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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

flüssigen konzentrirten Karbolsäure in ein halbes Quart Wasser, befeuchtet hiermit Gaze oder ausgewaschene alte Leinwand, wickelt sie über den verletzten Theil und befestigt mit einer Binde ein Stück Guttaperchapapier darüber, damit die Feuchtigkeit nicht verdunsten kann. Dieser einfache Verband entspricht allen Anforderungen unserer Zeit. Ist ein Fall oder starker Stoß oder die Verdrehung eines Gelenkes vorgekommen, dabei aber die Haut unverletzt geblieben, so ist die Massage und Kälte ein gutes Mittel.

Recht vortheilhaft ist auch ein Umschlag von wässeriger Ichthyollösung, 1 Theil Ichthyol auf 20 Theile Wasser. Schmerz, Schwellung und Mißfarbigkeit werden dadurch ganz gering.

Auch bei Verbrennung paßt diese Ichthyollösung, oder man reinigt den verbrannten Theil mit irgend einer antiseptischen Flüssigkeit, schneidet die Blasen weg, da diese das schadenbringende Secret zurückhalten, dessen Aufsaugung durch die Haut wie eine Vergiftung wirkt. Endlich deckt man die verbrannte Fläche mit einer antiseptischen Gaze. Das wichtigste bei Verbrennungen bleibt, die Kraft des Kranken zu erhalten, das Secret schnell zu entfernen und die Schmerzen zu nehmen.

Es ist sehr grausam und schädlich, einen Verbrannten zu befördern, ehe sein Schmerz gehoben ist, da ihn jeder Tritt und Schritt empfindlich schmerzt. Morphium, innerlich oder unter die Haut gespritzt, ist von guter Wirkung.

Verrenkungen der Gelenke und Brüche der Knochen behandelt man in der Weise, daß man die Glieder durch Ziehen in ihre normale Stellung zu bringen sucht. Ist das bei Verrenkungen gelungen, so ist der Verletzte schon halb geheilt. Bei Beinbrüchen muß man die erlangte gute Stellung durch einen vorläufigen Verband festzuhalten suchen. Stroh, Baumäste, Brettchen, Regenschirme, alles kann man als Schienen benutzen.

Aengstliche Menschen halten den Radsport für ein gefährliches Vergnügen, weil hier und da kleine Unfälle dabei geschehen. Wenn man aber die große Summe von halbkranken und schwer leidenden Menschen zusammenzählt, welche jährlich durch diesen Sport wieder gesund und froh werden, so fallen diese kleinen Unglücksfälle gar nicht in die Wagschale.

Das beste Arzneimittel, am unrechten Ort angewandt, bringt oft Schaden. Alles kann man übertreiben; von der besten Nahrung kann man zu viel genießen und sich schaden. Die Kraftstücke der Gewaltstouren können daher vom ärztlichen Standpunkte nicht gebilligt werden. Da es aber jedem Menschen gesund ist, sich täglich so viel Bewegung zu machen, bis er in leichten Schweiß kommt, so bleibt das Radfahren ein herrliches Vorbeugemittel bei Krankheitsanlagen und für viele Leiden das beste Heilmittel.

Die Beobachtung, daß die Zahl der radfahrenden Aerzte jedes Jahr zunimmt, ist ein Beweis, daß das Radfahren als durchaus nützlich erkannt wird. Für Leute, welche an Hämorrhoiden und Verdauungsbeschwerden, an Kreuzschmerz und schlechtem Athem leiden, für Leute, welche eine schmale Brust und nur wenig verschiedene Ein- und Ausathmungsmaße haben, endlich für solche, die infolge von Fettbildung einen beengten Blutumlauf und eine beeinträchtigte Herzbewegung zeigen, welche blutarm und leistungsunfähig sind, für das große Heer der nervösen Qualen ist das Radfahren ein äußerst lobenswerthes Heilmittel.

Ich kann es nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit auszusprechen, daß das Radfahren für die vielen nervösen Martern, welchen das weibliche Geschlecht ausgesetzt ist und wobei die Theilnahme der Angehörigen leider oft eine sehr geringe ist, dringend zu empfehlen wäre. Ob man auf einem Zweirad oder Dreirad fährt, dürfte für den Erfolg einerlei sein. Das Dreiradfahren kann auch bei Damen niemand unanständig oder zu auffallend nennen, namentlich wenn die Fahrten außerhalb der Stadt gemacht werden. Es soll ja doch dem zarten Geschlecht auch erlaubt sein, jene Heilmittel, welche ihm so gut bekommen wie den Männern, zu benutzen, um das höchste Gut auf Erden zu erringen: Gesundheit und Heiterkeit.




Unter dem Glockenstuhl.

Novelle von Gerhard Walter.
(Fortsetzung.)


