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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Für die Frau überhaupt. Hat sie nicht das gute Recht, zu wissem, wer ihr Mann ist? Der Name thut nichts zur Sache, aber die Frage: wie heißt Du? ist doch zugleich die Frage: wer bist Du? Fassen wir ihre Bedeutung nicht zu enge! Es handelt sich da, wenn man ihr auf den Grund sieht, um ein sittliches Problem von großer Tiefe. Darf die Frau wissen, wer ihr Mann ist? Selbstverständlich nicht, wie er ins Standesregister eingetragen wurde, durch welche Schulen er ging, welche Universitäten er besucht, welche Examina er bestanden hat, ob er schon einmal bestraft ist und welche Spuren so im allgemeinen sein äußerer Lebensgang zurückließ. Das alles würde auch meine Neugier wenig reizen. Aber darf mein Mann ein Geheimniß vor mir haben? Ich meine natürlich wieder nicht irgend eine Thaaache, die für eine Weile noch oder überhaupt geheim bleiben soll. Da kommt’s lediglich darauf an, ob die Frau plauderhaft ist oder nicht. Nein, ich meine ein Geheimniß seiner innersten Mannesnatur. Ich bin nämlich überzeugt, daß jeder nicht gewöhnliche Mann voll solcher Geheimnisse steckt. Er giebt sich nicht ganz, wie er ist. Er behält, so freigebig er sich entäußern mag, immer noch etwas für sich zurück, und er läßt sich nicht gern danach fragen, auch von seiner Frau nicht – von der vielleicht erst recht nicht. Dringt sie in ihn, so kann es sich wohl ereignen, daß ein Schwanenfuhrwerk vorfährt und ihn gänzlich ihrem Machtbereich entzieht. Sie darf nicht wissen, wer er ist, weil dann der Zauber seiner Herrschaft schwindet, das Räthsel gelöst ist, um das sie sich ihr Leben lang liebend bemühen soll. Aber wo ist denn der Beweis, daß die Frau unwerth ist, eine Wissende zu sein? Ich will fragen dürfen und Antwort erhalten. Ich kann mir vorstellen, daß ich durch eine Antwort sehr unglücklich würde, und frage doch! Denn was ist das für ein Glück, an das man nicht rühren darf?

Nur leise angetippt, heißt’s schon: „Nun ist all unser Glück dahin!“

Ich hatte als Kind eine unwiderstehliche Neigung, weißt Du, etwas herunterzuwerfen, was nur so balancierte. Es kribbelte mir in den Fingern, so ein Ding immer ein klein bißchen weiter zu schieben, ein ganz klein bißchen, bis es wirklich kippte. Und manchmal war so ein Ding von Glas und lag dann in Scherben am Boden. Ich bekam Schläge auf die unnützen Hände, aber meine Lust war doch gebüßt. Wirklich – meine Lust! Ich dachte mir’s als einen Uebermuth, so auf der Spitze oder so nah dem Rande stehen zu wollen – das reizte meinen eigenen Uebermuth, die Gefahr zu vergrößern, die Spannung zu vermehren, welcher Augenblick einer eingebildeten Sicherheit der letzte sein werde. Ein Onkel hatte mir einmal ein hübsches Glas aus einem böhmischen Bade mitgebracht, roth, mit einem Bilde und einer Inschrift. Ich liebte es sehr. Man konnte es getrost umwerfen, es zerbrach nicht. Das war sein Unglück. Es konnte von dem Bänkchen auf die Erde fallen und zerbrach nicht, sogar vom Tische. Ist es denn unzerbrechlich? Die Frage wurde brennend. Ich stellte das Bänkchen auf den Tisch, dicht an die Kante, und das rothe Glas darauf. Bums, da lag’s an der Erde und blieb ganz heil. Wir besaßen ein Eckschränkchen, das war noch höher. Also von da hinab. Es war wieder nichts. Stieg ich auf den angeschobenen Tisch, so konnte ich auf ein Kleiderspind reichen. Auch von da wurde der Sturz in die Tiefe versucht. Kein Riß! Ich gerieth in nervöse Aufregung. Es gab nur einen noch höheren Gegenstand: den Ofen. Der war aber sehr hoch. Alle meine Gedanken ackerten um die Frage herum, wie ich’s anstellen könnte, mit der Hand hinaufzureichen. Ich brachte wirklich einen Aufbau fertig, der zureichte. Er wackelte unter mir, ich hätte mir Hals und Beine brechen können. Aber das Glas stand auf dem Kopf der Figur, die das Gesims krönte, und tanzte hinunter. Auch diesmal ohne Schaden. Nun blieb mir noch ein letztes übrig. Wenn ich das Fenster öffnete und das Glas auf das Brett setzte und leise weiterschob, immer weiter – wie mir das Herz schlug! So ängstlich und so wonnig. Nun stand’s auf der Kante, nun neigte sich’s schon über – und nun purzelte es hinab. Ein Klirren unten - ah! da lag es zerbrochen auf den Steinen. Also doch! Ich hatte im Augenblick das Gefühl unsägljcher Genugthuung. Und im nächsten weinte ich und jammerte: mein schönes Glas! Ja – Mit diesem Gedankenstrich schließe ich.



5.

