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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Inzwischen ließen die Oesterreicher in der Stadt an den Plätzen, an welchen der Aufstand losbrechen sollte, Kanonen auffahren und verboten den Bürgern bei Todesstrafe, nur einen Schritt auf die Gasse zu thun.

Nach Mitternacht am 25. December erschien die oberbaierische Landesdefension vor München, und da sie auf das mit den Bürgern verabredete Zeichen und das Eintreffen der niederbaierischen Bauern vergebens wartete, griff sie bald auf eigene Faust den „rothen Thurm“ an der Isarbrücke an, den sie auch nach kurzer Gegenwehr eroberte. Von hier aus beschossen die Belagerer die Stadt bis acht Uhr Morgens, das heißt bis zu dem Augenblicke, an welchem der zum Entsatz Münchens commandirte General Kriechbaum mit seinem Corps von Anzing her auf dem Kampfplatze erschienen war. Während dieser die Belagerer im Rücken angriff, machten die Oesterreicher einen Ausfall aus der Stadt, und die von allen Seiten vom Feinde umringten Oberländer mußten trotz der heldenmüthigsten Gegenwehr der Uebermacht weichen, bis sie, gegen Sendling zurückgedrängt, die Waffen streckten. Es ward ihnen Begnadigung zugesagt, aber die kaiserlichen Soldaten drangen nun gegen die Wehrlosen ein, und „so wurde der Geburtstag des Herrn nicht so fast durch ein Kriegsgefecht, als vielmehr durch Hinmordung der unglücklichsten Menschen entehrt und gebrandmarkt“.

Nachmittags am ersten Feiertag wurden fünfhundert Schwerverwundete in die Stadt geschleppt und zum Schrecken der Bevölkerung „lang auf denen Gassen liegent gelassen worden, bis man sie hin und wieder in die Spitäler vertheilt hat“. Aber die Wuth der Soldateska begnügte sich nicht mit dieser scheußlichen Grausamkeit; später wurden die Verwundeten aus den Spitälern hervorgeholt und auf dem Blutgerüste zu München hingerichtet.

Das ist in gedrängter Darstellung die Geschichte der oberbaierischen Landeserhebung im Jahre 1705, wie sie August Schäffler in seiner auf Quellenstudien beruhenden Abhandlung in meisterhafter Weise darstellt. (Vergl. auch „Gartenlaube“ 1869, S. 769.)

Aber in dieses blutige Weihnachtsfest hat das oberbaierische Volk noch eine sagenhafte Heldengestalt hineingewoben, von der die Geschichte nichts zu berichten weiß, die aber von Dichtern besungen und von Malern in Bildern verherrlicht wurde. An der Außenwand der Sendlinger Kirche befindet sich ein schönes Schlachtgemälde von Lindenschmitt, eine Erinnerung an das Sendlinger Blutbad. In dem Mittelpunkt desselben ragt eine Hünengestalt hervor, die mit gewaltiger Stachelkeule Leichname der Feinde um sich her thürmt. Sie stellt den Helden der Sage dar, den Schmied von Kochel, Balthes Mayr genannt. Er ist keineswegs identisch mit dem von den Tölzer Schützen abgesetzten Commandanten „Hauptmann Mayr“, der später in München von den Oesterreichern hingerichtet wurde.

„Dieser Balthasar Mayr ist vielmehr der Ueberlieferung zufolge in Waarkirchen auf dem sogenannten ‚Chrisamgütel‘ von armen, aber redlichen Bauersleuten geboren. Er erlernte in seiner Jugend das Schmiedehandwerk, trat aber in der Folge als Flügelmann der baierischen Leib- und Grenadier-Abtheilung in die kurbaierische Armee. In den Türkenkriegen, die er unter Max Emanuel mitmachte, zeichnete er sich durch seine Tapferkeit, Stärke und Größe aus und erwarb sich den Beinamen des baierischen Riesengrenadiers. Acht Schuh drei Zoll soll er groß gewesen sein. Vor Wien schlug er mit dem geschwungenen Gewehrkolben ganz allein mehr denn zwei Dutzend Ungläubige zu Boden; in der Schlacht bei Siclos sprang ihm seine ‚Wehr‘; er riß die Deichsel eines Wagens ab und zerschellte damit einen ganzen Schwarm berittener Türken. Als Max Emanuel die hohe Belgradmauer stürmte, war es Baierns Riesengrenadier, der sich mit seinem Rücken an das Hauptthor stemmte, dasselbe sprengte, als der Erste hineinstürzte und zu Boden schlug, was ihm Widerstand bot. Nach Beendigung der Türkenkriege, in denen er auch ehrenvolle Wunden erhalten hatte, zog er sich nach Kochel zurück und lebte dort, bis ihn die Erhebung der Bauern nochmals unter die Waffen rief, als Schmied. Auch in dieser Function gab er wiederholte Proben seiner Kraft. Das stärkste Hufeisen z. B. brach er mit einem Riß entzwei; das unbändigste Pferd warf er zu Boden und beschlug es. Wegen dieser seiner Stärke wurde er zum Anführer in der Christnacht-Expedition gewählt. Die von der Gräfin Arco gestickte Löwenfahne in der einen, die mehr als einen Centner schwere Stachelkeule in der andern Hand, stürmte er Allen voran. Wie vor Belgrad, so sprengte der Schmiedbalthes auch am ‚rothen Thurm‘ vor München die festgeschlossene Pforte, schlug mit seiner Keule achtzehn Mann zu Boden, und als die Landesvertheidiger nach Sendling zurückgedrängt wurden, war der Schmiedbalthes der letzte Kämpfer über hochgethürmten Leichenhaufen. Ihm zur Seite waren sein Vetter Reifenstuhl aus Gmund und seine beiden Söhne, Lorenz und Paul, gefallen; er hatte schon viele Verwundungen empfangen, und dennoch stand er noch und kämpfte wie ein Löwe. Da durchbohrte eine Lanze seine Brust; er sank und starb. Seine Hand umfaßte im Tode noch das Löwenbanner.“[1]

