel flogen ein wenig auf im Zugwinde, der dort vorüberstrich, und es war, als fasse er auch ihre schlanke Gestalt an und mache ihren Gang unsicher. Sie war in ihrem schäbigen Arbeitsrocke; die breite, blaue Leinenschürze stand in steifgestärkten Falten um die Taille, und die Linien der Büste verschwanden unter dem unförmlichen, dickfaltigen, auf dem Rücken geknüpften Busentuche. Das „Scheuleder“ war aber noch nie so tief in’s Gesicht gezogen gewesen wie heute.

So kam sie daher, ängstlich, wie verscheucht, und einen Augenblick schien es, als vergehe ihr aller Muth beim Erblicken des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_185.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)