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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


welchen diese entstehen, hoffte man dem Umriß eine schönere Linie, weniger „Schroffheit“ zu geben. Die Krinolinen aus Roßhaar genügten auch nicht mehr, man nähte seit 1856 Fischbeinreifen oder Stahlstäbchen versteckt in die Volants der Röcke. Der Anzug erhielt eine immer wachsende Menge von Kleidungsstücken. Ueber dem mit Spitzen versehenen Beinkleid und dem Flanellrock trug eine vornehme Frau auf dem Ball als drittes Kleidungsstück den leinenen „Anstandsrock“. Er war unten 2 Meter weit (3½ Ellen) und hatte einen breiten gestickten Saum. Als vierte Schicht erschien ein bis ans Knie reichender, dicht wattirter Rock, in den drei starke Fischbeinstäbe in handbreiter Entfernung gleich Tonnenreifen eingenäht waren.

Darüber lag ein steif gestärkter weiter Leinenrock mit drei breiten gleichfalls steifen Volants, über diesem zwei Röcke aus steifer Gaze oder neuem Mull. Nun erst kam als achte Schicht das eigentliche Kleid. Die Kaiserin trug 1859 auf einem Feste ein Kleid von weißem Tüll, mit vier Röcken übereinander, jeden mit Tüll gerüscht und mit weißem Gazeband eingefaßt. Es hatte im ganzen 103 Volants. Man berechnete, daß über 600 Meter Zeug zu demselben verwendet worden seien. Und diese ganze Masse von Röcken hing an glattem Bund auf dem Teller des Schnürleibes, eine wahrhafte Last, doppelt unbequem, weil sie ihre eigene Bewegung hatte, „vor den Trägerinnen“, wie ein gleichzeitiger Bericht treffend sagt, „herzugehen schien“.

Der Erfindungssinn wurde daher immer wieder darauf hingewiesen, den weiten Röcken eine bessere Stütze zu geben. 1856 erschien der „jupon-tournure-impériale“, dessen Zweck sein sollte, zu verhindern, daß die Kleider vorn und hinten sich aufbauschten, sondern sie sollten sich „nach den Seiten von den Hüften aus entwickeln“. Also ein quergestelltes Oval sollten sie bilden. Dies war nur durch Stahlreifen möglich. Seit dem Jahre 1857 zeigen die Modeblätter auch in Deutschland neben 2,3 bis 3 Meter weiten Roßhaarröcken, die 3 bis 7 Thaler kosteten, Stahlreifröcke mit 8 Reifen zu 32/3 Thalern, 2,9 Meter weite mit 10 Reifen zu 41/2 Thalern an, ebenso 2,8 Ellen (beinahe 2 Meter) breite Flanelle zu Unterröcken. Auf den Modebildern hat schon das Kleid unten eine Breite, die der Höhe von der Fußsohle bis an das Kinn gleichkommt. Das ergäbe, ohne Falten gerechnet, einen Umfang des Rockes von fast 5 Metern. Kein Wunder, daß dieses Ungeheuer 6 bis 8 Bahnen Stoff verschlang. Auch die Länge des Kleides nahm natürlich zu. Sie stieg bis zu 1,20 Metern. Zehn Meter Stoff kostete allein ein Rock, ohne Volant, Ueberwurf, Tunique und wie sonst dessen Aufputz benannt wurde.

Die Stoffe, in welche man sich kleidete, waren anfangs leichte: Krepp, Gaze, Tüll, Blonde, im Uebermaß verwendet, sollten eine „duftleichte Toilette“ schaffen, die Frauen sollten im Festgewande aussehen, als umgebe sie ein Schleier, als seien sie der irdischen Schwere entkleidet. Die unter der Last von zahllosen Röcken Leidenden sollten „ätherisch“ scheinen, nicht an die Wirklichkeit mahnen. Die „Natürlichkeit“ war ganz bei Seite geschoben, eine andere Form des Idealismus hatte gesiegt, die der Sentimentalität, welche das wirkliche Sein für roh, unfein erklärt und etwas Besseres, Feineres, Entkörpertes dafür zu bieten trachtet. Die „antike“ Tracht hatte vielleicht zuviel Körperlichkeit geboten, bei derjenigen des zweiten Kaiserreiches sah man von der Gestalt so gut wie nichts. Denn auch die Aermel hatten meist wieder großen Umfang gewonnen oder verschwanden doch in Ueberärmeln von Tüll, Batist oder Spitzen. 1861 kamen Drahtgeflechte auch für diese auf, da sie nicht lang genug die gewünschte bauschige Steifheit sich zu erhalten vermochten. Also auch hier, durch diese „Elefantenärmel“, wie sie hießen, verschwand die Umrißlinie der menschlichen Gestalt und wurde diese von einer Stoffwolke umhüllt. Zwar ließen die schönen Frauen es sich nicht nehmen, immer wieder zum ausgeschnittenen Leibchen zu greifen, aber sie fühlten wohl, daß diesen Kleidermassen gegenüber die Gestalt mager, unbedeutend erscheine. Besonders schmächtige Frauen waren jetzt ebenso zu beklagen wie in der „antiken“ Tracht die starken.

