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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

nach ihm zurück. „Ich brauche Nichts – und das weiß ich“ – sie faltete die Hände inbrünstig über der Brust – „wohin ich auch gehen mag, hier wird mir die Heimath bleiben, hierher darf ich kommen, wenn ich auch einmal das süße Gefühl des ,Zuhaussseins’ kosten will.“

„Ich sollte meinen, diese Berechtigung hätten Sie sich schwer genug errungen. Aber wissen Sie denn nicht, daß der echte, rechte Mann und Hausherr es nicht duldet, wenn sein Weib ein zweites Heim neben dem seinen geltend macht?“

Sie trat von ihm weg mit einem bösen, bitteren Ausdrucke in ihrem erblaßten Gesichte. „Das sind Verhältnisse, die weitab von meinem Lebenswege liegen,“ entgegnete sie finster. „Mir wird nie ein Mann vorzuschreiben haben, was ich thun oder lassen soll. Glauben Sie, ich könnte auch nur einen Bissen Brod von dem Tische eines Mannes essen, der in seinem Innern fortwährend mit dem Verdachte kämpfte, nicht die Liebe, sondern das Verlangen nach einer begehrenswerthen äußern Lebensstellung habe mich in seine Arme getrieben? Nein, dagegen ist das selbstverdiente Brod der Gouvernante ein süßes, ein hoch ehrenhaftes. Und ich werde es essen, so lange mir Leben und Schaffenskraft verbleiben.“

„Agnes!“ – – Er hatte ihre beiden Hände ergriffen; er hielt sie trotz alles Sträubens fest und zog sie an sich. „Wollen Sie denn wirklich den übermüthigen Burschen so grausam züchtigen, der, von einem Wahne, einem oberflächlichen Vorurtheile ausgehend, selbst nicht gewußt hat, was er verübt?“

Ein schelmisches Lächeln zuckte um seinen Mund.

„Soll ich hier, in diesem verregneten Garten, Ihnen zu Füßen sinken und um Verzeihung bitten? Soll ich das Bischen Geld, um deswillen Sie den bösen, eingebildeten Menschen nicht wollen, in die Spree werfen? Ich will Alles thun. Ich will das verlästerte Gouvernantenthum zeitlebens auf den Schild heben und Lanzen für seine Ehre und Respectabilität brechen, wo ich kann! Ich will zu dem Heim für alternde Erzieherinnen bis an mein Ende beisteuern, so viel in meiner Macht steht - Alles zur Verbüßung meiner Schuld – Agnes!“ – seine Stimme nahm wieder einen ernsten, innigen Klang an – „Sie wissen wohl gar nicht, daß Sie geben, und nicht ich? Sie sprachen vorhin von der begehrungswerthen äußeren Lebensstellung – wer sagt denn, daß ich Ihnen eine solche zu bieten habe? Mir rollt weder aristokratisches Blut in den Adern, noch habe ich irgend einen öffentlichen oder gar geheimen Commerzienrathtitel mit meiner Person herumzuschleppen. Mein guter braver Vater ist mit dem Ränzel auf dem Rücken als Handwerksbursch die Welt wohl auf, wohl ab gewandert – ich bin ein Arbeitersohn und habe als junges Blut von der Pike auf dienen, das heißt an Ambos und Schraubstock stehen müssen, so gut, wie alle mir jetzt untergebenen Arbeiter auch. Und heute noch, wenn es gilt, Neues zu erproben, könnte es geschehen, daß ich mit berußtem Gesicht in das Zimmer meiner Frau träte – sehen Sie, ich bin bester, weit besser als Sie – mir nimmt Niemand die Ueberzeugung, daß sie, die feingebildete Gouvernante, in einem solchen Falle nicht zurückschrecken, sondern weit eher die Spuren des Handwerks ehren würde – habe ich Recht, Agnes?“

Sie hatte den Kopf tief auf die Brust gesenkt – kein antwortender Laut kam ihr über die Lippen, aber helle Tropfen fielen von ihren Wimpern.

„Ich sollte eigentlich gar kein Wort mehr verlieren, sondern einfach nehmen, was mein ist,“ fuhr er fort. „Fragt etwa der Vogelsteller seinen kleinen Gefangenen um die Erlaubniß, ihn behalten zu dürfen? Und mein waren Sie in dem Augenblick, wo Sie vorhin freiwillig mein Gebiet betraten. Ich sage Ihnen in Ihr liebes, geliebtes Gesicht hinein, nicht die Samariterpflicht, nicht die Gewissenhaftigkeit, die ein gegebenes Wort streng erfüllt, hat Sie Ihren Mädchenstolz, Ihr gekränktes Ehrgefühl überwinden lassen – es war derselbe unwiderstehliche Zug, der mich rettungslos gepackt und förmlich an Ihre Fersen gekettet hat – wir gehören eben zusammen bis in alle Ewigkeit. – Nun, Agnes, böse Unversöhnliche, wollen Sie noch weiter kämpfen?“

„Wie kann ich denn, wenn Sie mir eine Waffe um die andere aus der Hand winden?“ murmelte sie und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.

