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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

eine besondere Geschicklichkeit im Werfen besaß, und daß der ganze Spuk, der noch eine Zeit lang fortdauerte, zu Ende war, als man den Karl Wolter in Verhaft genommen hatte.

Wenn irgendwo, so liegt es hier auf der Hand, daß man es mit einem ganz gewöhnlichen Bubenstreich zu thun hat, zu dessen Erklärung es nur der Voraussetzung einer gehörigen Portion Schlauheit und Gewandtheit nebst etwas Draht, Bindfaden und Roßhaaren auf seiten des Uebelthäters, nimmermehr aber der Zuhilfenahme von außerirdischen Kräften bedarf. Wunderbar ist an diesem ganzen Vorfalle nur das eine, daß selbst ein Mann von wissenschaftlicher Bildung sich von den Taschenspielerkünsten des halbwüchsigen Burschen so verblüffen ließ, daß er allen Ernstes sich zu einer Aenderung seiner langgewohnten Anschauungen und Ueberzeugungen entschließen zu müssen glaubte. Freilich, die Schinkenknochen und Bratpfannen des märkischen Bauernburschen sind nicht allein schuld an dieser Sinnesänderung. Es haben hierzu allerlei Schriften mitgewirkt, welche der Herr Pastor Müller in seiner Noth über das Räthsel von Resau zu Rathe zog, und unter diesen Bekehrungsschriften entdeckten wir mit Erstaunen auch die „Gartenlaube“.

Nun, wenn die „Gartenlaube“ in einem Stück ein gutes Gewissen hat, so ist es darin, daß sie niemals in den 36 Jahren ihres Bestehens dem Aberglauben in irgend einer Form Nahrung gegeben oder Vorschub geleistet hat, daß es vielmehr stets und überall ihr Bestreben gewesen ist, Wahn und Aberglauben auf Schritt und Tritt zu verfolgen, ihm mit der Fackel der Wissenschaft ins Gesicht zu leuchten und die natürliche Erklärung des gesunden Menschenverstandes an die Stelle übersinnlicher Deuteleien zu setzen. Wir könnten das mit einer ganzen Liste von Aufsätzen und kurzen Notizen in dem Blatte belegen, führen aber heute nur beispielsweise den Artikel des eben verstorbenen Ludwig Walesrode in Nr. 32 und 33 des Jahrgangs 1863 an, in welchem die wunderbare Geistermusik im Festungsgefängniß zu Graudenz ihre natürliche Erklärung findet. Und noch im Jahre 1887 kam ein Aufsatz über „Spiritisten und Taschenspieler“ zu dem Ergebniß: „In Gegenwart der Polizei erscheinen weder Geister noch Teufel!“

Und trotzdem hat die „Gartenlaube“ ein Stück von dem Geisterglauben des Herrn Pastors auf ihrer Rechnung!? Wir baten nun natürlich den Herrn Pastor, uns die Stelle in unserem Blatte namhaft zu machen, die seine Ueberzeugung in der angedeuteten Richtung beeinflußt habe, und siehe da, er berief sich in seiner Antwort auf einen Artikel von Friedrich Gerstäcker in Nr. 24 des Jahrgangs 1871 über „gespenstiges Steinwerfen“ auf der Insel Java. Wir waren nicht wenig über diese Mittheilung erstaunt und schlugen den alten Jahrgang nach, um uns den betreffenden Artikel noch einmal anzusehen. Der bekannte Romanschriftsteller und Reisende beginnt denselben mit der Bemerkung:

„Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß die meisten Menschen, selbst die Gebildetsten der verschiedenen Nationen nicht ausgenommen, abergläubisch sind“ u. s. w. Er kommt dann auf das Steinwerfen zu sprechen, welches, wie er in früheren Jahren gehört zu haben sich erinnert, an mehreren Orten in unserem Vaterlande vorgekommen sein soll, und sagt dann wörtlich: „Umsomehr war ich erstaunt, als ich in Java der nämlichen Sage begegnete.“ Und endlich erzählt er in seiner bekannten spannenden, mit dem Reiz des Geheimnißvollen kunstreich spielenden Art verschiedene räthselhafte Geschichten, wonach Mitte der dreißiger Jahre das Haus des holländischen Assistent-Residenten von Kessinger in Sumadang von „gespenstigem“ Sirih-(Betel-)Spucken und Steinwerfen heimgesucht, auch einige ähnliche Begebnisse in anderen Theilen der Insel Java festgestellt wurden. Gerstäcker selbst überließ das Urtheil dem Leser, er wäre ja wohl auch außer stande gewesen, selbst Nachforschungen an Ort und Stelle vorzunehmen. Was aber that die Redaktion der „Gartenlaube“? In einer dem Artikel Gerstäckers beigefügten Fußnote sagt sie: „Obiger interessante Artikel Gerstäckers wurde von uns um so lieber zum Abdruck gebracht, als wir dadurch dem großen Leserkreis unseres Blattes Gelegenheit bieten möchten, ihre Erfahrungen zur Aufklärung ähnlicher scheinbar mysteriöser Vorfälle beizutragen.“

