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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Sabinens Freier.
Von W. Heimburg..
(2. Fortsetzung.)


Ich stieg die Treppe des „Deutschen Hauses“ empor und suchte meine Stube auf; da lag auf dem Sofatisch ein Brief von meinem Reisekameraden. Ich nahm ihn, setzte mich auf das Sofa und riß den Umschlag auf, aber zu lesen begann ich noch nicht. Hinter meiner Stirn trieben sich die Gedanken im bunten Wirbel umher und machten es mir unmöglich, meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden.

Ich sah immer nur den Radowitz vor mir, groß und breit, und neben ihm Tante Klara im schönsten Einverständnis und ich hörte sie dann sagen mit ihrer spitzen Stimme. „Bedenke doch, Viktor, das Kind ist arm, ganz arm, und Oetzen ist doch schließlich ein recht anständiger Unterschlupf! Ach, all das andere Gethue ist ja Nebensache, Sentimentalität!“

„Hol' Euch ein Donnerwetter!“ fluchte ich, „daraus wird nichts! Ich bin auch noch da!“ Und mit dieser halblauten Verwünschung riß ich den Brief aus dem Umschlag.

„Lieber Brenken,“ las ich, „was machen Sie denn? Betrügen mich und sich um die schönsten Stunden, lassen mich allein die Reise über den Gotthard machen und wollen nachkommen? Familienangelegenheiten ? Ich habe Sie meintag nicht von solchen Sachen sprechen hören. Ihre Frau Schwester, die ich in der Behrenstraße traf, behauptet, nichts von solchen Dingen zu wissen; ich schwieg gleich still, weil man ja nicht ahnen kann, was Sie eigentlich vorhaben, und murmelte nur etwas von einem Pferdekauf.

Sie wollen sich doch nicht etwa verloben? Brenken!

Ich bitte Sie, kommen Sie doch recht eilig nach. Ich würde Sie gern in Berlin erwartet haben, aber so reisefertig hat man keine Ruhe mehr, daher gebe ich diese Zeilen bereits in Luzern zur Post. Um Mitternacht heute bin ich in Genua; ich werde am Ufer des Meeres sitzen und sehnsüchtig Ihrer harren. Avanti!

Brenken, der Himmel schütze Sie vor Thorheiten!

Ihr Leeden.“

Der ist verrückt! sagte ich, und in meinem Kopf wurde es plötzlich sehr, sehr ruhig. Nach einem Weilchen stand ich auf und machte mich ans Schreiben:

„Lieber Leeden!

Ich meine, in Genua wird's schon ein paar Tage allein auszuhalten sein; ich kann hier erst übermorgen abreisen, denn ich - hoffentlich ist es Ihnen nicht unangenehm - gedenke mein Pathenkind, eine junge Nichte von achtzehn Jahren, mitzubringen. Sie wird nicht stören, die Kleine; sie ist allerliebst. Sie muß sofort abreisen - na, das erzähle ich Ihnen, es sind das eben die Familienangelegenheiten. Bestellen Sie ein paar nette Zimmer im Gasthof! Ich telegraphiere, wann Sie uns empfangen können.

Immer Ihr Brenken.“

Natürlich, sagte ich, während ich die Adresse schrieb, so wird's gehen. Wofür ist man denn Onkel? Und schließlich kann ich mich doch nicht hierher setzen wie eine Gouvernante, um sie vor dem Radowitz zu schützen. Unterwegs werde ich ihr das in aller Ruhe klar machen; sie darf sich nicht Hals über Kopf in eine Ehe stürzen, nur um der Frau Großmama ein sorgenloses Dasein zu ermöglichen; sie muß dem ehestiftenden Einfluß dieser alten Dame unbedingt entzogen werden, auf längere Zeit und gründlich. Nach der Rückkehr aus Italien werde ich sie zu meiner Schwester bringen, und dort wird's ja an Gelegenheit, eine Partie zu machen, nicht fehlen, wenn denn durchaus geheirathet werden soll.

Ich wunderte mich, während ich den Ueberzieher anzog, daß mir dieser Gedanke nicht schon früher gekommen war. Nein, mein bester Leeden, sagte ich und klopfte auf den Brief, den ich in meine Brusttasche gesteckt hatte, den Spaß mache ich Dir nicht, mich als Bräutigam vorzustellen! Da hinter den Ohren sitzen bereits einige graue Haare, na - Du sollst in mir den Onkel comme il fault kennenlernen. Etwas pedantisch vielleicht, etwas strenge, besonders gegen etwaige Freier --na - hm!

Ich ging hastig fort; ich wollte auf der Stelle mit Tante Klara sprechen. Ueberdies, es mußte ja schon spät sein, es war bereits ganz dämmerig geworden.

