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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Doch, doch! Ich fühle es. Aber dann – dann ist mein Herz krank und Du mußt verzeihen.“

„Sag’, Elisabeth, geschah Dir ein Weh?“

„Nein; ich dachte nur ans Sterben, Claudine.“

„O, denke das doch nicht!“

„Du weißt ja, Claudine, daß wider die Liebe und den Tod kein Kraut gewachsen ist! Ich glaube, ich fürchte auch nicht den Tod, ich habe eher Angst vor dem Weiterleben.“

„Du bist überaus angegriffen, Elisabeth.“

„Ja, ja; und ich bin so müde. Du sollst auch schlafen, es ist besser, ich bleibe allein; bitte, geh’! Die Kammerfrau wacht nebenan; geh! Ich muß Dich immer ansehen, wenn Du hier sitzest.“

Claudine beugte sich betrübt über die fieberheiße Hand und zog sich zurück. Gegen Mitternacht schlich sie sich im Nachtkleide nach dem Krankenzimmer und lauschte hinter dem rothen seidenen Vorhang, ob die Herzogin wohl schlafe. Es war alles still; aber als durch ihre Bewegung die Falten leise rauschten, wandten sich langsam die großen dunklen Augen der Kranken mit dem nämlichen starren fragenden Ausdruck wie vorhin zu ihr herüber. „Was willst Du?“ fragte sie.

Claudine trat vor. „Ich ängstige mich um Dich,“ sagte sie, „verzeihe!“

„Sage mir,“ sprach die Herzogin völlig unvermittelt, „warum wolltest Du gestern anfänglich nicht nach Neuhaus?“

Claudine war betroffen. Sie trat näher. „Warum ich nicht nach Neuhaus wollte?“ wiederholte sie erglühend. Dann schwieg sie. Es war ihr nicht möglich zu sagen: weil ich Lothar liebe, und weil er mich kränkt, wo er mich sieht – weil er mir mißtraut, weil –

Die Herzogin wandte sich plötzlich um. „Laß, laß, ich will keine Antwort. Geh’, geh’!“

Rathlos wandte sich das Mädchen der Thür zu.

„Claudine! Claudine!“ scholl es hinter ihr, herzzerreißend und bang. Die Kranke saß im Bette hoch und breitete die Arme nach ihr; angstvoll hingen die flehenden Augen an den ihren.

Sie kam zurück, setzte sich auf das Bett und nahm die zarte bebende Gestalt in die Arme.

„Elisabeth,“ sagte sie innig, „laß mich bei Dir bleiben!“

„Verzeihe mir, ach, verzeihe!“ schluchzte die Herzogin, das Mädchen küssend, ihr Kleid, das lange blonde Haar, das lose auf den Rücken herniederfiel, und ihre Augen. „Sage mir,“ flüsterte sie, „sage es ganz laut, daß Du mich lieb hast!“

„Ich habe Dich sehr lieb, Elisabeth,“ sprach Claudine und trocknete die großen Tropfen, die über das heiße erregte Gesicht der Kranken liefen, wie eine Mutter ihrem Kinde thut. „Du weißt überhaupt nicht, wie sehr, Elisabeth.“

Erschöpft sank die Herzogin zurück „Ich danke Dir – ich bin so müde!“

Claudine saß noch ein Weilchen; dann, als sie glaubte, die Kranke schlafe, wand sie leise ihre Hand aus derjenigen der Freundin und verließ auf den Zehen das Gemach. Ein seltsames Grauen schlich ihr nach. Was war es mit der Herzogin? Dieses Anstarren, diese Kälte, diese leidenschaftliche Zärtlichkeit?

„Sie ist krank!“ sagte sie sich.

Sie stand vor dem Spiegel, um das gelöste Haar zu befestigen – ein mißtrauischer Gedanke kam ihr; die Hand, welche die Schildpattnadel hielt, sank herunter. Dann schüttelte sie stolz die goldene Fluth in den Nacken zurück. Weder sie, noch die Herzogin waren kleinlich genug, an Klatsch zu glauben.

Eine jener ahnungsvollen unbegreiflichen Ideenverbindungen ließ blitzgleich die Erinnerung an das verschwundene Billet auftauchen. Ein dumpfes ängstliches Herzklopfen überfiel sie im Augenblick. Dann lächelte sie – wer konnte wissen, in welchem Waldeckchen es vermodert im Regen und Thau?

Sie nahm das kleine Gebetbuch, aus dem ihre Mutter schon allabendlich ihr Sprüchlein gelesen und schlug irgend eine Seite auf:

„Behüte mich, Herr, vor böser Nachrede und wehre meinen Feinden! Laß kein Uebel mir und den Meinen begegnen und keine Plage unserer Wohnung sich nahen –“ las sie und ihre Gedanken flogen nach dem friedlichen Hause, aus dessen Thurmgemach die Studirlampe des Bruders in den Wald hinaus schimmerte. Und von dort wanderten sie an das Bettchen des mutterlosen Kindes in Neuhaus. „Beschirme es auch ferner, lieber Gott, wie Du es gestern behütet hast!“ flüsterte sie und senkte die Augen wieder aus das Buch. „Erbarme Dich der Kranken, die schlaflos auf ihrem Lager nach Linderung schmachten,“ las sie weiter. „und aller Sterbenden, denen diese Nacht die letzte sein soll.“

Das Buch entglitt ihren Händen, eine eiskalte Furcht erfaßte sie – das entstellte Antlitz der Herzogin schaute sie plötzlich an. Sie barg den Kopf in die Kissen – wie kam sie auf so Schreckliches?

