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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.
(1. Fortsetzung.)


Margolds Stand stach vortheilhaft ab gegen seine Nachbarn durch seine Sauberkeit und durch die mit den einfachsten Mitteln erreichte Gefälligkeit der Form, noch mehr aber durch die dort feilgebotene Ware; selbst den völligen Laien mußte es auffallen, wie dort alles nach Farbe und Wirkung sinnreich geordnet war: das Aufdringliche mehr zurück, das Bescheidene, Schlichte mehr im Vordergrunde. Dann die großen und kleinen Sträuße und Kränze, welcher Geschmack bei aller Einfachheit! Sie wären einem sinnigen Gemüthe auch in der glänzenden Auslage der hauptstädtischen Kunstgärtner aufgefallen. Das Publikum, das diese beehrte, das Publikum hinter den seidenen Gardinen, welche heute morgen in Bertl so sonderbare Gedanken hatten aufsteigen lassen, kaufte allerdings nicht bei Margolds. Ihre Kunden waren ein ganz anderes, eigenes Publikum, das sich schwer unter bestimmte Begriffe fassen ließ – das Publikum der Dachstuben, der Hinterhäuser, die „kleinen Leute“ nach dem großstädtischen Ausdruck; der arme Student, der Ladenjüngling, der junge Künstler, der Arbeiter, der Unteroffizier, der mit sorgfaltiger Wahl ein Sträußcheu ersteht für sein Liebchen; die junge Frau, die mit strahlendem Antlitz ein Angebinde aussucht für irgend ein häusliches Fest, für den kleinen Liebling, für den Gatten, oder zum Schmuck des dürftigen Heims, das alte Mütterchen, das mit feuchten Augen und zitternden Lippen einen Kranz kauft für das Grab des letzten theuren Todten.

Dieses große Heer der vielgestaltigen Liebe, in dessen Panier immer und ewig die Blume prangt, zog täglich vor dem Stande Margolds vorüber. Bertl, durch deren fleißige Hände alle diese duftigen Liebesgaben gingen, kannte genau die Bedürfnisse ihrer Kunden. Sie verstand wie keine ihrer Genossinnen die Sprache der Blumen, unter denen sie aufgewachsen war, sie wußte auch die bescheidenste, werthloseste sinnig zu verwenden und so um billigen Preis den liebevollen Zweck des Käufers zu erfüllen. Und ihre Abnehmer fühlten das; sie kamen immer wieder, und die Nachbarn mit ihrer plumpen aufdringlichen Ware, mit ihren schlechten Nachahmungen der Kunstgärtnerei sahen mit scheelen Augen auf das unverschämte Glück neben ihnen, nicht ohne spitzige Bemerkungen über die schöne Verkäuferin.

Bertl betheiligte sich nicht an dem Gespräche über Weinmanns, sie war mit ihren Blumen beschäftigt, denn schon standen die ersten Kunden prüfend umher. Sie fühlte, die Arbeit war das beste Mittel gegen die dummen Gedanken, die sie jetzt so oft quälten. Sie war überhaupt nicht schuld daran, daß die begehrlichen Wünsche immer stärker sich aufdrängten, sie war ja ganz zufrieden und glücklich bei ihrer Hantierung, in dem kleinen Häuschen beim Vater, den sie so gern hatte, sie wünschte es sich gar nicht anders, die Stadt war ihr selbst zuwider, wo die armen Blumen in den staubigen Vorgärten, auf den öffentlichen Plätzen kränkelten. Der Bruder war schuld daran mit seinen verlockenden Reden und seinen Plänen von Reichthum und Wohlleben, auch die Nachbarstocher, die Loni, ihre Schulfreundin, die immer etwas Neues, Aufregendes wußte aus der Stadt, das ihr Blut so unruhig machte, und – dann noch jemand, das konnte sie nicht leugnen – der Lieutenant von Brennberg, ihr Jugendgespiele. Ihr Vater war Gärtner auf dem Gute seines Vaters gewesen, und jetzt war der junge Brennberg ihr einziger, aber ständiger Kunde aus den vornehmen Kreisen. Die treue Anhänglichkeit, die sie darin zu sehen glaubte, bestärkte nur ihre Neigung zu dem schönen jungen Manne. Er flüsterte ihr Schmeicheleien zu, deren Einfluß sie sich nicht entziehen konnte: sie sei viel zu gut für ein Gärtnermädchen; mit ihrer schönen, eleganten Erscheinung, ihrem künstlerischen Geschmack sei sie zu Besserem geboren, in der Stadt nur könne sie ihr Glück machen! Sie sei ja reich, wenn der Vater nur wolle, ein reiches Bürgermädchen, dem bei den jetzigen gesellschaftlichen Anschauungen die ganze Welt offen stehe – es war dasselbe, was ihr der Bruder heute auf dem Weg gesagt, und darum hatte es sie so gepackt. Ihre fast kokette Kleidung, die dem Vater so unnatürlich vorkam, war nur eine Folge davon; alle diese Redensarten vom Fortschritt der Jungen, mit welchen sie den alten Mann heute so gekränkt hatte, waren nur das Echo der Brennbergschen Ansichten, in ruhigen Stunden stand sie wieder ganz auf der Seite des Vaters.

