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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

(Görz, Istrien, Triest) unter etwa 600,000 Bewohnern nur etwa 12,600 Deutsche. Das sind allerdings wahrhaft niederschmetternde Zahlen. Aber in diesen Ländern, wo so oft der Schein trügt, ist auch die Statistik keine unbestechliche Macht. Es hat nicht verschwiegen und vertuscht werden können, daß slavischer und italienischer Terrorismus in Krain und im Küstenlande auf der einen, und deutsche Mattherzigheit – und leider auch Gesinnungslosigkeit – auf der andern Seite die Resultate der Volkszählung massenhaft gefälscht haben. Wie viele deutsche Krämer und Handwerker, die vereinzelt unter Slovenen leben, wie viele Minoritäten in ehemals geschlossenen deutschen Bezirken, die aber jetzt der Slavisirung verfallen sind, zeichneten sich um des lieben Friedens willen als Slovenen ein!

So erzählte jüngst ein über die Dinge in Krain stets sehr wohl unterrichtetes österreichisches Blatt: In einem gut deutschen Dorfe von Gottschee wurden die Leute gefragt: „Welche Sprache sprecht Ihr?“

„Gottscheerisch.“

„Das ist keine Sprache, sprecht Ihr auch Slovenisch?“

Auf die bejahende Antwort wurden die deutschen Bauern des Ortes als Slovenen notirt. Das officielle statistische Werk „Die Völkerstämme der österreichisch-ungarischen Monarchie“ von Dr. Ad. Ficker berechnete im Jahre 1869 (das heißt in einer Zeit, in welcher die Terrorisirung der Deutschen in Krain bereits in vollster Blüthe stand, und die statistischen Angaben schon sehr stark im slavischen Sinne beeinflußt waren) die Deutschen Krains noch auf 32,600 und die des Küstenlandes auf 24,000. Daß im Verlaufe von elf Jahren gegen 14,000 Deutsche „aufgesogen“ worden sein sollten, das ist doch unglaublich. Landeskundige berechnen auch jetzt die Zahl der Deutschen in den genannten Ländern Südösterreichs auf etwa 70,000 Köpfe. Sie würden also hiernach in Krain sieben bis acht Procent repräsentiren. Unter allen Umständen handelt es sich dort nur um eine geringe deutsche Minderheit, und wir fragen wohl bang: So wäre das Wort von den „alten deutschen Reichs- und Bundesländern“ nur eine historische Sage? Wir antworten getrost mit Nein! Reden denn nicht die deutschen Namen der Städte Und Märkte, so vieler Dörfer und Gegenden, Berge und Flüsse von der uralten Geschichte des Deutschthums im Lande? Zwar behaupten die slovenischen Volksredner und Publicisten: die Slaven seien die „Ureinwohner“ des Landes und die Deutschen nur „Eindringlinge“. Sie vergessen aber, daß in den östlichen Alpenländern seit deren Romanisirung und seit den Stürmen der Völkerwanderung von Ureinwohnern überhaupt keine Rede sein kann, sondern nur von Einwanderern, und daß unter diesen gerade den Germanen der Vortritt gebührt.

Reste der Gothen und Vandalen besiedelten nämlich nach dem Ablaufen der Völkerhochfluth das Land und machten es sich auf den entvölkerten Trümmern der römischen Herrschaft bequem mit Beil und Pflug. Keine Chronik berichtet von ihrer stillen, friedlichen Thätigkeit in diesen dunklen Zeitläuften; aber mehrere, längst slovenisirte „Gothendorf“ legen beredtes Zeugniß ab. Die Gottscheer gelten ebenfalls als Ueberrest jener alten germanischen Völker. Ihre Sagen deuten auf eine Urheimath am Meere hin. Später besetzten die Langobarden das Land und Reste derselben blieben darin, als König Alboin über das uralte Tres Viis (Tarvis) mit seinem Volke in Italien einbrach. Freilich war diese älteste germanische Bevölkerung von Krain sicher nur eine spärliche und vermochte nicht an Widerstand zu denken, als sich um 600 die ungeheure slavische Völkerfluth, gedrängt von den Avaren, in das zum großen Theil unbewohnte Land zwischen den norischen Alpen und der Adria ergoß. Sie drang vor bis an die Meeresküste und sendete ihre Vorposten bis tief in das Innthal und in’s Friaul.

Schon in den nächsten Jahrhunderten aber begann hier im Südosten die deutsche Rückfluth. Diese Länder geriethen ohne besonderen Kampf rasch wieder unter deutsche Herrschaft (im 8. und 9. Jahrhundert). Die Winden wurden aus Ober- und Mittelsteiermark und aus dem nördlichen Kärnten durch die bajuvarischen (baierischen) Einwanderer allmählich, aber vollständig hinausgedrängt, und nur in Untersteiermark, Südkärnten und ganz besonders in Krain und dem Küstenlande blieb die slavische Masse sitzen. Neben ihr aber machte sich im Anschluß an die im Lande zerstreuten gothisch-vandalisch-langobardischcn Reste eine stetige baierische, fränkische und wohl auch schwäbische Einwanderung unter den Karolingern, Ottonen und Saliern geltend. Die Bischöfe von Salzburg, Bamberg und Freising und die unter dem Schirme der deutschen Könige und Herzoge in Karantanien (Kärnten, Krain, Steiermark) sich seßhaft machenden deutschen Herren und Ritter besiedelten das immer noch sehr dünn bevölkerte Krain mit zahlreichen deutschen Ansiedlern. Damals war es in diesen Gegenden im Gegensatze zum Heut gerade die Kirche – freilich eine noch sich deutsch fühlende Kirche –, die durch ihre Stifte und Klöster lebhaft germanisirend vorging und die mit deutscher Cultur das Land eroberte.

