Seite:Die Gartenlaube (1892) 462.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

eines Walter und einer Barbi erfreuen und einen Saint Saëns Aufführungen eigener Tonschöpfungen leiten sehen kann.

Den größten Erfolg jedoch in der Nachbarschaft der Musikhalle hat „Altwien“, eine Reihe von Holzbauten, die fast in Naturgröße unter freier Benutzung eines alten Stichs von Hufnagel aus dem ehemaligen Wien den „Hohen Markt“ wiedergeben mit dem Quadernthurmthor, dem Lugeck, dem Regensburger Hof, in dessen Hallen die Brüder Schrammel ihre süßen Weisen erklingen lassen, mit der stattlichen gothischen Bürgerschranne, dem Vierröhrenbrunnen, dem Pranger und vor allem mit der Schaubühne des Hanswursts. Nirgends hat es bekanntlich so schwer gehalten wie in Wien, den Hanswurst von der Bühne zu verdrängen. Zweimal wußte er in der alten Gestalt seinen Platz wieder zu erobern und die neueren Formen, die er angenommen hat, die des Thaddädl, Kasperl und Staberl, beweisen, daß er eigentlich nicht umzubringen ist. Dort in „Altwien“ wird nun von einem geborenen Hanswurst, dem Schauspieler Gottsleben, aufgeführt „Hanswursts Geburt“ und „Au weh, mich druckt die Trud’“, eine Pantomime, welche die Wandlung des italienischen Harlekins in den deutschen Hanswurst veranschaulicht. Und wenn man das herzliche Lachen der unbefangenen Zuschauermenge bei diesen derben Späßen und Volkswitzen hört, so möchte man’s nicht verschwören, daß uns nicht von dieser „Geburt des Hanswursts“ die Wiedergeburt des alten Hanswursts und der alten Kreuzerkomödie zurückbleiben werde.

Wenn wir nun den Gang durch die Ausstellungsrotunde antreten, so überlassen wir dem Zufall unsere Führung und verwahren uns zunächst gegen die Annahme, als wollten wir mit unserer Beschreibung auch nur annähernd die Schätze erschöpfen, die hier vereinigt sind, um sich gewiß nie mehr unter einem Dache zusammenzufinden. Wir wollen nur durch Erwähnung von diesem und jenem die Vorstellung erwecken, daß dem Musik- und Theaterfreund hier eine Fülle überraschender Genüsse und reiche Belehrung winkt.

In der musikgeschichtlichen Abtheilung grüßen uns zuerst Bilder und Büsten Beethovens; seine Totenmaske ist umgeben von einem mannigfaltigen Reliquienschatz, bestehend aus Handschriften des Meisters, von denen uns sein sorgfältig geführtes Küchenbuch nicht am wenigsten rührt, aus Haupthaaren und dem Hörrohr, dessen er sich in seiner letzten Leidenszeit bedienen mußte. Aehnlich finden wir auch bei den anderen Meistern der Töne neben ihren Bildern, Briefen und Handschriften Reliquien, welche die Verehrer mit Andacht erfüllen, von Schubert den Schreibtisch und die Brille, von Haydn den Taktstock, von Mozart den ersten Theaterzettel. Cherubini, Gluck, Bach, Händel, Weber, Mendelssohn, Schumann, Spohr reihen sich aneinander. Musikinstrumente von Guarnerius und Stradivarius lösen sich ab mit Manuskripten von Opern und Oratorien und mit theoretischen Musikwerken. In übersichtlicher Darstellung entrollt sich vor uns die Geschichte der älteren Oper am Hofe zu München. Vom Alterthum durch die Anfänge der christlichen Tonkunst können wir an den verschiedensten Gegenständen die Entwicklung der ganzen Musikgeschichte bis auf unsere Tage verfolgen. Reichhaltige Instrumentensammlungen, so die des Erzherzogs Franz Ferdinand und des königlichen Instrumentenmuseums in Berlin, die Ausstellung der deutschen Militärmusik bieten dem Liebhaber die reichste Augenweide. Da sehen wir zierliche „Taschengeigen“ aus dem 17. Jahrhundert, silberne und gläserne Jagdhörner, vor allem aber das Klavierchen, das Friedrich der Große auf Reisen und Feldzügen mit sich zu führen pflegte; auch die vielen Handschriften, Drucke und Bilder des wackeren Hans Sachs sind hier eingereiht.

Ein Festraum für sich ist den Mitgliedern des Hauses Habsburg gewidmet, die sich irgend welche Verdienste um die Pflege und Hebung der Musik erworben haben. Und in einem großen Nebensaal hat der Kustos des Wiener Naturmuseums seine ethnographischen Schätze, die sich auf Schauspiel, Tanz und Gesang beziehen, in musterhafter Uebersichtlichkeit geordnet: wundersame Instrumente aus Indien, Japan, China, Java, dem malayischen Archipel, Puppen und Spielsachen aus Vorderasien und Nordafrika; Mittel- und Südafrika, Neukaledonien und Südamerika mußten ihre Sehenswürdigkeit beisteuern. Eine indische Bajadere in vollem Schmucke bewacht diese Abtheilung.

