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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

über Furcht und Liebe zum Mittelpunkt zu dienen. Furcht und Liebe sind mir ebenso fremde wie verächtliche Begriffe. Nina, Fächer und Sonnenschirm!“

Dahin ging sie, um in der freien Luft ihren Zorn verrauschen zu lassen. Dieser unerträgliche Deutsche verbitterte ihr die ganze Reise! Was sein Mund auch sprach, es waren Ueberspanntheiten oder Widerspruch. Und mit dem Menschen sollte sie noch während 16 000 Meilen Seefahrt zusammen sein? Unmöglich! Lieber wollte sie ganz das Feld räumen! Lieber den Bären von Kapitän bestimmen, sie in irgend einem vorderindischen Hafen zu landen oder einem vorübersegelnden Schiff zu übergeben. Für blankes Gold konnte alles erreicht werden. Indem Ellen Howard diesen Gedanken ausspann, überfiel sie plötzlich ein heftiges Herzklopfen; sie sah sich im Geiste am fremden Bord und hörte Walter Iversen sagen: auf Nimmerwiedersehen! Nein, nein sie mußte bleiben.

Während der Steward unten die Tafel abräumte, Kapitän und Obersteuermann wiederholt das schwebende Barometer prüften – um ein winziges Härchen breit zeigte sich das Köpfchen der Quecksilbersäule niedergedrückt – zündete sich Walter Iversen eine Manila an und brummte vor sich hin. „Schade, schade; sie kennt nicht Furcht noch Liebe und ist doch ein Weib! O Natur, warum schaffst du Meisterwerke und versagst ihnen die Seele? Wer diese Seele wecken könnte!“

„Mr. Iversen, dazu reicht keine Menschenkraft, das könnte nur die Natur; dieser Charakter biegt sich nicht, er müßte gebrochen werden.“

So sprach der Kapitän und deutete auf das Barometer. „Was ist’s damit? Gefallen?“

Der Seemann nickte stumm, setzte die Mütze auf und ging an Deck


(Schluß folgt.)


Blätter und Blüthen.



Die „Waldlilie“. (Mit Illustration S.368.) Mitten im Grün einer prächtigen Nadelholzgruppe, am Abhange der altehrwürdigen Dammallee des Grazer Stadtparks steht auf einem zwei Meter hohen einfach gegliederten Granitsockel das freundliche Denkmal, welches ein steierischer Bildner dem gefeierten steierischen Poeten zu Ehren geschaffen hat. Wem die sinnige Mädchengestalt aus dem vielleicht poesiereichsten Werke Roseggers „Die Schriften des Waldschulmeisters“, wem die von echtem Waldduft umwehte kindlich jungfräuliche Erscheinung bekannt ist, die der Dichter „Waldlilie“nennt, der wird ist dem ideal durchgeführten Gebilde des jungen Künstlers den ganzen Zauber des weihevollen Urwaldfriedens und den unbewußten Liebreiz des echten Naturkindes wiederfinden, den der gemüthsreiche Poet in die liebliche Schöpfung seiner Phantasie zu legen verstand. In loser schlichter Kleidung, mit ungefesselter wallender Haarfluth, streift die „Waldlilie“ barfuß über die Alpenmatten dahin und sammelt die Kräuter und Blumen für die Thiere des Forstes. Das ganze ergreifende, von Rosegger so lebendig und treu geschilderte Kulturbild jener kleinen weltverlorenen Waldgemeinde lebt im Geiste des Beschauers dieser sympathischen Gestalt wieder auf und jede einzelne Figur aus dem herrlichen Buche tritt in plastischer Kraft hervor. Aber das Werk Hans Brandstetters, dessen schöne Begabung ihn auf das lyrisch-romantische Gebiet seiner Kunst verweist, ist nicht etwa eine einfache Verkörperung der vom Dichter nur flüchtig gezeichneten Mädchengestalt, es ist vielmehr die freie originelle Schöpfung des jungen Meisters, dessen Geist und Gemüth in dem dichterischen Gebilde nur den belebenden Hauch gefunden. Brandstetter ist ja ist gewissem Sinne selbst so eine Art „Waldlilie“, ein echtes und rechtes Naturkind, in dem sich schon in frühesten Tagen das Talent zu zeichnen und zu schnitzeln regte. In dem kleinen Walddörfchen Michelbach, wenige Stunden von Graz entfernt, wurde Hans am 25. Januar 1854 als Sohn eines armen Nagelschmieds geboren. Seinem Vater lernte er früh die Kunst ab, Baßgeige, Violine und Guitarre zu spielen, zu zeichnen und zu schnitzeln. Er kam dann bei einem Onkel, einem Nagelschmied, ist die Lehre. Ein Felsblock, der ihm die Hand zerquetschte, endigte diese für ihn traurige Lehrzeit. Er kehrte heim, wurde geheilt, und nun ergab er sich der „Schnitzelkunst“ mit Passion. Im September 1870 kam er bei dem Holzbildhauer Gschiel in Graz in die Lehre. Zeichnen, komponiren, modelliren, schnitzeln war seine Tagesarbeit; er fand rasch den Beifall hochherziger Kunstfreunde, auch ein Stipendium des Kaisers wurde ihm zu Theil. Jedes Jahr brachte dem Jünger der Akademie einen ersten Preis. Seine Statuetten und Skulpturen fanden lohnende Abnahme. Viele seiner von idealem Geist durchdrungenen Arbeiten finden sich heute schon in den Wiener Salons. Die „Waldlilie“ im Grazer Stadtpark bezeugt besonders das schöne und reiche Talent des jungen Meisters, der sich im Herbste dieses Jahres mit einem Staatsstipendium nach Rom begeben wird, um seine Studien zu künstlerischer Vollendung zu führen.

