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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

zu lachen verstand und eine entzückende Haustoilette aus weißem Flanell trug.

„Tantchen Tollen erlaubt’s nicht?“ fragte Wegstedt. „Tantchen Tollen muß! Wir haben hier großen Mangel an jungen Damen – sie hat kein Recht, uns die einzige noch zu nehmen. Was soll denn aus unserer Quadrille werden, nicht wahr, gnädiges Fräulein, wenn Fräulein von Tollen nicht mitreitet?“

„Eine Quadrille?“ fragte Käthe.

„Famos!“ rief Gusti burschikos und winkte dem Diener, daß er die gefüllten Gläser präsentire. „Haben die Herren schon über die Kostüme gesprochen; ich dachte, die Uniform eines der alten kurbrandenburger Regimenter zum Beispiel müßte sich gut machen – was, Käthe?“

„Kann sein; aber ich – ich mag nicht,“ antwortete diese.

„Mag nicht? Wetten wir, daß Sie sehr bald mögen?“ rief Wegstedt.

„Du kommst morgen mit mir in die Reitbahn!“ entschied Gusti, „ich habe noch ein zweites Reitkleid; der Rock wird Dir wohl passen. Da setzen wir Dich einmal auf den Gaul – Du hast doch nicht etwa Angst?“

Käthes Augen blitzten verächtlich. „Ich werde mich morgen aufsetzen“ sagte sie, „an Courage fehlt es mir nicht; aber nur zum Spaß, denn ich –“

„Schön; also zum Spaß,“ unterbrach sie Wegstedt.

„Aber wollen Sie denn schon wieder fort, Fräulein von Tollen?“ rief die Hausfrau.

„Ach, bleiben Sie doch noch!“ scholl es vom Tisch herüber.

„Freilich bleibt sie,“ erklärte Gusti, „sie wird überhaupt nicht gefragt, ob sie will. Komm, wir gehen durch den Garten!“

Sie zog Käthe mit fort, und als sie durch die dunkeln Gänge streiften, wo hier und da Johanniswürmchen aufflammten, fragte Gusti leise. „Du, wer ist denn eigentlich der junge hübsche Mensch, der da drüben wohnt? Ist es der Sohn von Deiner alten Pastorin, zu der Du so oft gehst?“

„Ja!“

„Er sieht gut aus; er ist doch nicht etwa gefährlich?“

„Wieso?“

„Hm, frag’ nicht so dumm! Wegstedt sagt, er kommt so oft zu Euch; ist das wahr?“

„Ja, er ist – er – weißt Du, ein alter Freund von uns und – mein ehemaliger Lehrer.“

„Weiter nichts?“ fragte Gusti eindringlich.

„Nein!“ Käthe sagte es, ohne zu stocken.

„Nun, da wird sich Wegstedt ja beruhigen.“

„Ich verstehe Dich nicht.“

„Aber bist Du dumm! Verzeih’, Käthe, bist Du denn so ein Bähschäfchen, daß Du nicht merkst, wie Wegstedt bis über beide Ohren in Dich verliebt ist?“

„Ah, Unsinn! – In Dich vermuthlich!“

„In mich?“ Das klang ganz mitleidig. „Du weißt so gut wie ich selber, daß ich nicht an ihn denke und an wen ich denke – nein – allen Ernstes, Käthe, Dich meint er.“

„Denkst Du an einen Bestimmten?“ fragte Käthe ablenkend, aber ihr Herz klopfte stark.

„Freilich! Ich bin schon seit vorigem Jahre heimlich verlobt; Papa will’s zwar nicht zugeben, hat den armen Menschen für ein Jahr auf Reitschule kommandiren lassen, es hilft ihm aber nichts; nebenbei finde ich es ganz reizend, heimlich verlobt zu sein und – aber davon sprechen wir nicht – Wegstedt –“

Käthe hielt sich die Ohren zu. „Hör’ auf!“ rief sie. Es war ihr, als tanzten Feuerfunken vor ihren Augen.

„Auch gut!“ sagte Gusti.

Schweigend schritten sie weiter. Auf der Landstraße jenseit der Hecke ging ein Bursche mit der Ziehharmonika, und ein paar Mädchen sangen die Worte zu dem traurigen Soldatenlied, das zu den Lieblingsweisen des Volkes jener Gegend gehört:

„Die Rosen blühen im Thale,
Soldaten marschiren ins Feld.“

Sie standen still und horchten dem Lied bis zu Ende;

„so geht’s, wenn ein Mädchen zwei Knaben lieb hat,
’s thut wunderselten gut –“

hub klagend der letzte Vers an. Käthe sandte einen dunkeln Blick hinüber, und ihre Rechte, die auf Gustis Arm lag, zitterte leise. „Es ist zu grausig,“ sagte sie scherzend, „daß er sie gleich todt sticht.“

„Was willst Du denn?“ fragte Gusti laut, „ich glaube, Meiner ermordete mich auch kaltblütig, wenn ich – –“ Sie stockte. „Na, den andern schösse er jedenfalls todt – und mich –“

„Dich, Gusti?“

„Strafte er mit Verachtung, wie ich es verdiente.“

Käthe sprach nicht mehr. Sie kamen nach einer langen Weile zu der Gesellschaft zurück.

