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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


langweilten, matt und abgespannt waren. So hatte das eine der Geschwister als junges Mädchen stets beim Beginn einer Gesellschaft, wo ein gewisses Ballfieber bestand, langes Haar, das sich jedoch nach ein paar Tänzen zur halben Länge kräuselte, so daß ein Herr sie fragte, wie es käme, daß sie den Ballsaal mit langen Haaren beträte und mit kurzen verließe.

Häufiger sind Fälle beobachtet worden, in welchen infolge einer schweren Krankheit die Haare in kurzer Zeit ihre Farbe wechselten So berichtet der Arzt Alibert, daß eine Frau nach einem Fieber im Wochenbette ihr blondes Haar verlor und schwarzes dafür wiederbekam. Eine andere hellblonde Dame wurde von einem Typhus befallen, an dem sie schwer daniederlag. Nach ihrer Genesung fielen ihr die Haare aus, welche im Verlauf einiger Monate zwar wieder wuchsen, aber kohlschwarz waren. Der Blondkopf war ein Schwarzkopf geworden. Weiterhin hat man beobachtet, daß Leute im Verlaufe der Lungenschwindsucht statt ihrer hellen Haare dunkle bekommen haben. Es wird auch von einem an Bleichsucht leidenden Mädchen berichtet, welches graues Haar bekam, von der Wurzel bis auf zwei Zoll Länge, während das obere Ende unverändert sich erhielt. Nachdem die Bleichsucht durch Eisenpräparate beseitigt war, wuchsen die Haare wieder in ihrer ursprünglichen braunen Farbe nach, so daß das Mädchen braune Haare hatte, mit einem zwei Zoll langen weißen Zwischenstücke.

Ein solches zeitweiliges vorübergehendes Ergrauen der Haare wird mitunter auch bei ganz gesunden Menschen beobachtet. So hatte ein 19 Jahre alter Knecht, der vor Jahren den Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen in Greifswald bildete, eine höchst sonderbare Haarfärbung. Ein jedes seiner Kopfhaare bestand abwechselnd aus braunen und weißen Ringeln, d. h. es war von Stelle zu Stelle ergraut. Die Länge der einzelnen weißen und braunen Ringel betrug 2 bis 3 Millimeter. Landois fand nun, daß die braunen Stellen im Haare die normalen waren, daß an den weißen Stellen aber sowohl das Mark, wie die Rindensubstanz der Haare mit Luftbläschen ganz und gar durchsetzt erschienen, an diesen Stellen war auch das Haar dicker, durch die Gasentwicklung aufgetrieben.

Hiermit schließen wir unsere Mitteilungen über diese wunderbaren und rätselhaften Veränderungen des menschlichen Haares. Es ist nicht ausgeschlossen. daß die eine oder andere von ihnen häufiger vorkommt, als man bis jetzt annimmt, da ja sonst gesunde Menschen wegen eines vorübergehenden Wechsels in der Färbung oder Kräuselung des Haares in den seltensten Fällen die Hilfe eines Arztes oder gar eines Haarspezialisten in Anspruch zu nehmen pflegen. So sind auch die oben erwähnten Veränderungen von den Aerzten zumeist nur nebenbei beobachtet worden, indem die Kranken wegen irgend eines anderen Leidens in Behandlung kamen und ihre Haarbeschaffenheit durch Zufall die Aufmerksamkeit der Aerzte auf sich lenkte. Wir möchten darum durch diese Mitteilungen weitere Kreise zur Selbstbeobachtung anregen und würden kurze Beschreibungen ähnlicher Haarveränderungen behufs weiterer zweckmäßiger Verwendung gern entgegennehmen. Hoffentlich werden solche Erhebungen dazu beitragen, in die dunklen Wechselbeziehungen der Haare zu den Nerven mehr Licht zu bringen. C. Falkenhorst.     


Loni.

Erzählung von Anton von Perfall.

     (2. Fortsetzung.)

Der Mentner lehnte mit dem Oberkörper gegen den Stamm der Buche. Das Antlitz war blutüberströmt, das eine Auge zerschlagen – verschwollen – das andere stand weit offen mit glasigem Ausdruck. Jetzt regte er sich.

Marei warf sich über ihn. „Vater, nur a Wort! Hörst mi net? Dei Marei! – Wer hat den Förster umbracht?“

Sie schrie ihm ins Ohr: „Du? – Du? – Naa – Du net! Grad mit’n Kopf gieb a Zeich’n! – O, mein Gott, er hört mi nimmer!“

Sie sank zusammen vor dem Sterbenden, dann erhob sie sich und klammerte sich an den Flori.

