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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Flammeri ist mir aber auch meiner Lebtag nicht vorgekommen. Der kann ja nicht werden!“

„Das liegt dann jedenfalls an uns, wir machen’s noch nicht ordentlich. In der Türkei ist die Geschichte sehr beliebt. Lassen wir es also einstweilen noch stehen, es wird sich dann schon ausweisen, ob es überhaupt mißraten ist, oder ob es nur länger Zeit braucht, als wir dachten. Und heute, Gott, wissen Sie, wir könnten ja wieder einmal die polnischen Nalesniki hernehmen. Vor vier Wochen hatten wir sie das letzte Mal.“

„Das waren doch diese Art Eierkuchens.“

„Ganz recht. Die sind schnell gemacht. Uebrigens. Hat Borchardt die beiden Sorten Wein geschickt?“

„Jawohl, sie stehen schon drinnen.“

„Der Herr will den einen, den sicilianischen, heute mittag probieren.“

Ein wichtiges Nebenstudium bildete natürlich die Bestimmung der den fremden Gerichten anzupassenden Getränke. Im allgemeinen erhielten die feurigen Weine des Südens den Vorzug vor den Rheinländern und Franzosen, wenn auch hier Irrtümer und Enttäuschungen nicht ausblieben. Ludwig hatte sich neulich stundenlang „gebost“, daß der Samoswein, der an und für sich doch eine feine Sache war, so ganz und gar nicht zu der Zaja, der griechischen Pastete, stimmen wollte. Das eine hatte das andre einfach umgebracht, und ehe er diese Neuheit einer nochmaligen Probe unterwarf, mußte längere Zeit vergehen, um ihn diesen Mißerfolg vergessen zu machen.

„Wenn gnä’ Frau aber die ganze Zeit hier unten bleiben wollen, dann müssen gnä’ Frau durchaus was zu sich nehmen. Einen Schluck Tokayer und einen Mundvoll zu essen. Es sind noch von den Kolombijntjes da – oder wie sie heißen, – von den kleinen holländischen Kuchchen. Oder, wenn die zu süß sind, ich könnt’ ja von dem Herrn seinem Frühstücksgebäck schnell welche auf der Platte warm machen. Gnä' Frau werden sonst flau.“

„Bitt’ schön!“

„Von den amerikanischen Muffins. Ja, geben Sie her, das ist ein guter Gedanke. Uebrigens machen Sie die jetzt vorzüglich. Der Herr war heute früh entzückt.“

„Ja, seit wir die richtige Pfanne dazu haben. Vorher rannten sie mir immer zu sehr auseinander.“

Ludwig hatte jetzt schon fast eine Woche lang keine eigentliche Gelegenheit gehabt, sich über seine Frau zu ärgern. Er wunderte sich. Es fehlte ihm sogar beinahe etwas, es war ihm schon zur Gewohnheit geworden, ihre vielerlei Mängel zu beklagen, seiner Enttäuschung über sie Luft zu machen.

„Du mußt schwer krank sein,“ hatte er ihr gestern gesagt und auf ihr erstauntes Warum „Du bist so viel netter in den letzten Tagen. Vielleicht ist das eine schlimme Vorbedeutung. Vielleicht stirbst du mir bald.“

Dann wäre uns beiden geholfen, lag ihr schon auf der Zunge, zu antworten, aber sie unterdrückte es noch und erwiderte nur mit einem schwachen Lächeln: „Ich merke noch nichts.“

Also mehr verlangte er nicht. Mit dieser Art von zusammenleben war er zufrieden. Daß sie da mit freundlichem Gesicht – beileibe mit keinem andern, wenn sie nicht die Frage gewärtigen wollte. Maulst du schon wieder? – ihm gegenüber saß, sich über Tagesneuigkeiten unterhielt und sich Börsenwitze erzählen ließ – das genügte ihm. Aber gewiß. Was sollte man auch anderes thun. Und warum auch sollte sie nicht sanft und freundlich sein in diesem sorgenlosen Leben, das sie mit Pracht und Herrlichkeit umgab? Warum nicht vergnügt sein, da sie sich kaufen konnte, was sie nur immer wollte, da ihr kein Wunsch, wenn er mit Geld zu befriedigen war, unerfüllt blieb. Kein so arg mühseliges Tagewerk, fürwahr, sich schön zu kleiden, gut zu essen und nichts zu thun zu haben! Schlimm, daß sie das alles nicht genug zu würdigen wußte! Das große Los war wieder einmal an den Unrechten gekommen. Mit etwas mehr Leichtsinn im Blut, mit etwas mehr Sympathie für seine Art zu leben, mit etwas weniger Nachdenken hinter der Stirn, mit etwas weniger Sehnsucht im Herzen nach Licht und Wahrhaftigkeit und Ernst, und ohne das Grab da draußen – wie lustig hätte sie ihr Leben genießen können! Nun schlich sie aus der einen Einöde in die andere. Aus der Einöde des Verlassenseins, in der ihr das unstillbare Heimweh nach der Mutter das Herz zerfraß, in die Einöde der Seelenfremde, die, ohne Wiederhall auch des flehentlichsten Rufes nach Verständnis, ihr allmählich das Hirn einschläfern mußte! Wenn sie nur schon ganz stumpf wäre! Wenn sie nur schon gänzlich eingekapselt wäre in Gleichgültigkeit, so daß ihr nichts mehr wehe thäte! Eines schönen Tages mochte sie ja wohl aufwachen und von keiner unbeantworteten Frage, von keinem Kummer mehr etwas wissen. Das einzig noch erstrebenswerte Ziel! Aber wie lange noch bis dahin!