Nach den strengen Begriffen unserer Tage war die Tracht des zweiten Kaiserreiches eine hervorragend anständige. Nicht einmal der Fuß kam zum Vorschein. Die Schuster beklagten dies laut. Die weite Röckeglocke versteckte vollständig das Schuhwerk. Oft versuchte es die Mode, die Kleider zu kürzen, aber nie brachte sie diese Absicht zum Siege. Denn sobald die Röcke nicht auf dem Boden schleiften, kam der ganze Bausch in das widrigste Schwanken: er machte seine Pendelbewegung für sich, unbekümmert um die Schritte der Trägerin, jeder Windstoß, jeder Vorbeistreifende warf ihn zur Seite, so daß er bald vorn, bald hinten sich aufbäumte.

Aber mit Mull und Tüll kann sich nur ein Mädchen oder eine junge Frau zum Tanz kleiden. Auch schwerere Stoffe mußten getragen werden. Und da bot sich denn auf der großen Röckeglocke die schönste Gelegenheit, hohe Pracht zu entfalten. Die Musterzeichnerei nahm jetzt wie zur ersten Zeit des Reifrockes im 17. und 18. Jahrhundert die Gelegenheit wahr, zu zeigen, was sie zu leisten vermochte. In schwerster Lyoner Seide wurden die reichsten Entwürfe ausgeführt. Große Blumensträuße, ganze architektonische Entwürfe mit Galerien und Zweigegerank wurden in glänzendster Färbung ausgeführt. An Posamenten, an Guirlanden von Stoff und Blumen wurde Erstaunliches geleistet. Der Stoff, der hier auf einem sich nicht mit dem Körper bewegenden Rocke ausgebreitet wurde, dessen Falten sich nicht den Gliedmaßen anzuschließen hatten, konnte fast bildartig geschmückt werden. Lange Zeit trug man daher die Kleider „ganz einfach“, wie die Modeberichte sagen, d. h. ohne Volants und Draperie, und ließ nur das künstlerisch entworfene Stoffmuster wirken. Die Webereien hatten goldene Zeiten, denn man verbrauchte nicht nur viel Zeug, sondern man gab auch aller Welt Gelegenheit, dieses aufs bequemste zu würdigen. Der Rock kleidete nicht mehr die Frauen, sondern diese trugen ihn öffentlich zur Schau.

Die Mäntel und Pelze mußten sich der Krinoline anbequemen. Auch sie erhielten formlose Weite und einen dementsprechenden Preis.

Man konnte sie doch nicht eng die Kleider umspannen lassen, da diese sich sonst seitlich ausgebauscht hätten. Man mußte sie vorn so schwer wie hinten und zur Seite machen, da sonst die Kleiderglocke aus dem Loth gedrückt worden wäre. Man war überall beengt und behindert, weil die herrische Mode von den weiten Röcken nicht lassen wollte, weil das Auge sich viel zu sehr an diese gewöhnt hatte, um nicht in jedem engeren Kleide einen Rückschritt, eine Häßlichkeit, ja etwas Lächerliches zu sehen.



Truggeister.
Roman von Anton von Perfall.
(2. Fortsetzung.)


Während die andern, dem Beispiele Weinmanns folgend, ihre Gläser leerten, richtete Stefanelly sein stechendes schwarzes Auge auf Bertl. Diese konnte den Blick dieses Mannes nicht ertragen, sie dachte unwillkürlich bei seinem Anblick an die Kreuzspinne, von der heute früh der Vater gesprochen hatte.

Augenblicklich war Bertl ganz allein und ungestört. Loni hielt sich jetzt in ihrer lebhaften Unterhaltung mit dem hübschen jungen Mann an ihrer Seite nicht mehr zurück, so hatte Bertl Muße, das Lokal zu betrachten, das jetzt schon in vollem Lichtglanz strahlte. Das war ein unruhiges Geflunker von Gold und Farbe: dort umfing Amor voll heißen Verlangens Psyche, oben auf der Decke raste ein Bacchantenzug, aus allen Ecken winkten üppige Figuren, Becher und Kränze schwingend; grellrothe schwellende Polster die Wände entlang, Nischen, mit schwerseidenen Gardinen verschlossen, aus denen heimliches Geflüster klang, unterdrücktes Gelächter, leises Gläserklingen – ein Glas des Bertl so ungewohnten Champagners genügte, um sie vollends zu betäuben; es war ein häßliches, nie empfundenes Gefühl, das sie jetzt durchzitterte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_048.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)