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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

die in großartigen Verhältnissen aufragenden, das reichste plastische Leben athmenden Façaden des Otto-Heinrichs- und des Friedrichs-Baues schweifen ließ, er mußte unwillkürlich der weihevollen Empfindung sich hingeben, daß diese Leistungen zu den vornehmsten und besten gehören, die jemals von Menschenhand geschaffen wurden.

Natürlich hat sich diese künstlerische Bedeutung des Heidelberger Schlosses, der eine charakteristische Anerkennung namentlich durch die 1859 in Paris erschienene prächtige Publication R. Pfnor’s[WS 1] zu Theil geworden ist, noch mehr gesteigert, nachdem die Bauweise, zu deren classischen Beispielen es gehört, neues Leben gewonnen hat. Es ist seither das beliebteste Studienobject unserer Architekten und Architektur-Bildhauer geworden und wird für immer eine Fundgrube bleiben, aus der dieselben frische Anregung für ihr Schaffen und Streben schöpfen. Und mehr und mehr wächst auch im ganzen Volke das Bewußtsein, daß wir in diesem Denkmal deutscher Renaissance ein nationales Kleinod besitzen, dessen glückliche Rettung, wenn auch nur als Ruine, wir nicht dankbar genug preisen können.

Das Heidelberger Schloß der Gegenwart.
Photographische Aufnahme von Römmler in Dresden für K. E. O. Fritsch: „Denkmale deutscher Renaissance“.[WS 2]

Leider wird die Freude an unserem Kleinod durch die Sorge um seine Zukunft getrübt; denn seitdem feindliche Kugeln und Pulverminen und die zerstörende Macht des Feuers den herrlichen Fürstensitz in eine Trümmerstätte verwandelt, haben Sturm und Wetter, Regen und Frost, haben die Wurzeln des auf dem Gemäuer entsprossenen Pflanzenwuchses nicht umsonst an seinem Mark gezehrt.

Noch stehen die stolzen, des schützenden Daches beraubten Mauern, aber ihr festes Gefüge wird bereits bedenklich gelockert. Noch entzückt uns die Pracht der architektonischen Gliederung, des Ornaments und Figurenschmucks, aber langsam bröckelt der Stein an diesen plastisch vortretenden Theilen ab, und schon fängt so manche Form sich zu vermischen an. Derartige Zerstörungen schreiten bekanntlich oft in ungeahnt schneller Steigerung vorwärts. Wer kann es wissen, ob nicht schon unsere Enkel den völligen Untergang so mancher Theile des Baues zu beklagen haben werden!

Eine solche Gefahr ist zu ernst, als daß sie nicht schon längst die Gedanken der für das Schicksal des Heidelberger Schlosses zunächst besorgten Künstlerschaft erregt und dieselbe zur Erörterung der Frage veranlaßt haben sollte, ob und mit welchen Mitteln ihr am wirksamsten begegnet werden könne. Es ist jedoch klar und ist auch von jener Seite niemals verkannt worden, daß eine solche Frage, an welcher das gesammte deutsche Volk betheiligt ist, nicht anders als vor dem Forum eben des Volkes entschieden werden darf, weil die Nation als solche am ersten in der Lage ist, dem gefährdeten Bauwerke dauernden Schutz angedeihen zu lassen.

Vor einem weiteren Eingehen in jene Frage sei mir jedoch an der Hand der hier mitgetheilten Abbildungen ein Blick auf die Geschichte des Bauwerkes gestattet!

Der Ursprung der Stadt und des Schlosses Heidelberg reicht bis in das zwölfte Jahrhundert zurück und wird von dem Burgbaue abgeleitet, den Conrad von Hohenstaufen,[WS 3] Friedrich Barbarossa’s Bruder, im Jahre 1147 auf einer der höchsten Kuppen des am linken Neckarufer emporsteigenden Gebirgszuges errichtete. Den hohenstaufischen Pfalzgrafen folgten als Landesherren und Besitzer der Burg Fürsten aus dem Welfen-, dann aus dem Wittelsbacher Hause. Einer der Letzteren, Rudolph der Erste († 1319)[WS 4] fügte jenem ersten, später durch eine Pulverexplosion zerstörten Sitze eine Unterburg hinzu, für welche ein etwa in der Mitte der Berglehne vorspringender Hügel ausgewählt wurde.

Ein vermuthlich aus dieser ersten Anlage des gegenwärtigen Schlosses stammendes Gebäude, das jedoch möglicher Weise erst von Pfalzgraf Rudolph dem Zweiten († 1351)[WS 5] gegründet wurde, ist in dem auf der Westseite des Schlosses thurmartig aus dem

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Rudolf Pfnor (1824-1909), französischer Autor der mehrbändigen Reihe „Chateaux de La Renaissance“ („Schlösser der Renaissance“), darunter „Monographie du château de Heidelberg“ („Monographie über das Heidelberger Schloß“) von 1859. UB Heidelberg
  2. Karl Emil Otto Fritsch: Denkmäler deutscher Renaissance. 1882. Das Foto stammt von Römmler & Jonas
  3. Konrad der Staufer (1134-1195), Pfalzgraf bei Rhein
  4. Rudolf I. (1274-1319), Pfalzgraf bei Rhein
  5. Rudolf II., (1306-1353), Pfalzgraf bei Rhein
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_129.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)