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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

nach einer ganzen Weile herein und schlich zu ihm. „Tante Hede sagt, sie wäre selbst gekommen, aber sie kann leider nicht fort; sie hat gerad’ den Diener schicken wollen mit der Karte.“

„So, so!“ nickte er. „Ich kann euch nun nicht helfen, ihr müßt eure Chokolade ohne Tante trinken.“

„Vater, ich glaube, Heini muß sterben,“ begann das Kind von neuem, „Tante Hede sah so blaß aus und war so traurig!“

„Erzählte sie euch das?“

„Nein – ich denke nur so. Und sie hat uns alle geküßt und gesagt, wir sollten sehr artig sein heute.“

„Dann seid es nur auch,“ mahnte der Oberförster. „Zur Chokolade komme ich hinüber, heute nachmittag.“

Das Kind ging. Der Vater warf die Feder fort und starrte vor sich hin. Hatte er ihr eigentlich etwas zuleide gethan? Er grübelte und grübelte, aber er fand nichts. – Sie hatte fort gewollt, und er hatte als ehrlicher bescheidener Mensch seine Wünsche den ihrigen nachgesetzt. Nicht einmal zu sagen hatte er gewagt. „Das geschieht mir zu großem Leid!“ Er hatte einfach gesprochen: „Wenn das so liegt, darf ich Sie nicht zurückhalten.“ Er kam gar nicht darauf, der gute einfache Mensch, daß seine Bescheidenheit mißverstanden werden konnte.

Also er fand nichts, er glaubte nur, sie habe ihren alten Stolz hervorgesucht; nun, da es ihr möglich war, wieder standesgemäß zu leben, und – – na ja die Pflege des kranken Würmchens. – Den Nachmittag vergaß er die festliche Chokolade und mußte erst geholt werden. Und die Kinder mochten das Getränk nicht, denn Karoline hatte es anbrennen lassen, Mariechen warf ihre Tasse um und begoß sich von allen Seiten; es war kalt und ungemütlich im Zimmer und der Junge heulte über Zahnschmerzen. Der Oberförster verlangte Karoline zum Heizen. Die Aelteste ging in die Küche, um diesen Wunsch des Vaters zu melden, die vielgeplagte Karoline aber war schlechter Laune und schimpfte entsetzlich, daß sie vom Aufwaschfaß fort sollte, es sei eine heillose Wirtschaft jetzt im Hause, und sie könne das bald nicht mehr aushalten, und wenn einer Witwer sei und habe Gelegenheit zum Heiraten und er thue es dann nicht, so sei das man – „dumm!“ Und der droben könne ja eine Pflegerin halten für sein krankes Kind. Wenn seine Schwester die Frau Oberförsterin nun schon wäre, dann hätte er sie ja auch nicht können so ganz einfach hier wegholen und hätte sich eine andere suchen müssen. So ’ne Wirtschaft, wie die Wirtschaft jetzt hier sei, das wär’ ja, um auf die Bäume zu klettern!

Der Backfisch kam ganz blaß wieder ins Wohnzimmer. Sie stand zuerst hüstelnd umher, setzte sich dann auf den verlassenen Fensterplatz und betrachtete ihren Vater, der, die eine Hand auf dem Rücken, mit der andern den leise weinenden Jungen führend, auf und ab schritt, als sähe sie ihn in ihrem Leben zum erstenmal.

„Vater,“ sagte sie endlich, „Karoline ist böse auf dich.“

„So? Warum denn?“

„Sie sagt, du hättest Tante Kerkow man heiraten sollen, dann wäre die ganze Ravage nicht.“

Er stand plötzlich still und starrte das Kind an; eine jähe Röte war in sein Gesicht geschossen und er hatte eine heftige Antwort auf der Zunge. Aber er beherrschte sich, ließ den Jungen los und ging mit wuchtigen Schritten aus dem Zimmer.

(Fortsetzung folgt.)




Jägerfrühling.

Föhnwetter im Februar, schmelzender Schnee und brausender Regen – das nennen sie in der Stadt eine „greuliche Zeit“, bei der man sich nasse Füße und rote Nasen holt. Aber draußen auf dem Lande, im Herdwinkel des Hegerhäuschens und in der Försterstube schmunzelt so manch’ ein alter Graubart vergnügt und träumend vor sich hin, wenn er mit dampfendem Pfeiflein bei der trübe brennenden Lampe sitzt, während es draußen saust und klatscht um alle Mauern und an jedem Fenster die Läden rasseln. Und bevor sich der Alte, wenn der Krug geleert ist, zum schnarchenden Bärenschlafe niederlegt aufs Ohr, tritt er wohl noch für einige Minuten vor den Gewehrrechen, holt die alte Schrotspritze vom Nagel, öffnet die Läufe und beginnt mit dem Wischer ein Fegen und Scheuern, daß ihm die Schweißperlen von der Stirn über die buschigen Brauen tropfen. Der langhaarige Vorstehhund, den der Winter dick und faul gemacht, ist hinter dem Ofen hervorgekrochen; er schüttelt das verstaubte Fell, zuckt in Neugier mit den Ohrlappen, und unter sachtem Schweifwedeln studiert er die Miene seines Herrn, der ihm lächelnd zublinzelt.

