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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Nr. 1.   1896.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

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Fata Morgana.

Roman von E. Werner.


Die Bahn war geöffnet und Reiter wie Zuschauer harrten erwartungsvoll auf das Zeichen zum Beginn des Rennens. Die Schranken umlagerte eine dichte Volksmenge und auf den Tribünen war jeder Platz besetzt. Es war jenes bewegte, farbenreiche Bild, das man bei solcher Veranlassung auf allen europäischen Rennplätzen sieht, aber hier, unter einem fremden Himmel, in einer ganz anderen Welt, erschien es in so eigenartigem Rahmen, daß sich das oft Gesehene zu einem ganz neuen, fesselnden Schauspiel gestaltete.

Im Hintergrunde dehnte sich weit und hellschimmernd die Stadt aus, ein Meer von Straßen, Palästen und Häusern, aus dem die Kuppeln der Moscheen, die schlanken, zierlichen Minarets überall emportauchten. Dazwischen Gruppen von mächtigen Palmen und, über dem Ganzen thronend, auf der Höhe die Citadelle mit ihren Türmen. Wie eine Märchenstadt lag das schöne Kairo da, überflutet von dem heißen Lichtglanze der afrikanischen Sonne, und darüber wölbte sich der Himmel mit einem so tiefen, leuchtenden Blau, wie es selbst der Süden Europas nicht kennt.

In der Volksmenge, welche sich an den Schranken der Rennbahn drängte, waren alle Völker und Stämme des Orients vertreten. Eine Fülle von seltsamen Gestalten, in der malerisch phantastischen Tracht ihrer Heimat, ein Gewoge von leuchtenden, oft schreienden Farben, von gelben, braunen, tiefschwarzen Gesichtern, deren dunkle, brennende Augen bald an der beim Start versammelten Reiterschar, bald an den Tribünen hingen.

Dort unter den weit ausgespannten Sonnendächern war die ganze vornehme Welt von Kairo versammelt, eine Gesellschaft, die vielleicht nicht weniger bunt zusammengesetzt war als jene, die sich da unten vor den Schranken drängte. Neben den vornehmen Orientalen sah man die ganze Fremdenkolonie der Stadt, und ihr hatte sich der große Strom der europäischen Touristen angeschlossen, die Reiselust oder Erholungsbedürfnis hierher gezogen. Auch hier waren alle Länder vertreten, alle Sprachen schwirrten durcheinander, Nord- und Südländer fanden sich zusammen und neben der reichsten, gewähltesten Toilette zeigte sich der einfachste Reiseanzug. Man sah und hörte es ringsum, daß man sich in einer der großen Fremdenstationen des Orients befand.

Vor den Tribünen stand eine Gruppe von Herren in angelegentlicher Unterhaltung, die selbstverständlich das bevorstehende Rennen betraf. Der mutmaßliche Verlauf desselben wurde sehr lebhaft erörtert und die Meinungen darüber schienen

Am Neujahrstage 1871 vor Paris.
Nach einer Originalzeichnung von P. Schnorr.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0001.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)