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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


„Pardon, Herr von Wegstedt,“ sagte er, obgleich ihm das Blut aus dem Munde quoll, „Pardon – ich –. Aber sehen Sie, Käthe Tollen ist meine Braut!“ Er sah nicht mehr, daß der junge Offizier wie außer sich den Boden stampfte; er war schon bewußtlos. –

Wegstedt, der nur einen leichten Streifschuß erhalten hatte, fuhr in seine Wohnung. Der Arzt sollte nachkommen, sobald Schönberg versorgt sei. Hans Wegstedt mit seinem schmerzenden blutenden Arm stieg geradeswegs in die Tollensche Wohnung hinauf; Helene stand in der kleinen Küche und zerschlug Eis für die Kranke, die im höchsten Delirium lag, – Sie hatte rothgeweinte Augen.

„Sagen Sie mir, seit wann ist Käthe mit Doktor Schönberg verlobt?“ begann er unvermittelt.

Das stille blonde Mädchen starrte ihn erschreckt an, wie er so plötzlich dastand auf der Schwelle, blaß, mit schmerzverzerrtem Gesicht, den Aermel der Ulanka angeschnitten und Blut in dem Tuch, das ihm eilig um den verletzten Arm gebunden worden war.

„Um Gottes willen!“ stammelte sie.

„Seit wann ist Käthe verlobt mit Doktor Schönberg?“ wiederholte er. „Reden Sie, gnädiges Fräulein!“

„Seit –“ stotterte sie, „ja schon seit ein paar Monaten. Hat sie Ihnen das nicht gesagt?“

Er wandte sich kurz um und ging die Treppe hinunter. Dort verschloß er die Thür seiner Stube hinter sich, warf sich in einen Sessel und begann zu weinen, zu weinen wie ein kleiner Junge! Eben noch hatte er dem Tod ins Auge geschaut und mit keiner Wimper gezuckt, aber lieber hätte er sein Leben eingebüßt, als diese Enttäuschung zu erfahren.

Als der Sekundant mit dem Arzt endlich kam, verlangte er, sofort zu Schönberg gefahren zu werden.

„Er würde Sie doch nicht kennen, er ist ganz bewußtlos,“ wehrte der Arzt.

„Ist es sehr gefährlich?“ forschte er.

„Eh – hoffen wir das Beste – Schuß durch die Lunge.“

„Wenn Du reisen kannst, Hans, sollst Du abfahren, läßt Dir der Kommandeur sagen,“ fiel der Kamerad ein, „es ist auch das Rechte für Dich, denn Verhandlungen können doch nicht stattfinden jetzt.“

„Ja!“ sagte er, „in diesem Hause kann ich auch nicht bleiben.“ Er nahm eine Karte, schrieb p. p. c. darauf unter seinen Namen und schickte sie an Frau von Tollen.

„Es steht sehr schlecht da droben,“ meldete der Bursche, als er zurückkam.

„Doktor, glauben Sie, daß eine solch schwere Krankheit schon Tage lang, bevor sie ausbricht, ein richtiges Denken beeinflussen kann?“ fragte er.

„Sicher!“ war die Antwort.

Er drückte dem Arzt die Hand, dankbar ob dieses Milderungsgrundes für das Thun und Handeln des Mädchens, das er geliebt, wie ein treues ehrliches Herz nur einmal lieben kann.

Er wandte sich hastig um. „Packe den kleinen Koffer!“ befahl er dem Burschen. Am Nachmittag reiste er ab.




Als der Doktor am kränksten war, ward Käthe von Tollen begraben.

Die Rosen standen gerade in voller Blüthe. Sie verdeckten den schmalen Sarg fast, der die junge Todte barg. Neben dem Vater ward sie eingesenkt, und die Rosenkränze häuften sich auf dem Hügel. Ganz oben lag die Myrthenkrone, die ihr Gusti gebracht als letzte Liebesgabe.

Die jungen Freundinnen hatten vorhin alle mit blassen befremdeten Gesichtern im Halbkreise um den Sarg im Trauerhause gestanden – die Jugend faßt es so schwer, daß eine Gefährtin ihr genommen sein soll, die noch vor kurzem so rosig und lachend unter ihr geweilt; und um diesen Tod schwebte noch ein Geheimniß! Wie sie schon auf dem Sterbebette lag, hatten sich zwei ihretwegen geschossen! Wer wußte, wie das alles zusammenhing? Es war von einem undurchdringlichen Dunkel verhüllt – vielleicht war Käthe an gebrochenem Herzen gestorben! –

Die Majorin saß daheim in der kleinen Wohnstube; sie hatte kaum noch einen klaren Gedanken – der Kampf, der da nebenan in dem Stübchen getobt, um das blühende Leben, das sich dem Tod nicht ergeben wollte – er war gar zu schrecklich gewesen.