Ernst Keiter.     






Anekdoten von Theodor Döring. Die ehrwürdige Veteranin unter unseren Romanschriftstellerinnen, Fanny Lewald, hat unter dem Titel „Zwölf Bilder nach dem Leben“ (Berlin, Otto Janke) Erinnerungen herausgegeben, in denen sie uns mehrere Berühmtheiten vorführt, mit welchen sie in nähere Berührung gekommen. Alle diese Porträts sind mit pietätvoller Hingebung gezeichnet; die Johanna Kinkel, die Schröder-Devrient, Liszt, Heine, Fürst Pückler, die weniger bekannte Hortense Cornü, eine Jugendfreundin Louis Napoleons, die sich aber nach dem Staatsstreiche auf das entschiedenste von ihm lossagte, Gustav Richter, der menschenfreundliche Arzt Wilms und einige andere namhafte Zeitgenossen lösen sich in bunter Folge ab. Jede schärfere kritische Beleuchtung ist in diesem der Erinnerung geweihten Freundschaftsalbum ausgeschlossen: eine milde Unparteilichkeit wahrt der Eigenart jeder Persönlichkeit ihr volles Recht.

Warm empfunden ist besonders der Nachruf, der dem liebenswürdigen Künstler Theodor Döring geweiht ist, dessen Herzensgüte Fanny Lewald nicht genug rühmen kann. Auch sei er ein geborener Schauspieler gewesen, der die Gestalten der Dichtung wie das Wesen der lebenden Menschen mit blitzschnellem Erkennen erfaßt habe, und das Erkennen hieß für ihn, sofort lebendig machen, gestalten, zur Erscheinung bringen; er mußte immer darstellen und spielen, er kopirte alle Persönlichkeiten sogleich mit frappanter Wahrheit. Seine Beobachtungskraft und seine Nachahmungsfähigkeit waren wunderbar. Ohne daß er ein Wort englisch sprechen konnte, vermachte er durch einen Mischmasch sinnloser Silben und den Tonfall, mit welchem er sie an einander reihte, das Ohr so vollständig zu täuschen, daß man meinen konnte, englisch sprechen zu hören.

Einmal war ein kleiner sächsisch sprechender Mensch, der sich für einen Schneider aus der Theatergarderobe ausgegeben, zu Döring gekommen, ihn um ein Almosen anzusprechen, da seine Frau in der Nacht von Zwillingen entbunden worden sei. Dörings stets offene Hand hatte ihm sofort 2 Thaler gegeben. Als er sich aber am folgenden Tage bei dem Garderobier nach dem Schneider erkundigte, stellte es sich heraus, daß ein solcher kleiner Sachse gar nicht existirte und daß er betrogen worden sei. Alle lachten, man bedauerte die unnütze Gabe.

