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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

in dürftigem Rocke den schmalwangigen Bureauarbeiter, neben dem Geistlichen aus den Reichslanden in würdigem schwarzen Gewande den schlanken Korpsburschen, der mit sichtlicher Genugthuung die frische Quart zur Schau trägt; neben einigen Arm in Arm daherschlendernden, eifrig plaudernden Attachés einer fremden Botschaft einen ganzen Trupp kleiner, gelbwangiger Japaner und Siamesen, die hier ihren verschiedentlichen Studien obliegen und durchaus nicht verlegen mehrere zierliche Backfische anblicken.

Nicht minder rege ist der Wagenverkehr auf den breiten, mit glattem Macadam versehenen Fahrstraßen; häufig genug müssen die berittenen Schutzleute eingreifen, um Verwirrungen schlimmer Art zu hindern; schwerfällige Lastwagen werden von leichten Kabriolets überholt, und schöngeschirrte Ponywägelchen rollen um die Wette mit seidenausgeschlagenen Equipagen dahin. Dazwischen schieben sich auffällige Geschäftswagen, mit muthigen Trabern bespannte Phaëtons, Droschken von zweifelhafter Schnelligkeit und behäbig rasselnde Omnibusse, von deren Verdeck behaglich die Passagiere auf das frohgemuthe Leben zu ihren Füßen herabschauen. Doch plötzlich scheint ein besonderer Zug in das ganze bewegliche Treiben zu kommen; die Schutzleute lenken ihre Pferde zur Seite und bewegen durch rasche Zeichen auch die nahen Gefährte dazu; die Spaziergänger eilen zum Straßendamm und sehen angestrengt nach derselben Richtung; die Besucher der Kranzler’schen Konditorei und des Café Bauer verlassen schleunig die marmornen Tischchen und stellen sich am Fahrwege auf; ein gewisses freudiges Zucken geht durch all die Hunderte und Tausende, und der Ruf: „Der Kaiser kommt, der Kaiser kommt!“ eilt von Mund zu Mund. In demselben Moment fährt schon der einfache Wagen vorbei, und der ehrwürdige Monarch erwiedert freundlich lächelnd die oft mit stürmischen Hochrufen verbundenen Grüße.

So erscheinen uns die Linden im Alltagsleben; ganz anders, viel freudiger, viel belebter ist der Trubel, wenn, wie der Berliner sagt, „etwas los“ ist, bei Truppeneinzügen, bei dem Besuch fremder Fürstlichkeiten, bei allen Festen, welche das preußische Königshaus betreffen, auch bei den großen, im Winter stattfindenden Hofbällen. Dann strömt es von überall her nach dieser Straße heran; wie aufgescheuchte schwarze Ameisenhaufen kribbeln und wimmeln die zahllosen Menschenscharen zwischen den hohen Häuserlinien dahin, bald in dichten Knäueln stockend, dann sich allmählich auflösend, um gleich wieder Halt zu machen, bis einzelne Kühne versuchen, sich mit Unterstützung der Ellenbogen vorwärts zu drängen. Vergebliche Müh’! Ein zehn-, zwölffacher Menschenwall säumt den Fahrweg ein, begrenzt von einer Schutzmannskette, die Niemand durchläßt. Jetzt denkt auch Keiner mehr daran; eingekeilt in drangvoll fürchterliche Enge behauptet Jeder sein Plätzchen und sucht den Hals noch höher zu recken als seine Vorderleute; denn die ersten Wagen mit ordenbesäeten Generalen, mit goldstrotzenden Kammerherren, mit Diplomaten und Gesandten, mit hohen Beamten und Admiralen, auch mit Damen in kostbaren Toiletten, funkelnde Brillantagraffen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_109.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)