Was heißt das anders, als daß die „Gartenlaube“ auch diese Vorfälle auf der Insel Java für nur scheinbar mysteriöse hält und von ihren Lesern gehalten wissen möchte? Daß sie die ganze Intelligenz ihres gesammten großen Leserkreises gleichsam mobil machen will gegen die Verwendung solcher „scheinbar mysteriöser“ Vorfälle zu Zwecken des Aberglaubens und der Flunkerei? Daß sie dem Artikel Gerstäckers nur darum ihre Spalten öffnete, um an ihm zu zeigen, welche scheinbar jeder menschlichen Erkenntniß spottende Formen ein solches „mysteriöses“ Ereigniß annehmen kann? Und trotzdem?! Wahrhaftig, es gehört zum mindesten ein merkwürdiges Geschick im Mißverstehen eines klar ausgedrückten Sinnes dazu, wenn man obigen Artikel sammt seiner Fußnote zu Ende liest und dann noch hingeht und sagt: „Die ‚Gartenlaube‘ hat mich mit zu dem Glauben an Spuk bekehrt.“ –

Der Fall von Resau hat das Ende genommen, das ihm gebührte. Die Gerichte haben darüber erkannt und ihm die Namen gegeben, die allein am Platze sind: „Sachbeschädigung“ und „Grober Unfug“. Wir möchten dem höchstens noch eines hinzusetzen: dieser „Spuk“ ist eine recht betrübende Erscheinung am Ende unseres neunzehnten Jahrhunderts!




Blätter und Blüthen.

Blutige Ostern. (Zu dem Bilde S. 244 und 245.) Blutige Ostern darf man mit Recht die Auferstehungsfeier des Jahres 1525 nennen, denn das hohe Fest der Christenheit fiel damals mitten in die Greuel des großen Bauernkrieges, welcher Schwaben und Oesterreich, Franken und Thüringen verwüstete. Die Anzahl der Burgen und Dörfer, die im Verlaufe desselben eingeäschert wurden, läßt sich nicht feststellen; die Zahl der Todten allein wird auf 50 000 angegeben, und dabei fielen die meisten der Opfer nicht in offener Schlacht, sondern in heimlichen Ueberfällen.

Aus all dem Elend jenes Krieges ragt namentlich eine That hervor: der Fall von Weinsberg und die Hinrichtung des Grafen Ludwig von Helfenstein. Es war um die Mitte April, gerade in der Osterzeit, als ein Haufen aufrührerischer Bauern, von einem früheren Schenkwirth Georg Metzler und dem Bauernhetzer Jäcklein Rohrbach geführt, vor Weinsberg erschien und die Burg nahm. Siebzig Adlige unter der Führung des Grafen von Helfenstein fielen in die Hände der Aufständischen; einige von ihnen wurden bereits in dem Weinsberger Thurm erstochen und auf die Straße hinabgestürzt, die übrigen, vor allem aber der Graf selbst, zum Tode durch Spießruthenlaufen verdammt.

Besser als es unsere Feder vermöchte, giebt das ergreifende Bild des talentvollen Malers G. A. Cloß die blutige Vollziehung jenes Urtheils wieder. Das „Recht der langen Spieße“ war eine harte Strafe, die namentlich unter den Landsknechten üblich war und nach festgesetzten Regeln unter Trommelklang vollzogen zu werden pflegte. Die kriegerischen Bauern, deren Scharen sich auch alte Landsknechte beigesellt hatten, versuchten hier wohl, das hohe Kriegsgericht nachzuahmen. Aber dem wilden ungeregelten Haufen fehlt die Mannszucht, dem Hinrichtungsakt fehlt das versöhnende Moment der Beichte, die der Verurtheilte sonst ablegen durfte. Es fehlt ihm auch der ergreifende Schluß des Spießruthenlaufens, von dem wir in „Frundsbergs Kriegsbuch“ lesen: „– wenn der arme Mensch verschieden ist, so knieet man nieder und thut ein Gebett, darnach macht man ein Ordnung, und ziehen drey mal umb den Körper, und die Schützen schießen drey mal ab, im Namen des heiligen Geists, Dreifaltigkeit, und ziehen darnach wiederumb, und machen ein Beschluß Ring.“[WS 1]