„Was ist denn da zu lachen?“ rief Döring, „und wie könnt Ihr von unnützer Gabe sprechen? Der Mensch war ein großer Künstler. Stellt Euch vor,“ sagte er und begann nun die ganze Scene zu spielen, „wie ich dem Kerl die zwei Thaler gegeben habe, faltete er seine beiden Hände, hob sie an seinen Mund, küßte sie und wirft mir die Hände mit dem Kuß entgegen, statt mir die Hand zu küssen.“ Dabei machte er sofort die Bewegung nach. „Ich sage Euch,“ fuhr er dann fort, „es war ein Meisterzug! Zehn Thaler war er mir werth, nicht bloß die lumpigen zwei.“

Saß man einmal bei einer vorzugsweise gewählten Mahlzeit an seinem Tische, so liebte er es zu erzählen, wie er in der Zeit seiner Anfänge zwischen den kleinen herumziehenden Truppen in Bromberg, Thorn etc. seinen Weg gemacht, wie er einmal zur Winterszeit im Sommerrock und in leichtester Bekleidung sich einer Prinzipalin vorgestellt und, um ihr zu beweisen, daß er nicht völlig auf dem Trocknen sei, einen großen Rohrstock mit goldenem Knopfe immer vor ihren Augen habe spielen lassen. Und dann sich umwendend und auf seine mit vortrefflichen Kupferstichen, die eine seiner Liebhabereien waren, gezierten Wände blickend, setzte er mit zufriedenem Lächeln hinzu: „Ja, ja, ich habe nicht immer so gewohnt, nicht immer Hasen gegessen und Champagner getrunken! Aber mein Champagner ist gut, und wie ich in meinem Hause und dem Publikum auf der Bühne das Beste biete, so halte ich darauf, daß auch mir das Beste geboten werde.“

Einmal sagte die Crelinger, die eine excellente Hausfrau war: „Essen Sie morgen bei mir, Döring, ganz ohne Umstände!“

„Nein“ entgegnete er ihr, „machen Sie Umstände, liebe Crelinger; ich bin das so gewöhnt!“

†      





Nach der Taufe. (Mit Illustration S. 369.) Wir stehen vor der Kirche eines Dorfes im bayrischen Hochland nahe der Tiroler Grenze. Dort ist ja die malerische Tracht daheim, die uns der Künstler auf diesem Bilde vorführt. Wie hübsch kleidet nicht diese „Berglerinnen“ der grüne kleine Spitzhut, der ihnen so keck auf den üppigen Haarflechten sitzt, dazu das knappe Mieder mit silbernen Kettchen verschnürt, die werthvolle Halskette und das seidene Brusttuch; und die Reckengestalt des stämmigen Bauern, wird sie nicht durch die einfache Lodenjoppe und die kurzen Kniehosen äußerst vorteilhaft hervorgehoben?

So kommt die kleine Gesellschaft aus dem Kirchhof hervor, an dessen Eingang ein altes Madonnenbild von dem verwitterten Pfeiler herabschaut. Das neugeborene Kind, das die junge Pathin, die „Godel“, auf den Armen trägt, ist soeben da drinnen in der Kirche getauft worden. Sicherlich erhielt es den Namen seines Vaters oder Großvaters, wenn es nicht etwa dem angestammten Regentenhaus zu Ehren Max oder Ludwig heißen mußte; denn wir werden kaum irren, daß es ein „Bub“ sei. Dafür spricht ja die helle Freude, die dem Vater aus dem wetterharten Gesicht strahlt, indem er auf seinen Sprößling herabschaut und sich behaglich wieder das Pfeifchen stopft, das er nur ungern in der Kirche ausgehen ließ. Und wie er dabei auf die „Godel“ hineinredet, die, durchdrungen von ihrer heutigen Wichtigkeit, im Festtagsgewand neben ihm herschreitet und voll zärtlicher Sorgfalt die Blicke auf ihr „Godelkind“ niedersenkt! Hinter ihr folgen zwei junge Mädchen, die wahrscheinlich zur Verwandtschaft gehören. Ohne Zweifel haben auch sie mit einander gar wichtige Dinge zu reden, vielleicht von Brautstand und Hochzeit; aber während die eine munter zu plaudern scheint, steht die andere in Sinnen versunken und steckt sich tändelnd ein Blümlein hinter die Hutschnur. Was sie wohl bei sich denken mag?

Ganz zuletzt in diesem kleinen Zuge sehen wir noch ein altes Weib nachhumpeln; es hat nothwendigerweise auch bei der Taufe sein müssen;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_371.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)