„Hast du Lust, nach Tische spazieren zu fahren? Ich habe schon bestellt, daß der Schlitten eingespannt wird. Es ist famose Bahn. Gewiß.“

Sie hatte keine Lust, ihr war bange vor der bitterlichen Kälte. Aber das hatte nichts zu sagen, da Ludwig die Ausfahrt wünschte. Erlassen wäre sie ihr doch nicht worden. Es hätte nur ein kleines Scharmützel gegeben über Luftscheu und Verweichlichung, und schließlich einen jener schon unvermeidlich gewordnen Ausfälle gegen die erbärmliche, saft- und kraftlose Erziehung, der all diese vielen Jammerlappigkeiten zu verdanken seien. Ludwig, in der Machtfülle kerniger, fast brutaler, unerschütterlicher Gesundheit, war noch nie auf den Gedanken gekommen, die starke Verschiedenheit ihrer beider Naturen in Rechnung zu ziehen. Er, ein Kerl wie ein Eichbaum, wie er selbst sich voll Behagen nannte, ein Kerl, bestimmt, in Herrlichkeit und Freuden hundert Jahre alt zu werden – er wußte nichts von Witterungsbeschwernissen, ihn erdrückte nicht die glühendste, gnadenloseste Julisonne, ihn focht keine noch so starre Kälte an. Die sehr viel zartere Bildung seiner Frau, der besonders die Winterszeit keine Freuden brachte, forderte nicht seine Schonung, sondern nur seinen Spott über ihre „alberne Pimpelei“ heraus. Dieser Spott blieb gutlaunig und ungefährlich, so lange sie ihn mit Sanftmut hinnahm und sich allen Anordnungen ihres Herrn und Gebieters einwandslos fügte; jeder Versuch aber, eine persönliche Stimmung geltend machen zu wollen, scheiterte an Ludwigs Hartnäckigkeit, die nicht litt, von Weibern regiert zu werden. Schon nach den ersten paar zaghaften Wörtchen der Einwendung spürte er die Bitternis des Widerstandes und kehrte im Nu alle Stacheln nach außen. Sein Wille war nun einmal oberstes Gesetz und hatte zu geschehen – im Guten oder im Bösen.

Also lieber im Guten. Lieber mit guter Miene eine Stunde in dem schneidenden kalten Ostwind spazierenfahren, seine gnädige Laune zur Seite, als „trotz alledem“ und die ganze Zeit über von seinen scharfen Worten geritzt und gestochen werden! Er fand es herrlich, sich einmal tüchtig durchfrieren zu lassen, und konnte nicht oft genug betonen, wie gesund ihr das sei, wenn er auch sah, daß der Frost ihr Thränen in die Augen trieb. Holte sie sich bei solcher Gelegenheit eine Erkältung, so war natürlich nicht die harmlose Ausfahrt daran schuld, sondern eine ihrer persönlichen Dummheiten, die dann dem armen Mann in die Schuhe geschoben werden sollten.

August hatte seine Herrin erst sorgsam mit einem warmen Plaid bis über die Kniee umhüllt, ehe er die große Pelzdecke über sie und den Herrn ausbreitete. Ludwig griff ungeduldig zu. „So machen Sie doch vorwärts! Geben Sie her das Dings! Wie lange soll denn die Wühlerei noch dauernd! Nach dem Nordpol fahren wir heute noch nicht.“

August verzog keine Miene seines ehrerbietig gleichgültigen Gesichts, sondern ordnete nur ruhig, ohne sich mehr zu beeilen, mit einigen Rucken die von Ludwig schief gezogene Decke.

„Vorwärts jetzt!“

Der Schlitten schoß zur Einfahrt hinaus. Die beiden Rappen waren anfangs noch etwas nervös durch den ungewohnten Schellenbehang, aber Emil hatte sie gut in der Faust, und schon nach wenigen Minuten trabten sie im eitlen Bewußtsein ihrer heute besonders geschmückten Schönheit dahin, als gälte es, der ganzen übrigen Pferdewelt zu beweisen, daß ihnen keiner über sei.

Wirklich durfte es sowohl Gespann wie Schlitten getrost mit sämtlichen Nebenbuhlern aufnehmen, die im Tiergarten ihre Wege kreuzten. Ludwig musterte mit Kennermiene alles, was vorbeifuhr. Sehr zahlreich war die Gegnerschaft übrigens heute nicht. Der Wind pfiff erbarmungslos und scheuchte auch die meisten Spaziergänger ins warme Haus. Hier und da grüßten Bekannte. Bekannte von Ludwig, die Hanna noch fremd waren.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1897, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_694.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)