Namentlich in das 12. und 13. Jahrhundert fällt der Höhepunkt dieses schönen Culturkampfes, als dessen älteste Denkmäler so viele „Deutschdorf“, „Deutschgereut“, „Hartmannsdorf“, „Grafendorf“, „Grafenacker“ – heute sämmtlich slavisirt – gelten dürfen. Seine schönsten Errungenschaften aber waren die vielen deutschen Städte und Märkte, durchwegs deutsche Gründungen, die vor Jahrhunderten auch thätsächlich geschlossene kerndeutsche Gemeinwesen repräsentirten, in denen die Slaven nur eine untergeordnete Rolle als Dienstboten spielten. Wie schon angedeutet, gab es auch eine starke deutsche Bauernschaft im Lande. Der Adel endlich gehörte ausnahmslos, wie noch heute, dem deutschen Stamme an. Die Geschichte Krains war eine rein deutsche.

Eine Statistik gab es in jenen Zeiten allerdings noch nicht, und es läßt sich daher nicht ziffermäßig feststellen, ob die Deutschen in der Majorität waren oder nur über eine starke Minorität verfügten. Aber bei einem Blick auf die Ueberfülle deutscher Ortsnamen darf man sich wohl nicht scheuen, das erstere anzunehmen. Jedenfalls ist es dem Slaventhume in Krain niemals bis in unsere Tage herab eingefallen, eine nationale Rolle spielen zu wollen, wie eine solche doch in hohem Grade die Czechen und Kroaten gespielt haben. Und wäre der Jesuit nicht gekommen, so hätte vielleicht nie ein Zwist das friedliche Neben- und Durcheinanderleben von Deutschen und Winden und den Proceß einer allmählichen Germanisirung des weichen und bildsamen windischen Volkselementes unterbrochen. Da war es die blutige Gegenreformation unter Herzog Ferdinand (dem nachmaligen Kaiser Ferdinand II.) am Ende des 16. und am Anfange des 17. Jahrhunderts, welche den ersten Hauptschlag gegen das besitzende und gebildete deutsche Bürgerthum Krains führte. Ungezählte Schaaren von evangelischen deutschen Bürgern, die sich nicht „bekehren“ lassen wollten, wurden gezwungen, das Land zu verlassen; ihre Besitzungen wurden den katholischen Winden überliefert. Aehnlich dürfte der Glaubenseifer unter den Bauern aufgeräumt haben. So wurde ein großer, vielleicht der größte Theil der deutschen Intelligenz gewaltsam aus dem Lande getrieben. Die Geschichte dieser traurigen Reaction ist eben noch ungeschrieben.

Von dieser Zeit an datirt die langsam fortschreitende Slavisirung der Deutschen in Krain, ein Proceß, der durch die unter jesuitischem Einflusse vor sich gehende Entwerthung der deutschen Cultur gefördert wurde. Den Deutschen ging nach und nach jede moralische Widerstandskraft und schließlich auch das deutsche Bewußtsein verloren. Man darf daher getrost sagen, daß sich die windische, oder modern ausgedrückt, die „slovenische“ Nation mit deutschem Blute – im wirklichen wie im übertragenen geistigen Sinne – aufgepäppelt hat und daß ein großer Theil derselben durchaus deutschen Ursprungs ist. Auch in der Sprache läßt sich dies nachweisen, denn neben vielen italienischen Worten ist eine Fülle von Bezeichnungen der alltäglichsten Gegenstände und Begriffe im Slovenischen unverkennbar deutscher Herkunft; oft sind besagte Worte nahezu unverändert aufgenommen worden. Trotz alledem war noch vor einem Jahrhundert das deutsche Element im Lande viel stärker, als heute, und in den meisten Städten das Deutsche die Umgangssprache. Das Windische galt, gerade so wie einst das Czechische und Magyarische, als Sprache der Bauern und Dienstboten. In jüngster Zeit wird aber die Ausmerzung des Deutschen mit einem beispiellosen Fanatismus betrieben, und leider gewähren die gegenwärtigen politischen Verhältnisse diesen Bestrebungen allen möglichen Rückhalt.

Die deutsche Sprache, einst die herrschende, wird kaum noch geduldet. Was die deutsche Cultur in Krain während vieler Jahrhunderte ohne Gewaltthat und ohne die ausgesprochene Absicht, die Slaven ihrer Nationalität zu berauben (die Vorkämpfer der Reformation in Krain: Truber, Hans von Ungnad, Vergerius

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_463.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2024)