Nach einer andern Variante dieser Sage war Balthes Mayr der Urheber der oberbaierischen Landeserhebung, indem er in dem Dorfe Kochel am Kochelsee seine Landsleute in feuriger Rede zu dem Zuge nach München bewog. Diese Scene stellt auch das dieser Skizze beigegebene lebensvolle Bild Th. Sporer's dar; die Bedeutung der einzelnen Personen auf demselben wird der Leser nach dem Obengesagten sich leicht erklären.

Es ist hier nicht der Ort, auf die widerstreitenden Meinungen über die eigenartige Erfindung dieser Sage näher einzugehen; sie ist aber interessant und erwähnenswert als eine der jüngsten in der langen Kette deutscher Heldengeschichten, als eine volksthümliche dichterische Schöpfung des so oft wegen seiner Poesielosigkeit gescholtenen neunzehnten Jahrhunderts.

  1. Vergl. „Die oberbayerische Landeserhebung im Jahre 1705“ von August Schäffler. Sybel's „Historische Zeitschrift“, Jahrg. 1861

Drei Tribunen der Presse.

Ein Blick in’s New-Yorker Zeitungswesen.

Während der letzten Jahrzehnte haben drei Männer den allergrößten Einfluß auf die Geschicke der Menschheit jenseits des Weltmeeres ausgeübt, von denen in Deutschland nur wenig bekannt geworden ist: Greeley, Bennett und Raymond, die Gründer und Erhalter der drei größten New-Yorker Journale. Als sie vor vierzig Jahren ihre Laufbahn antraten, da waren noch kindliche Zustände im New-Yorker Zeitungswesen. Damals richtete sich noch der Ehrgeiz der New-Yorker Blätter auf die Frage, wer wohl die frühesten Nachrichten von einem einlaufenden Segler erhalten könne; denn es gab zu jener Zeit noch keine Telegraphen, keine unterseeischen Kabelverbindungen, die mit der Schnelligkeit des Blitzes das Neueste im Augenblick um schweres Geld über den Erdboden jedem zutragen, der es zu bezahlen vermochte, sondern der strebsame Zeitungseigenthümer brauchte nur seine Laurer auf den Höhen der New-York-Bai bei den Lootsenführern zu wissen, um ruhig zu sein, und brachte er es bis zu einer eigenen schnellbeflügelten Yacht, so war er sicher, daß ihm keiner zuvorkommen werde mit den neuesten Neuigkeiten. So gelangten die Nachrichten von der Junirevolution, von den Märztagen, ja noch von Garibaldi und seinen Heldenthaten in die Hände der unternehmenden Zeitungsredacteure. Die Arbeit, die jetzt der Telegraph verrichtet, der sich wie ein weitverzweigtes Netzwerk über das Unionsgebiet ausbreitet, lag in den Händen geringbesoldeter Correspondenten, und die Eisenbahnen kamen nur auf den Hauptverkehrscentren in Betracht. Da mußte oftmals noch die langsame Postkutsche erwartet werden, und der Wetteifer beschränkte sich häufig auf die Geschicklichkeit, mit der das Neueste und interessanteste mit der Scheere aus den Spalten eingelaufener Zeitungen herausgeschält wurde.

In diese Zeiten fallen die Uranfänge der drei großen Organe der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten. Die merkwürdigste, in der Geschichte der Presse fast ahne Gleichen dastehende Erscheinung unter den Gründern dieser Zeitschriften ist ohne Frage Bennett, der Redacteur des „New-Yorker Herald“. Er war der gewiegteste Zeitungsmann von den Dreien, wenn man ihre Werke vom finanziellen Standpunkte aus betrachtet. Nach dieser Seite hin ragte er um eines Kopfes Höhe über seine beiden Rivalen, Greeley und Raymond,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 866. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_866.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2022)