Im Stadthospital zu Roseau kam ich zu mir, nach manchen Wochen. Der „Loki“ war längst ankerauf gegangen. Ich fühlte mich unsäglich matt. Kaum, daß ich die Hand rühren konnte. Als man mir einen Spiegel vorhielt, mußte ich lachen: das sollte ich sein? Aber ich konnte also doch noch lachen. Und ich wurde auch wieder gesund, sogar für die Tropen recht schnell. Nur eine Lässigkeit, eine innere Bewegungslosigkeit war über mich gekommen, die ich nicht bekämpfen konnte noch wollte. Ich mochte nicht denken; ich fürchtete mich davor. So saß ich stundenlang im Garten des Gouverneurs und blickte hinaus auf das unendliche, blaufunkelnde Karibische Meer, und über mir rauschten die Palmen in der Passatbrise.

Eines Tages gab man mir die unerbrochenen Briefe, die ich damals zu lesen keine Zeit gefunden hatte. Jetzt durfte ich wieder lesen. Frau Hedwig schrieb am Schluß eines unendlich herzlichen Briefes:

„Mit einigem Erstaunen werden Sie wohl gehört haben, daß unser Fräulein Zorn sich mit dem ihr einst scheinbar so wenig sympathischen Herrn Sternhagen verlobt hat; es geschah zu Hause bei ihren Eltern, als sie auf Besuch in den Osterferien dort war. Sie wissen, daß ich keine verlobte Erzieherin haben will; ich habe darum sofort unser Verhältniß gelöst und werde auch wohl nichts mehr von ihr hören, da das junge Paar – die Hochzeit soll zu Johanni sein – auf Kleinwulkow seinen Wohnsitz aufschlagen wird. Es ist mir auch lieber so.“

Der Diener brachte mir eine Erfrischung. „Was für ein Tag ist heute?“ fragte ich ihn.

„Der 24. Juni!“ gab er zurück. „St. John’s Day.“

„Also Sankt Johannistag! So!“ sagte ich leise und sah wieder übers Meer hin. Und allmählich wurden mir die Augen naß – da packte es mich, schüttelnd, übermächtig, ich schlug die Hände vors Gesicht und weinte, wie ich nimmer geweint hatte, seitdem ich ein kleines Kind war an meiner Mutter Herzen.


Es war wieder einmal Herbst geworden. Da kam eines Tages ein Brief von Frau Hedwig, die auch nach dem inzwischen erfolgten Tode ihres Mannes mir die unentwegt treue Freundin geblieben war, und die mich immer gar wohl unterrichtet hielt über alles, was auf Wulfshagen vorging. Nur von Gertrud hatte sie mir nie wieder eine Silbe geschrieben und auf versteckte und offene ihre einstige Erzieherin betreffende Anfragen nie geantwortet.

Es lag also wieder einmal ein Brief von ihr auf meinem Tisch, in dem es hieß:

„Nun möchte ich Ihnen noch einen Vorschlag machen, Professorchen. Sie blasen mir zu viel Trübsal und hocken mir zu viel hinterm Ofen. Das ist alles nichts für einen jungen Mann. Nun legen Sie endlich ’mal die Trauer um Ihren ungetreuen Schatz ab – ja, ich kann’s Ihnen jetzt ja gestehen, ich wußte damals schließlich ganz gut, wie der Hase lief, aber ich drückte ein Auge zu, weil ich Sie und das Fräulein gleich gern, ja lieb hatte. – Daß sie – aus welchen Gründen, weiß ich nicht und ist mir auch ganz gleichgültig – damals Sie ließ und den andern nahm, das habe ich ihr nie verziehen, und es wird viel dazu gehören, daß ich’s thue. Aber, wissen Sie, wenn ich ein Mann gewesen wäre wie Sie, dann hätte ich mit der Faust auf den Tisch geschlagen und gesagt: ‚Basta, es giebt Mädel genug in der Welt!‘ Und ein Mann wie Sie, der hat eine an jedem Finger hängen, wenn er die Hand ausstreckt. Brauchen nicht zu glauben, daß ich für meine Frieda, die nun auch schon achtzehn Jahre alt ist, bei Ihnen Stimmung machen will, die ist denn doch ein bißchen zu jung und niedlich für solchen alten melancholischen Junggesellen!

Mit einem Wort: werden Sie nun ’mal wieder ein verständiger Mensch und machen Sie den Anfang dazu, indem Sie uns zum Erntefest heute über vierzehn Tage besuchen. Ich lasse schon Filzsocken vor Ihr Bett stellen, das ist ja ’was für alte Herren, und Sie dürfen sie den ganzen Tag bei uns im Zimmer tragen; bloß in den bekannten Milchkeller bringen Sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_751.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)