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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Ich bin auf alles gefaßt!“ sagte Falkenried ernst, dann kniete er nieder und küßte den Sohn, den er vielleicht nur wiedergefunden hatte, um ihn zu verlieren; und ein paar heiße Thränen fielen auf die todtenblassen Züge.

Aber es war dem Vater nicht lange vergönnt, bei seinem Kinde zu bleiben, er mußte wieder hinaus. Schon nach wenigen Minuten erhob er sich, empfahl dem Arzte nochmals die äußerste Sorgfalt und ging dann.

Auf dem Platze war der Stab des Generals und ein Theil der anderen Offiziere zusammengetreten und wartete auf den Befehlshaber. Dieser befand sich, wie sie wußten, augenblicklich bei dem Verwundeten, der die Warnung überbracht hatte und den niemand kannte, aber man hatte erfahren, daß er über die Bergpässe gekommen war, durch das vom Feinde besetzte Gebiet, daß er einen Ritt gewagt hatte, den ihm keiner nachthat in der ganzen Armee, und als der General endlich erschien, umdrängte ihn alles mit Fragen.

Falkenried war tiefernst, aber das Starre, Düstere, das sein Antlitz sonst immer zeigte, war gewichen und hatte einem Ausdruck Platz gemacht, den seine Umgebung zum ersten Male sah. In seinen Augen schimmerte es noch feucht, aber seine Stimme klang fest und klar, als er antwortete:

„Ja, meine Herren, er ist schwer verwundet, und vielleicht war es sein Todesritt, mit dem er uns allen die Rettung brachte. Aber er hat als Mann und Soldat seine Pflicht gethan, und wenn Sie seinen Namen wissen wollen – es ist mein Sohn, Hartmut von Falkenried!“




Das alte Herrenhaus von Burgsdorf lag friedlich und behaglich im hellsten Sonnenglanze. Es hatte vor kurzem seinen Herrn empfangen, der fast ein Jahr lang fern gewesen und nun nach beendigtem Feldzuge in die Heimath und zu seiner jungen Gattin zurückgekehrt war.

Das große Gut mit seiner ausgedehnten Wirthschaft hatte nicht gelitten unter dieser langen Abwesenheit, denn es war in sicherer Obhut geblieben. Die Mutter des Gutsherrn war in ihre alten Rechte getreten und hatte mit gewohnter fester Hand die Zügel geführt bis zu der Rückkehr ihres Sohnes; jetzt legte sie diese Zügel feierlichst wieder in seine Hände und bestand trotz aller Bitten und Vorstellungen darauf, Burgsdorf zu verlassen und in ihre Stadtwohnung überzusiedeln.

Augenblicklich stand Frau von Eschenhagen auf der Terrasse, deren breite, steinerne Stufen in den Garten hinabführten, und sprach mit Willibald, der sich an ihrer Seite befand. Dabei ruhte ihr Blick mit unverkennbarem Wohlgefallen auf der kraftvoll männlichen Erscheinung ihres Sohnes, die durch die jetzt so gewohnte militärische Haltung noch stattlicher wurde. Sie mochte wohl selbst fühlen, daß aus dem jungen Gutsherrn etwas Anderes und Besseres geworden war, als sie mit ihrer Erziehung zustande gebracht hatte, aber zugegeben hätte sie das um keinen Preis.

„Also Du willst bauen?“ fragte sie. „Ich habe es mir beinahe gedacht. Das alte schlichte Haus, in dem ich und Dein Vater so lange Jahre gewohnt haben, ist natürlich nicht gut genug für Deine kleine Prinzessin, die muß mit allem nur möglichen Glanze umgeben werden! Meinetwegen! Das Geld hast Du ja dazu, Du kannst Dir die Geschichte allenfalls erlauben, und mich geht sie, Gott sei Dank, nichts mehr an.“

„Stelle Dich doch nicht so grimmig an, Mama,“ sagte Willibald lachend. „Wenn man Dich hört, sollte man meinen, Du seiest die schlimmste aller Schwiegermütter, und wenn ich es nicht schon wüßte durch Mariettas Briefe, so sehe ich doch jetzt täglich, wie Du sie verwöhnst und auf Händen trägst.“

„Nun ja, man spielt auch in seinen alten Tagen noch manchmal gern mit hübschen Puppen,“ versetzte Regine trocken, „und Deine Frau ist solch ein zierliches Püppchen, das nur zum Spielen taugt. Bilde Dir nur ja nicht ein, daß sie jemals eine tüchtige Gutsfrau wird. Ich habe das im ersten Augenblick gesehen und sie deshalb gar nicht an die Wirthschaft herangelassen.“

„Und da hast Du recht getan,“ fiel der junge Gutsherr ein. „Die Arbeit und die Wirthschaft sind meine Sache, mrine Marietta soll sich damit nicht plagen; aber glaube mir, Mama, es lebt und schafft sich ganz anders, wenn solch ein süßer kleiner Singvogel einem Mut und Lust zur Arbeit in das Herz singt.“

„Junge, ich glaube, Du bist noch immer verrückt,“ sagte Frau von Eschenhagen mit ihrer alten Derbheit. „Ist es erhört, daß ein vernünftiger Mensch, ein Ehemann und Gutsbesitzer so von seiner Frau spricht? ‚Süßer kleiner Singvogel‘! Das hast Du wohl von Deinem Busenfreunde, dem Hartmut, der Euch allen als ein so großmächtiger Dichter gilt? Du hast ihm ja schon in der Jugend alles nachgemacht.“