Du willst etwas von unserer Frau Chef hören. Mit einem Worte, Liebchen, sie ist eine abscheuliche Person.

Das heißt ... ja, es kommt auf den Geschmack an. Sie hat genug Verehrer, die sie nicht nur schön, sondern auch liebenswürdig finden, und es sind darunter viele ganz unabhängige Leute, die gar nicht nöthig haben, ihr aus anderen Gründen den Hof zu machen, als weil sie sich damit selbst ein Genüge thun. Ich spreche nicht einmal nur von Männern. Sie verfügt auch über eine ausgebreitete weibliche Freundschaft.

Ich bin wahrhaftig keine Splitterrichterin. Jeder sittliche Rigorismus ist mir zuwider. Ich erkenne im besonderen an, daß unsere gesellschaftlichen Beziehungen es oft als eine Aufgabe der Klugheit fordern, ein Auge zuzudrücken oder die Maske für das Gesicht zu nehmen (auch vor, aber das steht in einem anderen Kapitel). Wen ich nicht zu verantworten habe, den nehme ich, gerade wie andere, für das, wofür er das Geschick hat, sich auszugeben. Eine Dame für eine Dame. Aber ...

Es ist nicht so ganz leicht, dieses Aber zu begründen; daß ich Dir ein Stück ihrer Lebensgeschichte mittheile, rechtfertigt es nicht. Sie ist Tänzerin gewesen und hat einmal mit ihrem Gesicht und ihren Beinen Furore gemacht. Jetzt neigt sie ein wenig zum Starkwerden, aber die Büste ist noch immer sehr schön. Man erzählt sich, daß sie ein recht abenteuerliches Leben geführt habe, bis der Chef sich in sie verliebte. Was geht mich ihre Vergangenheit an? Sie ist unzweifelhaft die Frau eines sehr respektablen Mannes und gegenwärtig selbst eine respektable Frau, die sich nichts zu schulden kommen läßt. In ihrem Hause verkehrt die beste Gesellschaft. Aber ...

Da bin ich wieder, so weit ich war. Ich komme auch nicht viel weiter, wenn ich Dir verrathe, daß sie eine schrecklich ungebildete Person ist, die nur durch den dick aufgetragenen Firniß von Allerweltswissen glänzt. Sie besitzt eine geistreichelnde Art, darüber hinwegzutäuschen. Sieht man näher hin, so kommt man bald hinter ihre Kunstgriffe. Obenan steht der, abzusprechen – mit einer Dreistigkeit abzusprechen, die schon an Frechheit grenzt. Sie ist immer gut unterrichtet über das, was der Tag gelten läßt, und verblüfft dann durch ein Achselzucken, ein Naserümpfen, ein überlegenes Lächeln, irgend einen kritischen Naturlaut: äh – o – pah! Ueber Kunst, Litteratur, Wissenschaft, Politik – lauter Dinge, von denen sie nicht das mindeste versteht, urtheilt sie in dieser Weise, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was dazu gehört, eine eigene Meinung zu besitzen. Sie fordert dadurch den Widerspruch heraus, und dieser gefällt sich so sehr in der Vertheidigung seines Standpunktes, daß er gar nicht merkt, wie nichtssagend der Angriff war. Man findet die Unterhaltung mit der schönen Frau, die nichts gelten lassen will, sehr interessant, indem man sich selbst geistreich findet, und giebt ihr zugleich Waffen in die Hand, die sich trefflich gegen den brauchen lassen, der ihr etwa zum Munde zu reden schwach genug ist.

Ich kenne sehr kluge Männer, die sie nicht durchschauen, und ich fürchte, mein eigener ist dabei. Blendwerk, alles Bandwerk, das einzige, was sie aus dem Grunde studiert hat, ist die Toilettenkunst. Sie kleidet sich nicht immer nach meinem Geschmack, oft zu auffallend und gesucht, aber sie giebt nie der Mode nach, ohne zu wissen, warum sie’s sich zu Liebe thut, und wählt das Kostbare nur, wenn es zugleich gefällig ist. Sie kann sehr hübsch aussehen, und wenn sie im Theater in ihre Loge tritt, richten sich alle Blicke dorthin. Sie hat die Gewohnheit, stets in der letzten Minute zu erscheinen.

Ihr ganzer Ehrgeiz ist, ein erstes Haus zu machen. Sie läßt es ihren Mann etwas kosten. Und sich auch, wennschon in anderer Weise. Keine Bemühungen werden gescheut, wenn es gilt, irgend eine hervorragende Persönlichkeit, einen hohen Militär oder Diplomaten, aber auch einen berühmten Künstler und dergleichen zum Besuch ihrer Gesellschaften zu veranlassen. Ist eine öffentliche Veranstaltung im Werke, welche patronisiert werden soll, so sieht man ihren Wagen überall halten, wo ein Einfluß auf die Bildung des Ausschusses zu erwarten ist. Sie muß unter den Damen stehen, die den Aufruf unterschreiben. Für diesen Erfolg giebt sie alles preis, nur nicht – ihre Tugend. Das findest Du boshaft, nicht wahr? Ich leugne nicht, diese Frau regt mich

auf. Sie ist maßlos eitel und – ich besinne mich, ob ich’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_146.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2023)