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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 30.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


„Eine heimliche Ehe?“ fragte Graf Raimund nicht ohne den Anflug leiser Ironie. „In der That, meine schöne Dame, Sie stellen den Glauben an Ihre Worte auf eine starke Probe. Was hätte meinen Sohn zu einem so außerordentlicher Schritte veranlassen können? Er war der Unmündigkeit längst entwachsen, sein eigener Herr. Vorausgesetzt, er hätte sich zu solcher Mesalliance entschließen mögen, stand es nur bei ihm, dieselbe öffentlich kund zu geben.

„Der Name, den ich trug, ehe Graf Riedegg mir den seinigen gab, gehört einem altfranzösischen Geschlechte zu,“ entgegnete Genoveva rasch.

„Ich kenne diesen Namen und – kannte seinen letzten Träger,“ sagte der Graf schneidend. Er trat ihr einen Schritt näher, heftete einen scharfen Blick auf sie und sagte mit nachdrücklicher Betonung: „Zur Zeit, als dieser Name öffentlich – als er von Vielen genannt wurde, um später nie wieder ausgesprochen zu werden, befand ich mich in Wien. Sie selbst, Gnädige, waren damals noch zu jung, um über jene Tage und ihre Consequenzen ein Urtheil haben zu können. Monsieur de Meillerie –“

Genoveva erhob ihre Hand, als wollte sie ungesprochene Worte zurückhalten.

„Er lebt nicht mehr; er war mein Vater –“ sagte sie tonlos.

Ihr Vater!“ bestätigte der Graf herb.

„Wenn Sie mein Schicksal kennen,“ fuhr sie lebhaft fort, „so wird Ihnen vielleicht auch nicht unbekannt geblieben sein, daß mir die Frau des französischen Gesandten ein Asyl in ihrem Hause bot, bis sie selbst nach der Heimath zurückkehren und mich meinen dortigen Verwandten zuführen konnte; sie und ihr Gatte rechneten mir ein Verhängniß, in das ich schuldlos hineingerissen worden, nicht zur Schmach.“

„Lassen wir Ihre Vorgeschichte zunächst ruhen!“ unterbrach sie der Graf. „Bleiben wir bei der Sache! Es ist nothwendig, über den seltsamen Anspruch, welchen Sie erhebn, sofort und für immer in das Reine zu kommen. Ich wiederhole meine Frage: Womit gedenken Sie Ihre Behauptung zu beweisen, womit einen so unwahrscheinlichen Vorgang zu begründen?“

Die Augen der jungen Frau hatten sich unter den kalten Blicke des Grafen gesenkt. Sie kämpfte heftig mit sich selbst, und sobald sie Herrin ihrer Gefühle war, ließ sie sich auf einem der zunächst stehenden Sitze nieder, und sagte sanft: „Sie wollen mich anhören?“

Er neigte schweigend den Kopf und setzte sich ihr gegenüber. In jede Linie seines düsteren Gesichtes schien das Wort gemeißelt: „Was Du auch sprechen magst – umsonst!“

„Ich werde kurz sein,“ sagte Genoveva, „lassen Sie mich ohne Unterbrechung zu Ende kommen. Alles, was ich zu sagen habe, geht Meinhard an. Wir lernten uns in Neapel kennen, vor einem Jahre etwa. Ich war dorthin gekommen, die Stellung einer Gesellschafterin bei der Fürstin Baccini anzutreten. Ein Brief, welcher mir den Aufschub von deren Rückkehr aus Palermo mittheilen sollte, hatte mich nicht mehr erreicht; deshalb wartete ich die Ankunft der Principessa in der deutschen Pension ab. Zu den dort bereits anwesenden Gästen gehörte Meinhard. Wir lernten uns kennen – wir liebten uns. Er warb um mich; ich verhehlte ihm Nichts, nicht, was Sie eben noch meine ‚Vorgeschichte‘ nannten, nicht meinen protestantischen Glauben und daß ich jeden Uebertritt ohne Ueberzeugung für schmählich halte. Er liebte mich und war entschlossen, glücklich zu sein. Deshalb, Herr Graf, beschwor er mich, zunächst in aller Stille die Seine zu werden.“

Sie hatte dies Alles gelassen gesprochen. Nun aber brach flammendes Leuchten aus ihren Augen; ihre Wangen färbten sich schwach, während sie rasch zu sprechen fortfuhr:

„Ja, er beschwor mich. Er schilderte mir sein armes, armes Leben und daß er bisher niemals glücklich gewesen sei. Er sah den Sturm von Widerspruch voraus, welchen unsere Verbindung erregen würde, und bat so dringend, so flehentlich, ihm ungetrübte Seligkeit zu gönnen, sei es auch nur für ein kurzes Jahr. Ich aber fühlte mich sein, mit jedem Athemzuge, mit jedem Blutstropfen sein. Wie hätte ich seinen Bitten widerstehen mögen? Allein gelassen in weiter Welt, arm an Glück von je, gleich meinem Geliebtesten, wie hätte ich uns den Himmel verschließen mögen? So ward ich die Seine. Er verließ mich auf kurze Zeit, uns in Tirol ein Heim zu suchen, der Welt verborgen und doch seiner eigenen Familie nicht allzufern. Dorthin führte er mich, nachdem ein Mönch aus jener Gegend unsere Ehe in einer stillen Waldcapelle eingesegnet. Ein armer Einsiedler war unser Zeuge.“

Sie schwieg einen Moment und faltete ihre Hände im Schooße.

„Wir waren glücklich in der Verborgenheit,“ sagte sie dann leise. Als aber unser Sohn seine Augen aufschlug, sagten wir uns, daß mit ihm Rechte und Pflichten geboren waren, stärker, höher als die Seligkeiten der Stunde. Deshalb ließ ich Meinhard ziehen, um für Weib und Kind in seiner Heimath eine Stätte zu bereiten, ließ ihn ziehen – und – verlor ihn.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_489.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)