„Nein, Mama, das ist wirklich meine eigene Poesie,“ vertheidigte sich Willibald. „Gedichtet habe ich überhaupt nur einmal in meinem Leben, an jenem Abende, wo ich Marietta wiedersah in Hartmuts ‚Arivana‘. Das Gedicht fiel mir jetzt, als ich meinen Schreibtisch ordnete, wieder in die Hände, und ich gab es Hartmut mit der Bitte, es ein wenig zu ändern, denn merkwürdigerweise wollte sich die Geschichte nicht reimen und mit dem Versmaß war ich auch nicht recht zustande gekommen. Weißt Du, was er mir antwortete? ‚Mein lieber Willy, Dein Gedicht ist sehr schön, was die Empfindung betrifft; aber laß das Dichten doch lieber bleiben! Solche Verse sind wirklich nicht auszuhalten, und Deine Frau läßt sich scheiden, wenn Du sie in dieser Weise ansingst!‘ – So urtheilt mein ‚Busenfreund‘ über meine poetische Begabung!“

„Das geschieht Dir recht, was hast Du Dich als Landwirth mit Versen abzugeben!“ rief Regine ärgerlich. Da wurde die Thür des Eßzimmers geöffnet, ein Köpfchen mit krausen dunklen Locken wurde sichtbar und eine neckische Stimme fragte:

„Ist es erlaubt, die gestrengen Herrschaften in ihren hochwichtigen landwirthschaftlichen Gesprächen zu stören?“

„Komm nur heraus, Du Kobold,“ sagte Frau von Eschenhagen; aber die Erlaubniß war überflüssig, denn die junge Frau flog bereits in die offenen Arme ihres Mannes, der sich zärtlich zu ihr niederbeugte und ihr etwas in das Ohr flüsterte.

„Fangt Ihr schon wieder an?“ schalt die Mutter. „Es ist wahrhaftig nicht mehr auszuhalten in Eurer Nähe!“

Marietta wendete nur den Kopf, ohne sich aus den Armen loszumachen, die sie noch immer festhielten, und sagte schelmisch:

„Wir feiern ja jetzt erst unsere Flitterwochen nach der langen Trennung, und Du mußt es doch aus eigener Erfahrung wissen, wie man sich dabei benimmt, gelt, Mama?“

Regine zuckte die Achseln. Ihre Flitterwochen mit dem seligen Eschenhagen waren freilich anderer Art gewesen.

„Du erhieltest vorhin einen Brief von Deinem Großvater, Marietta,“ sagte sie abbrechend. „Hast Du gute Nachrichten?“

„Die allerbesten! Großpapa ist ganz wohl und freut sich sehr darauf, im nächsten Monat nach Burgsdorf zu kommen; aber er schreibt, daß es in diesem Sommer recht still sei in der Umgegend von Waldhofen. Seit Rodeck seinen Herrn verloren hat, seit dem Tode des jungen Fürsten ist dort alles verödet und verschlossen, Ostwalden liegt gleichfalls ganz vereinsamt, und in Fürstenstein wird es auch leer und still werden. Toni heirathet ja in vierzehn Tagen, und dann ist der Onkel Schönau ganz allein.“

Die letzten Worte wurden mit einer gewissen Betonung gesprochen, und es war ein ganz eigenthümlicher Blick, den die junge Frau ihrer Schwiegermutter dabei zusandte. Diese achtete aber nicht darauf, sondern bemerkte nur: „Ja, es ist ein merkwürdiger Einfall von Hartmut und Adelheid, hier in den Föhrenwäldern in einer kleinen gemietheten Villa die ersten Wochen ihrer Ehe zu verleben, während ihnen das große Schloß von Ostwalden und die sämmtlichen Stahlbergschen Landsitze zur Verfügung stehen.“

„Sie wollten wohl noch gern in der Nähe des Vaters bleiben,“ meinte Willibald.

„Nun, in dem Falle hätte Falkenried Urlaub nehmen und zu ihnen gehen können. Gott sei Dank! Der Mann lebt förmlich auf, seit die furchtbare Bitterkeit von ihm genommen ist und er seinen Sohn wieder hat. Ich weiß es am besten, wie schwer ihn damals die Flucht des Jungen traf, den er insgeheim vergötterte, während er ihm nur Strenge zeigte und nur Gehorsam forderte. Freilich, was Hartmut geleistet hat bei seinem nächtlichen Ritt, mit dem er den Vater und seine Truppen rettete, das löscht wohl mehr aus als einen unsinnigen Knabenstreich, den im Grunde nur die Mutter verschuldet hat.“

„Aber wir kommen um all die Hochzeitsfeierlichkeiten in der Familie,“ schmollte Marietta. „Willy und ich mußten uns in aller Stille trauen lassen, weil der Krieg ausbrach, und jetzt, wo der Krieg glücklich beendet ist, machen es Hartmut und Ada genau ebenso.“

„Mein Kind, wenn man solche Dinge durchgemacht hat wie Hartmut, dann vergeht einem die Lust zu Festlichkeiten,“ sagte Frau von Eschenhagen ernst. „Ueberdies ist er noch nicht völlig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_439.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)