Einen derartigen, wenn auch harten, aber doch nicht unwürdigen Soldatentod erleidet keineswegs der unglückliche Graf von Helfenstein. Unter den höhnischen Klängen des voranziehenden Pfeifers wird er vielmehr zu Tode gemartert, und seine Qual wird noch vermehrt durch den Anblick seines unmündigen Kindes, das auf einem Bauernwagen gefahren wird, und seiner Frau, die, eine natürliche Tochter des Kaisers Maximilian I., vor dem Bauernhetzer Jäcklein Rohrbach knieet und ihn um das Leben ihres Mannes anfleht – umsonst! denn der Unmensch antwortet: „Und wenn Du mir eine Tonne Goldes bietest, Dein Mann muß sterben!“

Das Abstoßende der Scene wird noch durch die Gegenwart einer Megäre erhöht. Dort (links auf unserem Bilde) steht sie mit grinsendem Ausdruck in den wilden Zügen – „die schwarze Hofmännin von Böckingen“, von welcher die Geschichtschreiber berichten, daß sie sich hohnlachend auf den zu Tode gemarterten Helfenstein geworfen und ihm das Messer in die Eingeweide gestoßen. – –

Die Weinsberger Tragödie bildet nur eine Scene aus den Greueln des Bauernkrieges, zur vollständigen Illustration desselben genügt sie nicht. Man müßte ihr etwa die neunundfünfzig Bauern von Kissingen, welchen der Markgraf Kasimir von Brandenburg-Kulmbach die Augen ausstechen ließ, gegenüberstellen, um klar zu legen, daß jener Bürgerkrieg auf beiden Seiten mit unerhörter Grausamkeit geführt wurde. Und wenn wir ferner auf die Ursachen des Bauernkriegs näher eingehen, so werden wir gewiß den Aufrührern mildernde Umstände zuerkennen.

Das 16. Jahrhundert fing für den Bauern nicht besonders segensreich an. Schon gegen das Ende des 15. Jahrhunderts war der frühere Wohlstand des Bauern untergraben, und in dem untergehenden Reich wurde er immer mehr jedes Schutzes beraubt und der Willkür der Ritter und Herren preisgegeben. In jener Zeit, wo Kirche und Staat die schwersten Schäden aufzuweisen hatten, schossen überall neue Ideen empor. Auf den Höhen der Gesellschaft erblühten Künste und Wissenschaften, erhob sich der freiere Lufthauch der Reformation; in den Tiefen des Volkes aber gährte es nicht minder, und in ihnen keimte, durch „Prophezeiungen“ aller Art genährt, der Gedanke einer neuen socialen Ordnung.

Der „arme Mann“, der sich unter dem Zeichen des „Bundschuh“ in geheime Gesellschaften zusammenscharte, plante nicht ausschließlich Raub und Mord. Wohl gab es in den Reihen der Bauern ruchlose Verführer, die nur Verwüstung und Plünderung im Auge hatten; es gab aber auch Führer unter ihnen, denen wir unsere Achtung nicht versagen können. In ihren „zwölf Artikeln“ und dem „Reichsverfassungsentwurfe“ forderten die Aufständischen manches, was unmöglich und unbillig war; wenn sie aber Beibehaltung des Kaisers, Gemeinsamkeit von Münze, Maß und Gewicht, Aufstellung eines Reichskammergerichtes aus sechs Edelleuten, sechs Bürgern und vier Bauern, Beschränkung des römischen Rechts, Freizügigkeit u. dergl. fordern, so müssen wir in ihnen zum Theil Vorkämpfer der neuen Zeit anerkennen.

Ostergeheimniß. (Zu dem Bilde auf S. 241.) Junges Leben keimt und knospet in Feld und Wald, aus Hecken und Büschen tönt jubelndes Vogelgezwitscher, und Krokus und Schneeglöckchen grüßen in Blüthenpracht den Frühling. Ein Zauber webt in der Natur: das Geheimniß der Verjüngung aus Wintersnacht zum Sonnenglanz des Lenzes. Und der Lenz erfüllt mit seinem Zauber auch das Kind, das sein Sehnen und Wünschen dem „Osterhasen“ vertraut. Es denkt der Ostereier und der Wahl der schönsten und buntesten für die Mutter. Das sagt es geheimnißvoll dem zutraulichen Spielgefährten, dem schnell die Rolle des Osterhäschens zugetheilt ist, ins Ohr und sein Wünschen ist sein Ostergeheimniß – die süße Frucht der köstlichen Liebe, die mit dem Winter nicht erstirbt, aber mit jedem Frühling sich verjüngt und vertieft. **

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Leonhart Fronsperger: Kriegßbuch / erster Theil, Frankfurt 1596, fol. XIIIv BSB
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_259.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)