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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 44.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Sakuntala.

Novelle von Reinhold Ortmann.
1.

Vielleicht war es der eigenthümlich silberne Ton des durch herabgelassene Vorhänge gedämpften Sonnenlichts, welcher einen so wohlthuenden, gleichsam verklärenden Schimmer über das kleine Gemach mit seiner einfachen, theilweise fast dürftigen Einrichtung breitete. Das war alter, unmodischer Hausrath von der Großväter Zeiten, verblichene Ueberzüge und niedergesessene Polster, – eine Ausstattung, wie man sie in der Hauptstadt des Deutschen Reichs selbst in den ärmeren Familien des Mittelstandes nur noch vereinzelt anzutreffen pflegt. Aber so verschiedenartigem Geschmack auch alle diese Dinge ihre Entstehung verdankt haben mochten, hier stimmte doch jedes von ihnen aufs beste zu seiner Umgebung, und namentlich in dieser ungewissen dämmernden Beleuchtung eines Krankenzimmers, welche die Gebrechen und die Hinfälligkeit der alten Möbel zum guten Theil verhüllte, mußte der erste Eindruck, den der Eintretende empfing, unbedingt derjenige eines anheimelnden Behagens sein.

Dieser Eindruck wurde nicht einmal gestört durch das abgemagerte Haupt und das wachsbleiche Antlitz des etwa sechsundfünfzigjährigen Mannes, der mit der müden Regungslosigkeit eines Schwerkranken auf den Kissen des nahe zum Fenster gerückten Lagers ruhte. Das Leiden, das die Kraft dieses hageren Körpers verzehrt hatte, war nicht imstande gewesen, die eigenartige Schönheit des fein geformten Kopfes zu beeinträchtigen und zu verwischen. Nur etwas Durchgeistigtes, einen fast überirdischen Zug hatte es dem schmalen Antlitz eingezeichnet, und wenn sich die zumeist geschlossenen Augen einmal für eine kurze Spanne Zeit öffneten, so schien ihr feuchter Glanz dadurch, daß sie so tief in ihre Höhlen zurückgesunken waren, nur noch beseelter und wärmer.

Es war ganz still in dem kleinen Zimmer, – so still, daß man deutlich das Niederfallen der Futterkörnchen vernehmen konnte, die der Kanarienvogel aus seinem Käfig schleuderte. Und doch war der Kranke nicht allein. Kaum zwei Schritte von seinem Bett entfernt, an der anderen Seite des Fensters, da, wo das Licht am hellsten hereindrang, saß ein junges Mädchen, tief herabgebeugt auf eine feine Stickerei. Sie war wohl kaum mehr als siebzehn oder achtzehn Jahre alt, denn die Formen ihres schlanken Körpers waren von fast kindlicher Zartheit. Ein Bündelchen von Sonnenstrahlen, das sich irgendwo durch einen Riß in der grünen Gardine hindurch zu stehlen gewußt hatte, tanzte auf ihrem schlicht aufgesteckten braunen Haar und ließ dasselbe hier und da gleich fein gesponnenen Goldfäden aufleuchten. Die Züge ihres Antlitzes, vor allem die Stirn und die Linien um Mund und Nase zeigten eine unverkennbare Aehnlichkeit mit denjenigen des silberhaarigen Mannes auf dem Krankenbette, und wenn sie von Zeit zu Zeit das Köpfchen erhob, um zu ihm hinüber zu blicken, so leuchteten ihre großen dunklen Augen in demselben feuchten Glanze wie die seinigen.

Nun machte der Kranke eine leichte, kaum merkliche Bewegung, und rasch war das junge Mädchen an seiner Seite.


Allerseelen.
Nach einem Gemälde von C. v. Bodenhausen.
Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_741.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2020)