„Aber zu Dir hat er g’red’t, Flori, Du hast’s ja g’rad g’sagt. Was hat er g’red’t?“

Loni warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Mein Gott, alles durcheinander, halt scho halb weg – da kann ma nix d’rauf geb’n.“

„D’rauf geb’n! Hat er an Nam g’nennt? – Flori, er hat an Nam g’nennt, i weiß ’s g’wiß,“ flehte das verzweifelnde Mädchen.

In diesem Augenblicke machte der Mentner eine krampfhafte Bewegung mit dem Arme, Marei wandte sich von neuem zu ihm und beugte sich dicht auf ihn herab, um keinen Laut zu verlieren.

Das eine Auge war stier mit wesenlosem Ausdruck auf sie gerichtet. Plötzlich fing es darin zu leuchten an, die Lippen bewegten sich.

„Vater, wer hat den Förster umbracht?“

Die Stirne zog sich in krampfhafte Falten, ein Zittern durchflog den Körper, aber es bildete sich kein Laut auf den sich schließenden und öffnenden Lippen. Dann erlosch wieder der Glanz des Auges.

Der Doktor und der Geistliche kamen über den Schlag, geführt vom Anderl, der betroffen aufsah, als er den Flori erblickte. Am Saum des Holzes polterte ein Wagen.

Der Arzt zuckte nach näherer Untersuchung die Achsel. „Da ist nichts mehr zu thun. Das Gehirn ist verletzt, bringt ihn rasch nach Hause!“

Der Geistliche sprach den Unglücklichen an – vergebens! Dann sprach er über ihm ein Vaterunser, in welches alle Umstehenden einstimmten. Aus der großen Buche herab flatterten die purpurnen Blätter mit raschelndem Laut, feierliche Abendstimmung lag über der Landschaft.

„Wird er denn nimmer zur Besinnung kommen? Keinen Augenblick?“ fragte Marei den Arzt.

„Auf einen Augenblick ist es möglich,“ antwortete dieser im Tone geringer Hoffnung. Dann wandte er sich an Anderl und Flori. „Auf, Leute, bringt ihn zum Wagen!“

Die Männer hoben den Unglücklichen auf. Marei wich nicht von seiner Seite, sie hoffte jetzt auf den einen Augenblick, von dem der Arzt gesprochen.

Vor dem Hofe hatte sich schon das ganze Dorf versammelt, die Kunde von dem Unglücksfalle hatte sich rasch verbreitet. „Wenn er g’rad no hat red’n könn’n und den Recht’n nennen,“ war der allgemeine Wunsch. Man drängte sich herbei und sah forschend in das starre Antlitz, als ob hier die Lösung des dunklen Rätsels geschrieben stände.

Loni drängte die Menge zurück. Der Mentner wurde auf die Lagerstätte in der Wohnstube gelegt, neben den großen Ofen.

Man flüsterte nur, als ob man den Mentner nicht wecken wollte aus seinem Schlummer.

Die Dämmerung war angebrochen, gelbes, gebrochenes Licht fiel durch die kleinen Scheiben herein. Da wurde die Thüre hastig aufgerissen, der Försterwilly trat ein. Ohne auf die Umstehenden nur einen Blick zu werfen, eilte er zu der Lagerstätte, vor welcher Marei kniete, jeden Atemzug des Vaters verfolgend.

Sie klammerte sich jetzt an den Geliebten.

„Zu spät! Er hört uns nimmer!“

„Mentner!“ schrie der junge Mann dem Unglücklichen in das Ohr.

Die Hand hob sich, um gleich wieder zurückzusinken.

„Mentner! In wenig Augenblicken stehst’ vor unserm Herrgott! Sprich die Wahrheit – wer hat mein’ Vater umbracht?“

Lautlose Stille. – Der Mentner hob langsam den Arm und fuchtelte, die Finger ausgestreckt, mit rascher Bewegung an seinem Lager herum. Der Mundwinkel zog sich nach abwärts wie bei einem Kinde, das zu weinen anfängt.

Unbedingt war die Frage vernommen worden, wenn auch unklar.

„Hast Du’s gethan?“ fuhr Willy fort. „Ich will Dir’s ja gern verzeihn – nur die Wahrheit red’!“

Jetzt rollte das unverletzte Auge unstet im Raume umher, als beunruhigte es ein Anblick.

Willy und Marei wandten sich um, er suchte wohl den Anderl. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_111.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)