Aber nein, es war erst halb sechs Uhr, und um Sieben sollte ich kommen. Ich schlenderte mit meinem Brief nach der Post, ging dann nach einem kleinen Blumenladen und kaufte einen Kranz für Lenis Grab, und schließlich wanderte ich hinaus auf den Friedhof und legte das Gewinde der Epheublätter auf die Steinplatte, unter der sie schlief. Ja, ja, Leni. ich sorge für sie, dachte ich dabei, ich wache über sie denn sie ist mein Kind, meine Tochter, sie soll nicht verkauft werden wie Du!

Es war wirklich Ruhe über mich gekommen, als ich das Brenkenhaus betrat. Dieser weiche Taumel, in dem mein Herz seit gestern schwamm, war verschwunden, mich hatte nur die Allgewalt der Erinnerungen gepackt und - diese Aehnlichkeit.

Gott sei Dank, Tante Klara saß allein in der Sofaecke! Weiter niemand da als die beiden Dachshunde auf der Ofenbank. In der Mitte des Zimmers stand schon der Tisch gedeckt auf der nämlichen Stelle wie früher, alles sehr zierlich und nett - eine Schüssel kalten Anschnitts, grüne Petersilie darum, eine andere mit Salat; Tassen, Schinkenbrötchen - allerliebst! Es war auch ein wenig geheizt, und in der Ofenröhre summte der Messingkessel mit dem Theewasser.

Ich zog einen Stuhl zu Tante Klara hinüber und sagte vergnügt: „Hör', Tante, ich habe ein Attentat auf Euch vor!“

Sie sah mich wehleidig lächelnd an. „Mein lieber Viktor, was denn?“

„Ich bin nämlich im Begriff, nach Italien zu reisen, Tante, und -“

„Du Glücklicher!“ seufzte sie.

„Und möchte mein Pathchen mitnehmen.“

Tante Klara setzte sich in die Sofaecke zurück strich über ihr Shawltuch und räusperte sich; aus der Fensternische aber flog ein herzliches lautes Mädchenlachen herüber und Hella erschien hinter den weißen Musselinvorhängen.

„Du, Onkel, das ist eine Kateridee!“ rief sie, „zum Totlachen!“ Und in der That schien sie die Absicht zu haben, das letztere wahr zu machen, denn sie konnte sich kaum beruhigen.

Ich warf ihr einen wenig freundlichen Blick zu und wandte mich all die Tante. Aber diese flötete: „Ach, Viktor, dazu - nimm es mir nicht übel - Du bist zwar schon Stabsoffizier, aber dazu - dazu bist Du doch noch zu jung.“

Ich wollte auffahren, da trat sie herein, ein Körbchen mit Obst tragend, und in diesem Augenblick überkam mich ein unglaublich niederschmetterndes Gefühl, und das, was ich eben gewollt und so natürlich gefunden hatte, erschien mir selbst geradezu unmöglich. Nein, nein, schrie es in mir, sie ist weder Nichte noch Pathenkind, sie ist Leni, Leni, die Liebe meiner Jugend, der Traum meines Lebens - Leni, wie rette ich Dich, wie helfe ich Dir?

Bine hatte indes ihres Amtes als Wirthin gewaltet, so zierlich, so reizend, so ganz, wie ich es schon kannte von früher. Sie goß mir Thee ein, schnitt mir Brot und fragte, ob ich es hier nicht schon ganz gemüthlich fände. Und das liebe vertraute Gesicht lächelte mir zu und die rothen Lippen baten um Entschuldigung, daß nur ein so einfaches Essen aufgetragen sei. Dann blickten die klaren Augen die alte Dame an und senkten sich gleich darauf wie beschämt.

„Hör' 'mal, Bine,“ begann das enfant terrible in meine Verwirrung hinein, „Onkel Viktor will Dich mitnehmen nach Italien.“

Sie lachte herzlich und unbefangen wie über einen köstlichen Spaß. Ich bückte mich nach meiner Serviette.

„Möchtest Du nicht, Binchen?“ fragte sehr langsam Tante Klara. Und ohne die Antwort abzuwarten, begann sie von dem Wunderlande zu sprechen und entwarf wahrhaft glühende Schilderungen, so daß selbst Hella ihre Teckel zu füttern vergaß, die, rechts und links von ihr sitzend, jeden Bissen zählten, der an ihnen vorüberging, und mit offenem Munde lauschte. Ich aber besann mich vergeblich, ob Tante Klara jemals dort gewesen sei; als ich sie endlich danach fragte, antwortete sie kurz: „Ja natürlich, wir waren doch auf der Hochzeitsreise da.“

Ich starrte sie an; so weit ich mich erinnerte, war diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_838.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2018)