Erst nach einer langen Weile richtete sie sich auf und hüllte sich fröstelnd in die Decken. Und sie ließ die Lampe brennen auf dem Tischchen, sie mochte nicht im Dunkeln bleiben.




Der andere Morgen war so golden, so klar, von so köstlicher Frische. Die Sonne funkelte in Millionen Thautropfen auf den weiten Rasenflächen des Altensteiner Parkes, wo eine Schar Arbeiter die Vorbereitungen zu einem Feste traf; wie lustig und bunt das Alles erschien! Eine Stange hatten sie errichtet mit einem buntgemalten Vogel daran, ein Karoussel aufgestellt, dessen Pferdchen purpurrote Decken trugen, ein Kasperletheater und ein roth und weiß gestreiftes Zelt, von dessen Dache lustig eine Menge Purpurfähnchen und Wimpel wehten. Im Schatten der Bäume befand sich eine Tribüne für die Musikanten und ein gedielter Platz zum Tanz, alles für kleine Leute berechnet.

Der Erbprinz feierte heute seinen Geburtstag, und dies war die Ueberraschung seiner Großmama väterlicherseits, außer dem reizenden kleinen Schimmel, der gestern Abend heimlich in den Pferdestall geführt war und sich dort an der Krippe wohl sein ließ, obwohl er kaum recht hinaufreichen konnte.

Die Herzogin-Mutter wurde gegen Mittag erwartet laut einer Depesche, die in aller Morgenfrühe eingetroffen war. Um zwei Uhr sollte die Familientafel stattfinden, und zum Nachmittag war eine Menge Einladungen ergangen, besonders Kindereinladungen. Selbst die kleine Elisabeth aus dem Eulenhause und Leonie, Baronesse von Gerold, waren mittelst großer feierlicher Karten befohlen.

Das Unwohlsein der Herzogin, dazu das gestrige Unwetter, hatte mancherlei Bedenken erregt. Würde das Fest stattfinden können? Aber, Gott sei Dank, die gefürchtete Absage war nicht erfolgt, Ihre Hoheit befanden sich wohler und das Wetter war unvergleichlich. Man durfte ungetrübt sich auf den interessanten Nachmittag freuen als auf eine Fortsetzung von neulich. Es war ja da in Neuhaus einfach „göttlich“ gewesen, „pikant wie ein Kapitel von Daudet,“ sagte Excellenz Plassen zur Gräfin Lilienstein, als sie ihre Morgenpromenade im Walde machten, und dann wisperten sie sich geheimnißvoll in die Ohren und Ihre Excellenz verdrehte die Augen.

„Wenn sie nur schlau genug ist, heirathet er sie auch noch einmal, die Nachfolge ist ja gesichert,“ meinte die Dame endlich.

„Keine Sorge, meine liebe Gräfin, die Gerolds verstehen alle ihren Vortheil. Der Baron bekommt auch noch die zweite Prinzessin – er thut zwar gewaltig spröde –“

„Schlauheit, liebste Gräfin.“

„Ah! Sie verkehren ja schon wie intime Familien; der Herzog nennt ihn verschiedentlich ‚Vetter‘“

„Kann er auch – doppelte Verwandtschaft!“ Und sie lachte über ihren Witz.

„Ahnt die Herzogin wirklich nichts?“ fragte einer der Herren in der Kegelbahn zur „Forelle“, wo man eine kleine Partie zum Frühschoppen machte, „oder übersieht sie es geflissentlich?“

„Möglich, sie ist eine gescheite Frau,“ meinte Baron Elbenstein und wog eine Kugel in der Hand.

„Warum nicht gar!“ widersprach der dicke Major Baumberg; „die arme Frau sieht, was ihren Gemahl anlangt, in einen goldenen Becher – sie hat keine Ahnung – sie vergöttert so den Herzog.“

„Eben deshalb – sie gönnt ihm sein Glück!“

„Verteufelt hübsches Weib, die Gerold!“

„Reizend!“

„Ueber alles erhaben!“

„Und grundkokett!“

„Und schlau, schlau! Welch ein feiner Schachzug – läuft aus der Hofdamenstellung in diese Wildniß gerade in dem Augenblick, wo das väterliche Gut subhastirt wird. Famos, nicht? “ „Und er biß an!“ sagte ein melancholischer Herr von der Gesandtschaft.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_298.jpg&oldid=- (Version vom 27.7.2019)