„Ich muß wirklich heim,“ sagte sie. Sie sah sehr blaß aus.

„Ich begleite Sie,“ rief der kleine blonde Offizier und ging hinaus, um sich Säbel und Mütze zu holen.

Bis zum Thorweg ging Gusti mit, und heimlich zwickte sie Käthe in den Arm. „Der gute Wegstedt,“ flüsterte sie, und laut fügte sie hinzu. „Morgen nachmittag um 4 Uhr in der Reitbahn!“

„Ich weiß noch nicht,“ sagte Käthe unsicher.

Der junge Offizier schritt anfangs schweigend neben Käthe her. „Warum wollen Sie denn nicht reiten?“ fragte er dann.

„Es wäre eine Thorheit von mir,“ erwiderte sie; es klang bitter.

„Wieso?“

„Reiten lernen – ich hätte ja kein Pferd.“

„Kein Pferd? – hm! –“

„Nun also!“

„Aber es wäre doch nett, wenn Sie es gelernt hätten, – für später vielleicht.“

„Vielleicht!“ spottete sie; „lassen wir das, bitte!“

„Nein, ich will, daß Sie reiten lernen, alles andere findet sich.“

„Sie wollen das?“ fragte Käthe athemlos.

„Ja, Sie werden nicht immer in dem Neste hier und bei Ihrer Frau Mutter bleiben; wenn Sie zum Beispiel einmal meine Eltern besuchen, und das hat ja Tantchen Tollen schon versprochen, dann – dann wäre es doch schade, wenn Sie allein zu Hause sitzen müßten, nur weil Sie nicht reiten gelernt haben“

Sie waren während dieser Worte in die einsame Straße gebogen, in der sie wohnten. Am nächtlichen Himmel wetterleuchtete es hinter drohenden Wolken, schwül und dumpf athmete sich die Luft, durchzogen von den Flieder- und Jasmindüften, die aus den Gärten herüberquollen.

„Bei unserem Schlosse ist ein köstlicher Reitplatz,“ fuhr Wegstedt fort, „ganz mit hundertjährigen Linden umstanden. Es ist überhaupt nett da, in Wegstedten; die alte Burg hat Stimmung, wie die Maler sagen; sie ist unverändert, seitdem 1615 der letzte Nagel eingeschlagen wurde. Sie müssen wirklich bald ’mal kommen, Fräulein Käthe; schon der Ahnensaal ist interessant, und, denken Sie sich, just noch zwei Bilder haben da Platz – meines und das meiner künftigen Frau, – dann muß ein neuer etablirt werden. Können Sie sich vorstellen, daß mich manchmal die Neugierde plagt, zu wissen, wie das letzte weibliche Porträt wohl aussehen wird, das da neben dem meinen hängen soll dereinst?“ –

Sie erwiderte kein Wort. Sie standen jetzt vor der Thüre des kleinen Hauses, und Käthes Rechte lag auf dem Drücker; blendend weiß leuchtete die schmale aristokratische Mädchenhand durch die Dunkelheit, dann legte sich eine Männerhand mit leisem Druck über die ihre. Einen Augenblick zuckte sie schreckhaft auf, aber sie machte dennoch keinen Versuch, sich zu befreien.

„Käthe!“ klang es in ihr Ohr.

Sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf gesenkt.

Langsam, ihre Hand noch immer unter der seinen, bog er den Drücker, dann leitete er sie, ohne sie loszulassen in den Hausflur, und dort preßte er die zitternden Finger an seine Lippen. „Auf Wiedersehen!“ sagte er leise, denn von oben kam ein Lichtschimmer und floß dämmernd bis zu ihnen herunter.

Sie sah ihm einen Moment in die Augen und ging dann rasch der Treppenthüre zu, die Helene öffnete.

„Kamst Du denn mit Wegstedt?“ fragte diese, halb besorgt, halb erstaunt.

„Ja!“

„Aber das will Mama doch nicht, Käthe.“

„Ich wollte es auch nicht,“ klang es leise zurück, „aber wer kann dafür?“ Und Käthe lief nach einem hastigen „gute Nacht!“ an der Schwester vorüber in ihr Kämmerchen und starrte mit großen Augen in die Dunkelheit. Und plötzlich fing sie leidenschaftlich an zu schluchzen, wie immer, wenn sie nicht aus noch ein wußte. Dann, wann sie ausgeweint, wußte sie gewöhnlich, was sie wollte, und als heute der Paroxysmus vorüber war, wußte sie es auch.



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