Sie standen nicht weit von der Lindenlaube, und es war so feierlich still im ganzen Garten und unter der grünen Wölbung dort, daß man die immer noch vereinzelt niedersinkenden Wassertropfen auf der Steinplatte des Tisches klingen hörte, und in diese Stille hinein fiel auch nicht ein einziges Wort mehr zwischen den beiden Menschen, die sich innig umschlungen hielten.

Später gingen sie Hand in Hand den Weg entlang, der durch das Himbeergebüsch in den Hof führte. Sie kamen auch an dem Kräuterbeet vorüber, wo das junge Mädchen beim ersten Besuch des Gutsherrn auf dem Vorwerk erschrocken oder vielmehr „neidisch“, wie er behauptete, die langen Aermel über die entblößten Arme gezogen hatte.

„War es nicht doch ein wenig Franz’scher Stolz, der Dir in Deinem Arbeitscostüm die Begegnung mit Fremden peinvoll machte, und Dich bewog, die Maske als Magd festzuhalten?“ fragte er.

„Nein, gewiß nicht! Im Anfang amüsirte mich der Irrthum, und ich that deshalb nichts, ihn aufzuklären; später aber hielt ich ihn geflissentlich fest im Gefühl tiefen Gekränktseins, in bitterem Trotz und Groll – Du solltest die verachtete Gouvernante nie kennen lernen. … Ich hatte übrigens auch Befehl, das Visir nicht zu öffnen. Der Onkel war außer sich bei dem Gedanken, der neue Gutsherr könne in der Arbeiterin auf dem Felde die Nichte des Amtmanns wittern; er nahm mir das Wort ab, auf meiner Hut sein zu wollen, bis – der ,Gutsherr’ abgereist sein würde. – Er ist darin nun einmal schwach, der alte Mann –“

„Häßlich undankbar, willst Du sagen,“ zürnte er. „Und die Lehre dafür kann ich ihm nicht ersparen,“ setzte er, in sich hinein murmelnd, hinzu. Dabei schritt er über den Hof, während Agnes von seiner Seite weg, unter den Fenstern des Wohnhauses hinhuschte, um droben im Mansardenstübchen die Kleider zu wechseln.

(Schluß folgt.)




Wilhelm Taubert.

Am 23. März dieses Jahres vollendet einer der beliebtesten und verdienstvollsten Tonsetzer Deutschlands sein siebenzigstes Lebensjahr, ein Componist, dessen eigenartigste Schöpfungen, seine „Kinderlieder“ sich nicht nur in den Concertsälen Deutschlands, sondern in allen deutschen Familien, auch jenseits des Meeres eine bleibende Stätte errungen haben – Wilhelm Taubert.

Die Quelle dieser „Kinderlieder“, von denen einige, wie das überall gesungene „Schlaf’ in guter Ruh’!“ längst zu Volksliedern geworden sind, ist ein reiches, reines Gemüth, ein kindlicher Frohsinn. Ein Humor, der unter Thränen lächelt, eine entzückende Schalkhaftigkeit, hier Wärme und Tiefe der Empfindung, zumal in den Wiegenliedern und in dem Ausdruck mütterlicher Freude, dort die überraschende Fassung mancher Vorwürfe, die scheinbar der musikalischen Form widerstreben – das sind die Kennzeichen dieser Schöpfungen. Die Lieder gleichen einem Strauße von frischen, duftigen Haideblumen, in deren Kelchen die Thautropfen glitzern, und in der überreichen Zahl ist auch nicht eines, das an gemachte Blumen erinnerte. Sie wirken so herzerfreuend und ursprünglich, weil ihr Schöpfer selbst eine ursprüngliche Natur ist, die nur sich selbst zu geben braucht, um ihrer Wirkung gewiß zu sein; außerdem hebt sie die Kunst der feinsten Arbeit, namentlich in der Clavierbegleitung, weit über die Sphäre der Alltäglichkeit hinaus. Bedeutende Sängerinnen haben nicht wenig zur Verbreitung dieser Lieder beigetragen, z. B. Jenny Lind, Johanna Wagner, Luise Köster und jüngst noch Etelka Gerster, welche durch den vollendeten Vortrag des eigens für sie componirten, überaus duftigen und schalkhaft anmuthigen Liedes „Märznacht“ die Hörer elektrisirte.

Schon die Taubert’schen „Kinderlieder“ allein dürften heute, da der Componist seinen Ehrentag feiert, einen flüchtigen Rückblick auf sein Leben rechtfertigen, und so mögen die folgenden Zeilen bei den deutschen Lesern und besonders den Leserinnen nah und fern eine freundliche Aufnahme finden!

In das Jugendalter des Meisters fällt der große, nationale Aufschwung Preußens und Deutschlands, der den Sturz des französischen Eroberers herbeiführte. Inmitten der kriegerischen Scenen jener bewegten Zeit zeigt uns Taubert’s Knabenleben eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_188.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)