Viel Schweres hatte dieses Jahr gebracht, aber dies war das Allerschwerste.

Ihr gegenüber saß Lore. Sie hatte getreulich die Schwester mitgepflegt, Tag und Nacht, ohne zu ermüden. Nun lastete die erste furchtbare Stunde der Ruhe wie ein Alp auf ihr.

Sie stand auf und schmiegte sich näher an die alte gebrochene Frau. Dann brachte die Ausgeherin einen verspäteten Kranz in die Stube. „Eine schöne Empfehlung von Frau Pastorin und sie wäre gern selbst gekommen, aber dem Herrn Doktor gehe es heut so schlecht.“

Lore nahm das Gewinde aus weißen Rosen und Myrthenblättern und ging damit hinaus. Sie legte es in Käthes kleine Kammer auf das leere Bett und stieg hinauf in ihre Giebelstube.

Da war wieder alles wie sonst. Man konnte meinen, es sei gestern gewesen, als sie hier gestanden hatte mit rosigen Wangen, um hinüber zu spähen nach dem alten Gymnasium. Aber dort ging er heute nicht, würde vielleicht nie wieder dort gehen. – Drunten fehlten zwei im Familienkreise, und in ihrem Herzen rührte sich gar nichts mehr. Nicht einmal eine Thräne hatte sie weinen können um die Hingegangene, und Helenens unvollständiger Bericht über das Duell war zu ihr herübergeklungen wie aus unbekannten Fernen.

Nur das begriff sie, daß er um Käthes willen elend lag, und daß sie die Todte beneidete – um seine Liebe, noch im Grabe.

Warum war sie nicht gestorben? Es wäre viel, viel besser gewesen!

Sie ging nach ein paar Minuten wieder hinunter. In der Stube bei der Mutter saß ein junger Offizier; er war in voller Uniform und trug den Arm in der Binde. „Von Wegstedt,“ murmelte er, sich Lore vorstellend. Dann wandte er sich und ging zur Thür, das Taschentuch hastig hervorziehend.

Lore sah ihm nach. Also der schoß ihn krank, weil auch er Käthe liebte. Arme Käthe, glückliche Käthe, die mitten im Rosenmonat sterben durfte.

Zwei Tage später stand die Majorin vor dem Kleiderspind der Verstorbenen; sie holte die einfachen Kleidchen heraus, und die Thränen tropften ihr dabei auf die alten Hände.

„Sage doch, Helene, welches Kleid war es, das sie anhatte, als wir sie krank fanden?“

„Das leichte wollene mit dem kleinen Muster, Mama, was willst Du damit?“

„O nichts, nichts; nur mit hinüber nehmen in meine Stube.“

„Hier, Mama!“

Die Majorin drückte ihr Gesicht in den Stoff, wie sie es sonst gethan mit dem dunkeln seidigen Haar der nun Todten.

„Da steckt auch noch etwas in der Tasche – ein Brief, Mama.“

„Gieb!“

Ein dickes Schreiben hielt sie darauf in der Hand. „Herrn Doktor Schönberg sogleich abzugeben!“ las sie.

„Ich will es aufbewahren für ihn, Helene.“

„Das dürfte wohl Aufklärung geben über das Duell,“ sagte diese.

„Der Brief ist nicht an uns und – was brauchen wir das auch noch zu wissen, sie ist ja todt.“

„Ja, Mama, ich meinte auch nur –“

Die Majorin ging mit dem Kleid, dem Brief und einer schwarzen Sammetschleife, die Käthe im Haar getragen, in ihr Stübchen und legte die einfachen Garderobestücke in die alte Truhe, an der das Wappen der Tollens geschnitzt war, neben die Uniform des Majors, die er an seinem letzten Tage getragen zu Lores Hochzeit. Da stand auch die Schachtel, darin sie ihren Brautkranz, die Taufmützchen der Kinder und die winzigen Erstlingsschuhchen aufbewahrte.

So – Gott mochte wissen, was sie noch hinzuthun mußte in diesem Leben voll Jammer und Elend.

Lore packte eben ihren Koffer. Sie wollte wieder zurück in Thätigkeit, das einzige Heilmittel für kranke Herzen. Von der Zukunft redeten sie alle nicht; nur das versprach Lore, daß sie kommen werde, wenn Helene die Mutter verlassen habe.

Sie wollte mit dem Zehnuhrzug am andern Morgen fahren, und dieser Morgen kam. Es war höchste Zeit, auf den Bahnhof zu gehen, aber sie stand noch immer da und bastelte an ihrem Plaidbündel

„Kind, so schwer es mir wird, Du mußt gehen,“ mahnte die Majorin, deren Taschentuch schon wieder feucht war von Thränen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_304.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2021)