Beim Eintreten in die geschichtliche Ausstellung des Theaterwesens fällt uns die Dürftigkeit auf, die in der antiken Abtheilung herrscht. In der Abtheilung für das Drama und Theater Deutschlands und Oesterreich-Ungarns verdient das berühmte Luzerner Osterspiel von 1583 mit einem sehr geschickt und genau ausgeführten Modell der Bühne die eingehendste Aufmerksamkeit, ebenso die Kostüme vom Lambacher Passionsspiel und die aus dem 17. Jahrhundert stammenden Tiroler Teufelsmasken, die in überraschender Weise mit Albrecht Dürerschen Zeichnungen übereinstimmen. Auf die Bürger- und Bauernspiele folgt, in Werken und Bildern dargestellt, das Gelehrten- und Klosterdrama. Weiter zeigt die Münchener Abtheilung in gefälliger Ordnung das italienische und französische Schauspiel am bayerischen Hofe, die italienische Oper und das Ballett, die Entwicklung der Theaterdekorationen im 17. und 18. Jahrhundert. Das Großartigste, was auf dem letztgenannten Gebiet unsere Zeit bieten konnte, sind die Prachtstücke, die der unglückliche Ludwig II. für Theateraufführungen anfertigen ließ. Von dem Freundschaftsverhältniß zwischen dem König und Richard Wagner zeugen Originalpartituren des genialen Komponisten mit Widmungen an seinen königlichen Beschützer.

Ergreifend durch seine Einfachheit wirkt das Schiller-Zimmer aus Marbach, gefüllt mit Reliquien des Dichters; Weimar hat das Herrlichste von seinen Goetheherrlichkeiten geboten. Und in den Ausstellungen der deutschen Hof- und Stadttheater entwickelt sich die ganze Theatergeschichte von der klassischen Zeit bis auf unsere Tage.

Besonders prächtig in Kostümen und Dekorationen hat Rußland, besonders geschmackvoll durch den Schmuck der Gobelins, Oelbilder und Skulpturen Frankreich ausgestellt. Nicht vergessen dürfen wir zum Schlusse die polnische Abtheilung mit dem reizenden Chopin-Zimmer.

Doch wir können unmöglich alles Schöne und wissenschaftlich Werthvolle, das unter dem Dache der Rotunde vereinigt ist, einzeln anführen. Und so sei nur noch bemerkt, daß auch durch die Ausstellung von Theatereinrichtungen, z. B. für Lüftung, Sicherung gegen Feuer, Beleuchtung, diese Musik- und Theaterausstellung Epoche im Ausstellungswesen der Neuzeit macht. W.     


Der Zucker.

Eine kulturgeschichtliche Skizze.

Wir sind mit Süßigkeiten von Kindheit auf so verwöhnt, daß wir den Zucker als etwas Selbstverständliches betrachten und uns die Welt ohne ihn nicht denken können; denn selbst in den alten Märchen, die von Kinderfreunden für das neunzehnte Jahrhundert zugestutzt worden sind, spielt das Zuckerwerk keine unbedeutende Rolle. Erst wenn wir älter werden und uns mit der Kulturgeschichte der Menschheit befassen, da erfahren wir, daß der Zucker gar nicht so alt ist, daß unzählige Menschengeschlechter groß geworden und dahingestorben sind, ohne jemals ein Stück Zucker gekostet oder auch nur gesehen zu haben, daß unseren Altvordern nicht einmal der Name bekannt war.

Ja, die Helden des Nibelungenliedes haben kein Stück Zucker gekostet; der „zuckersüße“ Hans ist ein Kind einer späteren Zeit; erst die deutschen Dichter des zwölften Jahrhunderts wissen von den süßen Eigenschaften des Zuckers zu singen.

Allerdings kannten auch die alten und ältesten Deutschen süße Speisen; nur würzten sie dieselben nicht mit Zucker, sondern mit Honig. Und in derselben Weise verfuhren die alten Griechen und Römer. Bei den klassischen Dichtern und Schriftstellern des Alterthums wird man vergeblich nach dem Worte Saccharum oder Sakcharon suchen. Das süße Backwerk, welches die kunstfertigen Bäcker Roms bereiteten, war mit Honig versüßt, und noch um das Jahr 1000 bezog Nürnberg seine Süßigkeiten aus den Bienenstöcken der benachbarten Wälder, welche der „Reichsbienengarten“ genannt wurden.

Allmählich kam indessen die Kunde von zuckerspendenden Pflanzen nach Europa und viel später folgte der Zucker selbst. Den Kulturvölkern am Mittelmeer wurde im vierten Jahrhundert v. Chr. durch den indischen Feldzug Alexanders des Großen eine neue Welt eröffnet, und die Feldherren dieses Königs berichteten,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_462.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2024)