Das Geschäft ging heute vortrefflich; der Aermste suchte ein Stückchen Sommer sich zu retten für den langen traurigen Winter, und Bertl war unerschöpflich in herzlichen Zusprüchen, guten Rathschlägen betreffs Behandlung ihrer Lieblinge, heiteren Bemerkungen und Anspielungen und, wenn es Noth war, kräftigen Trostesworten; sie suchte sich gewaltsam zu zerstreuen, um etwas zu verdrängen, das sich immer wieder in ihr regte.

Die Stunde vor Mittag war immer die lebendigste; Bertl konnte all den unentschlossenen, sich drängenden Käufern gar nicht mehr nachkommen; dann aber nahm der Zulauf mit einem Male ab, und sie konnte sich wieder mit dem Binden der kleinen Sträußchen beschäftigen, um die entstandenen Lücken auszufüllen. – Da kamen sie wieder, die bösen Gedanken, und zu allem Ueberfluß leistete ihr Hans noch Gesellschaft, der unterdessen seinen Gemüsehandel an der Rückseite des Pavillons beendigt hatte, und begann von dem Glück der Weinmanns zu schwärmen, seine Befürchtungen in betreff Lonis zu äußern, die ihm sichtlich näher stand, als er gestehen wollte. Er fand es zum Erstaunen Bertls ganz begreiflich, daß das Mädchen ihm von jetzt ab die Freundschaft kündigen werde, daß sie von nun ab mit dem Markt und seinem Trödelkram nichts mehr zu thun haben wolle, jetzt, da sie ebensogut wie jede andere berechtigt sei, die Dame zu spielen. Bertl meinte allerdings, eine wahre Liebe lasse sich dadurch nicht abschrecken, doch Hans, den grauen Hut im Genick, die Hände in den Hosentaschen, lachte hellauf darüber: das seien Hachinger Begriffe, die er sich schon längst abgewöhnt habe.

Bertl ging dabei die Arbeit nicht von der Hand, jeden Augenblick riß der Faden, die Rosen entblätterten sich, die Veilchen fügten sich nicht und neigten die Köpfchen nach innen – da klirrte es auf dem Trottoir, es gab ihr einen Stich in das Herz, sie wagte nicht, aufzusehen – wenn er nur heute nicht käme! Die Rose zitterte in ihrer Hand.

Hans beugte sich vor, blinzelte seiner Schwester lachend zu und zog sich pfeifend zurück.

Lieutenant Brennberg trat mit leichtem Gruß an den Pavillon.

„Guten Morgen, Fräulein Bertha! Immer fleißig und reizend, die personifizirte Flora!“

Er griff in einen Blumenkorb und suchte scheinbar nach etwas Geeignetem.

„Ich kann’s nicht ändern, es thut mir immer weh, wenn ich Sie unter all dem eckigen häßlichen Marktvolke da sehe, in dieser Bude Ihr junges Leben verträumend!“

„Verträumend! Wer sagt Ihnen denn das?“ entgegnete in verletztem Tone Bertl.

„Gewiß verträumend! Das ist doch kein Leben für ein junges, hübsches Mädchen, wie Sie sind, die in der Lage wäre, eine ganz andere Stellung einzunehmen, wenn nicht ihr Herr Papa so bockbeinig wäre. – Ah, was ist denn da mit Ihrer Nachbarin, mit der Loni? Vater gestorben?“ – Er deutete auf die geschlossene Bude Weinmanns.

„Er hat sein Anwesen verkauft um hunderttausend Mark.“

„Um hunderttausend Mark! Donnerwetter! Das ist ein Gebirge von Gemüse! Da sehen Sie es ja am besten, wie es mit Ihrem Vater stände. Er besitzt ja fast das Doppelte! Sie wissen, ich interessire mich für ihn, er zählt zu meinen liebsten Erinnerungen, der alte Gärtner Margold, und das hält nach in den Stürmen des Lebens, Fräulein Bertha!“

Er sagte die letzten Worte in einem ernsten, dem lebenslustigen Manne sonst fremden Tone.

Bertl wurde feuerroth und nestelte in den aufgeschütteten Blumen.

„Ich glaube es Ihnen, Herr von Brennberg, wir alle hegen so auch die innigste Verehrung für Ihren Herrn Vater, der so viel Gutes für uns gethan hat.“

„Ach, gehen Sie, das meine ich nicht! Gutes gethan! Ich meine, Ihr Vater sollte endlich einmal Vernunft annehmen und sich ein behagliches Alter verschaffen, wie man es ihm von allen Seiten anbietet –“

„Und macht es Ihr Herr Vater nicht ebenso? – Könnte er nicht auch ein reicher Mann sein, wenn er aus seinem Gute Baugründe machen würde? Und doch thut er es nicht!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_031.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)