„Ja, Mannderl, jetzt geht’s bald los!“

Bald! Es stehen ja schon die „lateinischen Sonntage“ vor der im Frühlingssturm rasselnden Thür – nur acht Tage noch bis zum wichtigsten, der sich „Oculi“ nennt! Und dann kommen sie, die heiß Erwarteten, die Langgeschnäbelten, die dem Weidmann die Erstlingsfreude des neuen Jägerjahres bescheren.

In diesen Tagen sammeln sich trotz Sturm und Regengüssen allabendlich die Jäger von weiten Dörfern her in einer Wirtsstube zum „Schnepfen-Tratsch“, Und während die Krüge fleißig zwischen Tisch und Keller wandern, setzt es um den Langschnabel ein Reden ohne Ende, mit Geschichten, deutsch und „lateinisch“, mit heißen Debatten. Da wird immer wieder von neuem die alte Streitfrage aufgeworfen: über den großen „Eulenkopf“ und die kleine „Dornschnepfe“, Das wären zwei verschiedene Arten, behaupten die einen; und die anderen sagen: Nein, es giebt nur eine Art; die kleine Dornschnepfe ist nur ein Nestling vom letzten Jahr und wächst sich erst mit dem zweiten Sommer zum „Eulenkopf“ aus, denn … Und da werden mit der Pfeifenspitze alle Gründe für diese Meinung an den Fingern hergezählt. Ist man des Streites müde geworden, so beginnt das unvermeidliche Lob der „guten, alten, schnepfenreichen Zeit“ und die trauernde Klage über die jährlich fühlbare Abnahme der Schnepfen. Die Pessimisten prophezeien mit trübseliger Meine, daß „die schnepfenlose, die schreckliche Zeit“ nicht mehr allzufern sei – die Optimisten aber trösten sich mit der Erfahrung, daß jedes magere Schnepfenjahr noch immer ein gutes im Gefolge hatte. Und jene Mitglieder der Tafelrunde, die sich das Abonnement einer Jagdzeitung vergönnen, kramen breit die aus dem Blättchen gesammelte Weisheit aus: die Verminderung des langschnäbligen Wildes wäre statistisch festgestellt und durchaus kein Wunder; denn mit den veränderten Kulturverhältnissen, die der Schnepfe allmählich den Boden entziehen, den sie liebt, verbände sich feindlich die Ausbildung der Feuerwaffen; dazu käme noch der bequeme Weltverkehr, der es passionierten Sportsleuten ermögliche, die besten Strichgegenden in Kroatien und Slavonien, auf den Inseln des Quarnero und in Griechenland aufzusuchen, um den Massenmord der Schnepfe als amüsantes „Schießtraining“ zu betreiben; so hätten einmal in der peloponnesischen Ebene drei englische Sportsmen während weniger Tage über tausend Schnepfen erlegt; aber das könnte man noch verschmerzen – denn schließlich waren das doch Jäger mit der Flinte in der Hand – wäre nur nicht das alljährliche Massacre des armen Langschnabels in seinen Winterquartieren, in Sardinien und Sizilien, in Algier und Tunis, in Aegypten und Kleinasien! So wären eines Winters in der Umgebung von Smyrna in drei Tagen über 20 000 Schnepfen gefangen und erschlagen worden.[1]

Bei solcher Hiobspost geht in der Tafelrunde ein verzeihliches Stöhnen und Seufzen von Herz zu Herz. Was bleibt da noch für den braven deutschen Jäger übrig!

Wer an solch melancholische Stimmung schließt sich gleich wieder das Erwachen fröhlicher Hoffnungen an. Noch giebt es ja Schnepfen, Gott sei Dank – nur ein paar Tage noch, und sie kommen! Lachend hebt man die frisch gefüllten Krüge und trinkt die Gesundheit des noch unbekannten Glücklichen, der von Hubertus’ Gnaden zum Schnepfenkönig dieses Frühlings geboren ist. Und man witzelt auch schon über den Pechvogel, der sich den „Heringskopf“ verdienen wird – wer beim Schnepfenstriche leer ausgeht, hat zum Schaden noch den Spott zu leiden, denn in zierlicher Verpackung erhält er durch die Post einen Heringskopf mit leeren Gräten zugesandt, „unbekannt von wem“! Und wer wohl der Beneidete sein wird, der die „Erste“ nach Hause bringt?

Sie wird nicht leicht verdient, diese „Erste“, sondern muß

  1. Mitgeteilt in Dr. J. Hoffmanns trefflicher Monographie „Die Waldschnepfe“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_246.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)